Jubel brach aus, als die Staatengemeinschaft im Dezember 2015 das Klimaabkommen von Paris verabschiedete – doch seitdem steigt die Konzentration des Treibhausgases CO2 in der Atmosphäre unbeeindruckt an. In einem kürzlich veröffentlichten Sonderbericht des Weltklimarates IPCC wurden die 91 Autorinnen und Autoren so deutlich wie nie: Die Folgen des Klimawandels für Menschen und Ökosysteme sind schon jetzt immer stärker spürbar – und sie würden langfristig deutlich geringer ausfallen, wenn es gelänge, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen statt auf 2 Grad. Dafür aber müssten die globalen CO2-Emissionen schon bis zum Jahr 2030 um 45 Prozent sinken und bis spätestens 2050 auf – netto – Null fallen.

Am Montag, den 3. Dezember, beginnt im polnischen Katowice die 24. Klimakonferenz, auf der ein „Regelbuch“ beschlossen werden soll, das festschreibt, mit welchen Maßnahmen die notwendigen Einsparungen erreicht werden können. Denn bis jetzt bleiben die Ambitionen der Unterzeichnerstaaten weit hinter dem Ziel von Paris zurück: Selbst wenn alle Staaten ihre Zusagen zur Senkung ihrer Emissionen einhalten würden, würde sich die Atmosphäre um mindestens drei Grad Celsius erhitzen. In ihrem Sonderbericht haben die Wissenschaftler deshalb auch analysiert, wie CO2 in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wieder aus der Atmosphäre zurückgeholt werden könnte. Ihr Ergebnis aber kann nicht beruhigen: Ob eine solche Rückholaktion jemals technisch machbar und finanzierbar sein wird und welche Folgen sie für die Umwelt hätten, ist völlig ungewiss.

Tony Rinaudo schmunzelt, wenn er so etwas hört. Auch er wird in einigen Tagen zur Konferenz in Polen reisen, denn er wurde nach Katowice eingeladen, um über seine Entdeckung zu sprechen. Abseits der Verhandlungstische arbeitet er schon lange an einer Methode, mit der Treibhausgase aus der Atmosphäre „zurückgeholt“ werden können. Für seine Verdienste hat der 61-jährige Australier dieses Jahr den Alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award) verliehen bekommen.

Der Agrarökonom mit den vielen Lachfalten zog 1980 nach seinem Studium mit seiner Frau in die Sahelzone, um bei einer christlichen Mission zu arbeiten. „Ihr müsst euch vorstellen, das waren damals die denkbar schlechtesten Bedingungen“, erzählt Rinaudo im Gespräch mit dem Greenpeace Magazin. „Niger war das ärmste Land der Welt und hatte gerade eine katastrophale Hungersnot erlitten. Die Leute waren wenig gebildet, konnten auf dem mageren Boden kaum etwas anbauen, und acht Monate im Jahr herrschte Trockenheit.“ Im Großen und Ganzen, so sagt er, wären das alles gute Gründe gewesen, aufzugeben. „Aber so töricht das auch gewesen sein mag, ich bin geblieben“, so Rinaudo. Eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen für ihn – und in den folgenden Jahrzehnten für Millionen Menschen.

Dort im Niger hatte er drei Jahre nach seiner Ankunft eine Methode entdeckt, die es den Farmern in den stark dürregefährdeten Gebieten ermöglichte, auf dem scheinbar unbrauchbaren Land blühende Wälder hochzuziehen – und das ohne große Kosten. Rinaudo hatte erkannt, dass unter dem trockenen Boden intakte Wurzelnetzwerke bestehen, die, wenn sie gezielt gefördert und geschützt werden, das Potenzial haben, zu Wäldern heranzuwachsen. Die Methode dahinter trägt den Namen „Farmer Managed Natural Regeneration“, kurz FMNR. „Schwer zu sagen, leicht zu machen“, sagt Rinaudo.

Alles, was der Farmer dafür braucht, ist ein kleines Messer mit scharfer Klinge – und das Know-how über die FMNR-Technik. Zur Regenzeit treiben kleine Sprosse aus dem intakten, unterirdischen Wurzelsystem aus. Dann gilt es, die vielversprechenden Sprosse bewusst zu fördern – indem man sie vor starken Winden und vor Tieren schützt, die die jungen Zweige fressen könnten, und die jungen Triebe regelmäßig beschneidet. Schwache Triebe hingegen werden bewusst gekürzt, sodass weniger Pflanzen um die wenigen Ressourcen konkurrieren.  „Im Wesentlichen geht es darum, das zu nutzen, was schon vorhanden ist“, sagt Rinaudo. „So kann jeder einzelne etwas verändern.“ Das Ergebnis: Die ausgemergelten Böden werden durch die Bäume besser mit Feuchtigkeit und Nährstoffen versorgt – sodass rund um sie herum Anbau von Gemüse und Getreide möglich wird.

Wälder, die es schon einmal gab, wiederbeleben – das ist Tony Rinaudos Lebensaufgabe und für diese wurde ihm dieses Jahr der Alternative Nobelpreis verliehen.

Wälder, die es schon einmal gab, wiederbeleben – das ist Tony Rinaudos Lebensaufgabe und für diese wurde ihm dieses Jahr der Alternative Nobelpreis verliehen.

Mit Unterstützung der Hilfsorganisation World Vision konnte Rinaudos Wachstumsmethode mittlerweile in 24 Ländern angewendet werden, und allein im Niger wurden 50.000 Quadratkilometer Wald wieder fruchtbar gemacht. Schätzungen zufolge hat die FMNR-Methode das Potenzial, ungenutzte Flächen in der Größe von Indien mit Vegetation zu bedecken. „Wenn wir es unter diesen harten Bedingungen geschafft haben, das vertrocknete Land in Niger in florierende Landschaften zu verwandeln, und die Lebensbedingungen von Millionen Menschen so sehr verbessern konnten, stellt euch vor, was in Ländern zu erreichen ist, wo die Klimabedingungen nicht halb so schlecht sind?“ Rinaudo lacht: „Ich bin ein Optimist, ich kann nicht anders. Aber es gibt auch einfach viele Gründe für uns, guter Dinge zu sein“.

Wie groß der Einfluss der Vegetation auf den Kohlenstoffhaushalt der Atmosphäre ist, zeigt etwa die sogenannte Keeling-Kurve. Die Kurve dokumentiert seit 1958 die auf Hawaii gemessene CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Seit siebzig Jahren geht sie steil nach oben. „Aber nur auf den ersten Blick“, erklärt Rinaudo. „Bei genauerem Hinsehen erkannt man, dass die Kurve jedes Jahr einen kleinen Schlenker macht. Das ist im Frühling, wenn in den großen borealen Wäldern der nördlichen Hemisphäre das Pflanzenwachstum beginnt.“

Auch der neue IPCC-Report diskutiert den Ansatz, Treibhausgase in Wäldern zu binden. Die Forscher sehen dies als eine vielversprechende Möglichkeit, wenn weiterhin mehr Emissionen in die Atmosphäre gelangen als mit dem des 1,5-Grad-Ziel vereinbar. Durch großflächige Aufforstungen könnten sogenannte „negative Emissionen“ entstehen, die überschüssigen Emissionen ausgleichen können. Für Staaten wie Niger könnte dies eine Möglichkeit sein, die zum Beispiel durch FMNR erreichten negativen Emissionen in Form von CO2-Zertifikaten an Industrienationen wie Deutschland zu verkaufen.

Heute interessieren sich Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt für Rinaudos Entdeckung. Außerdem reist er regelmäßig durch Afrika, um die Methode zu verbreiten. Trotzdem sind zwischen 1990 und 2015 weltweit knapp 240 Millionen Hektar Naturwald verlorenen gegangen, in den meisten Fällen mussten sie landwirtschaftlichen Nutzflächen weichen. „Verschwende ich meine Zeit?“, fragt Rinaudo schmunzelnd. Es betrübe ihn durchaus, dass etwa in Lateinamerika tagtäglich wertvoller Wald abgeholzt werden. „Aber ich bin mir sicher, dass immer mehr Menschen begreifen werden, dass es in ihrem Interesse ist, ihre Umwelt zu erhalten und zu schützen.“ Dies ist auch ein zentraler Aspekt von FMNR: Wie der Name schon sagt, also „Farmer Managed Natural Regeneration“, ist diese Art der natürlichen Wiederaufforstung von Farmern, also von den Bauern vor Ort, und nicht von der Regierung, Experten oder Konzernen gemanagt. „Wir müssen mit den Menschen vor Ort zusammenarbeiten, denn sie sind ein ganz zentraler Faktor für intakte Ökosysteme“, sagt der Träger des Alternativen Nobelpreises.

Die Tatsache, dass Millionen an Bauern in Niger und weiteren Staaten heute FMNR anwenden, spreche für sich. Er habe gelernt, erzählt Rinaudo, dass Menschen begeistert Bäume regenerieren und die Vorteile der verbesserten Nährstoffversorgung, der erhöhten Biodiversität und Feuchtigkeit schätzen, sobald sie erfahren haben, dass dies auch ihre eigenen Bedürfnisse nach einer intakten Umwelt und ertragreichem Boden deckt. So war es für Rinaudo möglich, den scheinbaren Widerspruch zwischen intakter Landwirtschaft und blühenden Wäldern aufzuheben. „Nur so hat das funktioniert, und nur so kann es funktionieren.“

Auch nach der Klimakonferenz in Polen wird Rinaudo weiter an der Verbreitung von FMNR arbeiten. Eines Tages, so hofft er, könne FMNR in hundert Ländern angewandt werden. „Und ihr da in Deutschland“, ergänzt er noch. „Ihr habt in einem so wolkenreichen Land mehr Solarpanele als im sonnigen Australien. Macht bloß weiter, auch wenn es nicht immer alles perfekt läuft. So viele nehmen sich ein Beispiel an euch, nicht vergessen!“