Was macht eine trächtige Kuh auf der Autobahn auf dem Weg ins 5000 Kilometer entfernte Usbekistan? Das ist kein Auftakt zu einem Witz, sondern ein Dilemma, das Landwirte, Tierärzte und Tierschützer derzeit gleichermaßen umtreibt. Es geht um Agrarexporte, genauer: um die Ausfuhr von lebenden Tieren aus Deutschland. 2017 wurden Nahrungsgüter tierischen Ursprungs im Wert von gut 23 Milliarden Euro ins Ausland verkauft. Der Export von lebenden Tieren stieg dabei um 7,7 Prozent auf 1,36 Milliarden Euro – ein Geschäftsfeld mit Wachstumspotenzial.

Lebende Tiere sind – verkehrsstatistisch betrachtet – eine von zahlreichen Güterarten, wie Maschinen, Holz oder Zuckerrüben. Doch weil sich Rinder nicht wie Zuckerrüben stapeln und verschicken lassen, hat nun eine Amtsveterinärin im Landkreis Landshut ihr Veto für den Transport einer trächtigen Kuh eingelegt. Im Januar 2019 verweigerte die Tierärztin die Unterschrift unter ein sogenanntes Vorzeugnis und vereitelte den Transport des schwangeren Tieres nach Usbekistan. In einem Vorzeugnis bescheinigt der Veterinär dem Tier, dass es gesundheitlich für den Transport geeignet ist. Dabei muss der Tierarzt aber auch einschätzen, ob die Transportplanung dem Tierschutzgesetz entspricht: Wo liegen die Überwachungsstellen, wann soll der Transport ankommen, sind ausreichend Pausen eingeplant?

Die Landshuter Veterinärin sah dies nicht gegeben. Sie wolle sich keiner Beihilfe zur Tierquälerei schuldig machen, erklärte sie. Der Landrat in Landshut, Peter Dreier, stellte sich hinter ihre Entscheidung. „Für mich ist es Tierquälerei, wenn Rinder aus unserer Region mehrere tausend Kilometer transportiert werden, um dann in Ländern geschlachtet zu werden, in denen es keinen Tierschutz gibt”, sagte Dreier gegenüber dem Bayerischen Rundfunk.

Holger Vogel, Präsident des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte, hat dazu eine klare Haltung: „Aus fachlicher Sicht müssen Tiertransporte grundsätzlich eingeschränkt werden“, sagt er. Das stehe aber dem Mantra des Wirtschaftswachstums und der Marktanteile entgegen. Der Niedergang von kleinbäuerlichen Strukturen werde zwar öffentlich bedauert, doch die Mehrheit richte sich beim Fleischkauf trotzdem nur nach Preis und Masse, so Vogel.

Doch warum werden die Tiere überhaupt tausende Kilometer verschickt? Ganz einfach: Es lohnt sich, denn Deutschland ist ein beliebtes Zuchtland von Rassen, die besonders viel Milch oder Fleisch liefern – wie zum Beispiel sogenannte Holstein-Friesian und Fleckvieh. Die Hochleistungsrinder werden in Drittländer exportiert, um dort eine effiziente Milch- oder Rindfleischproduktion aufzubauen. Allerdings kritisieren Tierschützer, dass dieses Vorgehen nicht nachhaltig sei, da es vor Ort oft weder die Infrastruktur noch das nötige Zucht-Know-How gäbe, um den Bestand der importierten Jungtiere zu vermehren.

Die meisten Tiere werden also gar nicht zum Schlachten in EU-Drittländer gebracht sondern zur Zucht – so wie in dem Fall, bei dem die Veterinärin nun die Zustimmung verweigerte. Im Jahr 2017 wurden aus Deutschland 79.105 Zuchtrinder zumeist in die Türkei, nach Russland, nach Marokko, Usbekistan und in den Libanon exportiert – nur 64 Schlachtrinder mussten im selben Jahr die lange Reise raus aus der EU antreten. Auch bei Schweinen und bei Geflügel ist die Zahl der Lebend-Exporte in andere EU-Länder signifikant höher als die Ausfuhr in Drittländer.

Die rund 80.000 Rinder, die in Drittländer exportiert wurden, sind also eher die Ausnahme. Für die Frage danach, ob der Tierschutz an den Außengrenzen der EU endet, sind sie dennoch relevant. Denn die Kontroverse im Landkreis Landshut hat das Zeug dazu, einen grundsätzlichen Wandel anzustoßen: Das Veterinäramt Landshut will vorerst keine Vorzeugnisse mehr für den Export in Drittländer ausstellen, die Landkreise Freyung-Grafenau und Passau schlossen sich an. Die Veterinärämter warten nun auf eine Beurteilung des bayerischen Umweltministeriums. Das prüft derzeit die umstrittenen Tiertransporte in Drittländer juristisch. Nach Angaben des Ministeriums kann das aber noch dauern.

Dabei hat der Fall eine Vorgeschichte mit eindeutigem Ergebnis: Im Jahr 2012 sollten drei Lastwagen 92 Zuchtrinder von Kempten im Oberallgäu in die Stadt Andijon im Osten Usbekistan fahren. 7000 Kilometer, Beförderungsdauer 228 Stunden, also fast zehn Tage. Solche Transporte sind mit dem europäischen Tierschutzgesetz vereinbar, wenn die Tiere immer wieder Pausen haben. Doch kaum raus aus der EU, wollte der Exporteur die Tiere sechs Tage lang nicht mehr abladen. Seine Begründung: Außerhalb der EU müsse er sich nicht an europäische Schutzbestimmungen halten.

Die zuständige Amtsärztin Gabriele Fuchs wollte das nicht hinnehmen und stoppte den Transport. Doch hatte sie das Recht dazu? Der Streit darum ging bis vor den Europäischen Gerichtshof. Das bestätigte schließlich im Jahr 2015 Fuchs‘ Auffassung: Die europäischen Schutzvorschriften gelten bis zum Ziel des Transports – ein Sieg für den Tierschutz. Doch wird der in der Praxis oft nicht konsequent umgesetzt.

Gabriele Fuchs sieht hier vor allem sich selbst und ihre Kollegen in der Pflicht. Es brauche Mut, sagte sie bei einem Vortrag gegenüber Veterinären: Mut, Tierschutzvorgaben einzufordern, Mut, gegebenenfalls eine Änderung der Reisepläne zu verlangen, und Mut, Nein zu sagen, wenn der Transport nicht den Schutz der Tiere gewährleisten kann.

Der aktuelle Fall in Bayern ist ein erster Schritt. „Das konsequente Vorgehen der Veterinärin in Landshut ist extrem mutig und vorbildlich,” sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. „Kein Amtsveterinär, der nicht sicherstellen kann, dass die Tierschutzvorschriften bis zum Zielort eingehalten werden, sollte solche Transporte genehmigen.“ Und Nicole Brühl, die Vorsitzende des Landesverbands Bayern des Deutschen Tierschutzbundes, wüscht sich, dass das Aufbegehren der Amtstierärzte Wellen schlägt: „Wir hoffen, dass sich viele Veterinärämter und Landkreise ein Vorbild an Landshut nehmen.“

 

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