Aktuell steht der Weltuntergang kurz bevor – zumindest, wenn es nach dem Team von Rachel Bronson geht. Und kurz bedeutet in diesem Fall: Es sind noch zwei Minuten. Bronson, die Chefin des „Bulletin of the Atomic Scientists“, dem Berichtsblatt der Atomphysiker, stellt mit einem Komitee aus Experten und Wissenschaftlern die Zeit auf der „Doomsday Clock“ ein. So antizipieren  Bronson & Co. gemäß der akuten Gefahrenlage den Zeitpunkt des Weltuntergangs. Denn diese Endzeituhr, auch Atomkriegsuhr genannt, zeigt symbolisch an, wie knapp die Menschheit vor einer globalen Katastrophe – wie dem Atomkrieg – steht.

Und während sich mancher Uhrenbesitzer sorgt, dass er beim Zurückstellen von Sommer- auf Winterzeit das empfindliche Uhrwerk schädigt, sind die Atomphysiker da weniger zimperlich. Hin und her bewegen sie den Zeiger der Atomkriegsuhr – und das seit über siebzig Jahren, genauer gesagt: seit 1947. Allerdings gibt es kein materielles Uhrwerk, das sie ruinieren könnten: die Atomkriegsuhr existiert nur in symbolischer Form. Sie spielt auf die Metapher an, es sei fünf Minuten vor zwölf, und suggeriert: Eine dramatische Bedrohung steht kurz bevor. Gibt es gefährliche Entwicklungen wie Kernwaffentests, Naturkatastrophen oder politische Konfliktsituationen, werden dementsprechend einige Minuten der vermeintlich verbleibenden Zeit abgezogen. Bei Abrüstungen, Friedensabkommen oder einer Einigung beim Klimaschutz, werden die Zeiger der Doomsday Clock zurückgestellt. Zu Beginn stand die Endzeituhr auf sieben vor zwölf, mittlerweile wurde 23 Mal an ihr gedreht.

Am 25. Januar dieses Jahres haben die Wissenschaftler den Uhrzeiger von zweieinhalb Minuten vor zwölf eine halbe Minute vorgestellt: auf zwei vor zwölf. „So nah am Weltuntergang war die Doomsday Clock erst einmal, 1953, auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs“, schreiben Bronson und ihre Mitarbeiter im aktuellen „Clock Anouncement“. Damals testeten die USA ihre erste Wasserstoffbombe, eine Kernfusionsbombe mit einer sehr viel stärkeren Wirkung als herkömmliche Atombomben, welche auf dem physikalischen Prinzip der Kernspaltung basieren.

Die Uhr sagt: So nah am Abgrund wie jetzt stand die Welt erst einmal

Die akute politische Weltlage 65 Jahre später sei „sehr gefährlich“, sagt Rachel Bronson dem Greenpeace Magazin. Die dramatischste Bedrohung geht auch diesmal von Atomwaffen aus: „Das größte Risiko im letzten Jahr ist im nuklearen Bereich entstanden“, schreiben Bronson und Team in ihrem „Clock Anouncement“, welches ein Neustellen der Uhr begründet. Hier führen die Autoren an, dass Nordkoreas Atomwaffenprogramm 2017 „bemerkenswerte Fortschritte“ gemacht habe. Außerdem hätten die „übertreibende Rhetorik und die provokativen Aktionen“ von Nordkorea und den USA die Situation noch weiter aufgeheizt.

Des Weiteren bestehe der Konflikt zwischen den USA und Russland fort, spitze sich sogar noch dadurch zu, dass die Staaten ihr INF-Abkommen – zum Verbot bestimmter nuklearer Mittelstreckenraketen – immer weiter unterwandern, militärische Übungen an NATO-Grenzen abhalten, ihr Nuklearwaffen-Arsenal ausbauen und Verhandlungen zu Waffenkontrollen aus dem Weg gingen. Aber auch das Misstrauen zwischen den USA und China, die expandierenden Atombomben-Arsenale von Pakistan und Indien und das Wackeln des Iranischen Atomwaffen-Abkommens identifizieren die Autoren als destabilisierende Faktoren für den Weltfrieden. „Die weltweite nukleare Situation fatal zu nennen, ist ein Understatement“, sagt Rachel Bronson.

Die Idee der Endzeituhr entstand aus einem Magazin-Cover

Ursprünglich hatte die Künstlerin Martyl Langsdorf die Endzeituhr 1947 als Coverbild für die Juni-Ausgabe der Zeitschrift „Bulletin of the Atomic Scientists“ entworfen. Langsdorf wollte so auf die Konsequenzen der Atombombe hinweisen, die ihr Mann mitentwickelt hatte. Sie war mit einem der Physiker des Manhattan Projekts verheiratet.

Heute gibt es weitere, eher unkonventionelle Ansätze, die die Folgen eines Atomschlags zu veranschaulichen versuchen. So hat der Nuklear-Historiker Alex Wellerstein ein Online-Tool entwickelt, mit dem sich der virtuelle Abwurf einer Atombombe an jedem Ort der Welt nachvollziehen lässt. Das Tool liefert eine Visualisierung des zerbombten Gebiets und die Eckdaten der Zerstörung.

Demnach würde eine in der Luft über Berlin-Mitte explodierende 350 Kilotonnen schwere Atombombe vom Typ W-78 in einem Bereich von etwa 1,3 Quadratkilometern um das Brandenburger Tor Menschen und Häuser mit einem Feuerball schmelzen. Bei Menschen, die sich in einem Bereich von 185 Quadratkilometern bis außerhalb des S-Bahn-Rings aufhalten, würde die Bombe durch sämtliche Hautschichten hindurch Verbrennungen dritten Grades verursachen. Und in einem Bereich von 610 Quadratkilometern, der bis nach Brandenburg reicht, würde die Druckwelle der Bombe Fensterglas und Ähnliches zerstören.

Wenn es zwölf schlägt, hat die Menschheit ultimativ versagt

Auch wenn der Fokus der Doomsday Clock auch heute noch auf einem nahenden Atomkrieg liegt, bezieht sich das Endzeit-Komitee seit 2007 auch auf andere Bedrohungen: So sprechen die Wissenschaftler in ihrem aktuellsten Statement von der „Klimawandel-Front“, deren Auswirkungen zwar weniger unmittelbar seien, die aber dennoch direkt angegangen werden müssten, wolle man künftige Katastrophen verhindern. Außerdem erwähnen sie noch den Missbrauch von Informationstechnologie und Cyberkriminalität als relevante Risiken für die Menschheit.

Komplexe Phänomene, wie die politische Weltlage, das nukleares Konfliktpotential und den Klimawandel durch einen simplen Ausdruck wie „zwei vor zwölf“ zu beschreiben – machen es sich die Wissenschaftler nicht etwas zu einfach? „Die Komplexität der Weltpolitik braucht eine klare, verständliche Botschaft“, sagt Bronson. „Mit der Doomsday Clock beantworten wir eine sehr grundsätzliche Frage: Ist die Lage der Menschheit heute sicherer oder unsicherer als noch ein Jahr zuvor?“

Und solange die Uhr zurückgestellt werden kann, besteht Hoffnung. Nur was passiert, wenn der Zeiger wirklich einmal auf zwölf vorrückt? Rachel Bronson gibt folgende Anwort: „Wenn die Doomsday Clock zwölf schlägt, würde es das ultimative Versagen der Menschheit bedeuten. Das hieße, wir hätten es nicht geschafft, die Technologie zu kontrollieren, die wir erschaffen haben.“