Es ist so einfach, das Klima zu versauen. CO2 in die Atmosphäre zu pusten ist leichter, als die Luft anzuhalten (was ja fast dem Gegenteil entspräche). Probieren Sie es mal aus: Halten Sie während der Lektüre dieses Textes so lange wie möglich die Luft an. Oder lesen Sie ihn bei eingeschalteter Heizung, während Sie ein Stück Rindfleisch essen, oder am effektivsten: im Flugzeug. Der Vergleich ist vielleicht etwas überspitzt, aber das CO2-Dilemma bleibt.

Vor eben diesem stand ich am Ende dieses nicht enden wollenden Sommers, als ich mich entschied, die Sonnenscheindauer durch einen Barcelona-Besuch noch etwas auszuweiten. Es wäre ein Leichtes gewesen, das Klima damit ein bisschen mehr zu versauen: Nur zwei Stunden und 45 Minuten Flug standen (im günstigsten Fall!) 17 Stunden und 13 Minuten Zug gegenüber. Selbst mit Transfer und Wartezeit am Gate hätte das Flugzeug klar gewonnen. Und nicht nur das: Hätte ich den Flug zeitig gebucht, dann wäre er auch günstiger gewesen als die Zugfahrt. Man kann für deutlich unter hundert Euro hin und zurück fliegen, ich zahlte für den Zug 200 Euro – one way. 

Mehr als 47 Millionen Passagiere starteten und landeten letztes Jahr am Flughafen von Barcelona, mehr als doppelt so viele wie Anfang des Jahrtausends. Ich hätte mich also einfach in diese Statistik einreihen können – so wie ich es oft genug mache, wenn ich etwa beruflich reisen muss. Stattdessen wählte ich diesmal die langwierigere und teurere Variante. Erst von Hamburg nach Paris, dann von Paris nach Barcelona. Ich überlegte, in Paris endlich ein paar Freunde zu besuchen, die ich schon viel zu lange nicht mehr gesehen hatte, und über deren Köpfe ich sonst hoch oben über den Wolken hinweg gerauscht wäre. Die Fahrtzeiten wollte ich mir mit arbeiten vertreiben, mit einem Buch, Zeitung und Musik.

Meine erste Vierersitzgruppe teilte ich mir mit einem älteren schwäbischen Ehepaar und einem Mann mit Siegelring, der sich ebenfalls Arbeit mitgebracht hatte. Auf einer langen Zugreise wie dieser war ich darauf eingestellt, früher oder später in ein Gespräch mit meinen Mitreisenden verwickelt zu werden und von meiner Arbeit/ Zeitung/ Buchlektüre/ Musik ablassen zu müssen. Aber zumindest sitzen einem die Gesprächspartner nicht fast auf dem Schoß wie im Flieger. Der große Vorteil des Zugs gegenüber dem Flugzeug ist sowieso: Wenn es mir zu anstrengend wird, kann ich einfach aufstehen und gehen. Dazu gab es aber keinen Anlass: Das Paar vertrieb sich die Zeit größtenteils mit dem Verzehr vorher eingetüteter und eingetupperter Verpflegung und setzte dann und wann zum Smalltalk an, auf den der Siegelring-Mann und ich verhalten einstiegen. Aus dem so entstehenden Gespräch erfuhr ich: Er war Priester und ebenfalls auf dem Weg nach Paris. Und er hatte sich ebenfalls der Umwelt zuliebe für die Zugfahrt entschieden.

Nach der Studie „The carbon footprint of global tourism“, die eine Gruppe australischer Forscher im Mai im Magazin Nature veröffentlichte, ist der Tourismus für acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Hauptsächlich ist daran der Luftverkehr Schuld. Und das wird in den kommenden Jahren nicht weniger, sondern mehr: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung rechnet bis 2030 mit doppelt so viel Touristen wie heute – ein Großteil von ihnen wird per Flugzeug reisen. Sie werden die Gewichtsbeschränkungen ihrer Koffer so gut es geht ausreizen, an den Sicherheitskontrollen Schlange stehen, zu ihren Gates hetzen, bei den Sicherheitshinweisen nicht aufpassen, keine bequeme Position für die Beine finden und sich trotzdem darüber ärgern, dass ihre Handgepäckskoffer nicht mehr in den Passagierraum passten.

In meinen Zugabteilen gab es Platz für jede Menge Handgepäckskoffer, ich konnte aus dem Fenstern so viel mehr beobachten als die Wolken von oben und in den Gängen herumlaufen, so viel ich wollte. Keine Anschnallpflicht, keine Turbulenzen, keine Schmerzen in den Knien. In Paris angekommen war ich weder verschwitzt, gehetzt noch gerädert, sondern tatsächlich entspannt. Die Fahrt und der eintägige Zwischenstopp waren ein kleiner Urlaub für sich, die Fahrt vom Gare de Lyon nach Barcelona Sants verging tags darauf mit der Aussicht auf die französische Landidylle wie im Flug. Anhand der Kleidung der Menschen da draußen ließen sich die steigenden Temperaturen erahnen, Lavendelfelder zogen vorbei und da glitzerte auch schon das Meer. In Barcelona angekommen hatte ich fast einen ganzen Artikel geschrieben, einen Kurzurlaub in Paris verbracht und fremde Menschen kennengelernt, mit denen ich sonst vermutlich nie ins Gespräch gekommen wäre – und ich hatte ein Gefühl für die zurückgelegte Entfernung. Vor allem aber hatte ich keine 561 Kilogramm CO2 ausgestoßen, die ein Hin- und Rückflug verursacht hätten. Und dafür musste ich nicht einmal die Luft anhalten.

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