„Yo soy un guardián de la polinización“, sagt der achtjährige Emmanuel voller Stolz. Übersetzt heißt das: „Ich bin ein Wächter der Bestäubung.“ Hinter dem kolumbianischen Schüler schimmern an steilen Hängen die Kaffeepflanzen nach einem Regenschauer smaragdgrün in der Sonne. Im wichtigsten Kaffeeanbaugebiet Kolumbiens in der zentralen Andenregion befinden sich die Kaffeefarmen in Höhen von 1000 bis 2000 Metern über dem Meeresspiegel. Doch auch hier oben beobachten Wissenschaftler seit einigen Jahren einen starken Rückgang der Insektenpopulation. Die Ursachen dafür sind – unter anderem – ein verstärkter Einsatz von Herbiziden und Insektiziden. Außerdem wird Kaffee meist als Monokultur angebaut, und so fehlen vielen Insektenarten Pflanzen, die sie ebenfalls für ihr Überleben brauchen.

Um ein Verständnis zu schaffen, was das Verschwinden der Insekten, für Mensch und Vegetation in der Kaffeeanbauregion bedeutet, hat die Universität in Medellín ein Projekt mit dem Namen „Guardianes de la Polinización“ ins Leben gerufen. Medellín ist die zweitgrößte Stadt in Kolumbien und Hauptstadt der Provinz Antioquia. Im Rahmen des Projekts besuchen Entomologinnen und Biologinnen Schulen in der Kaffeeanbauregion und erläutern den Schülerinnen und Schülern die Bedeutung der Insekten für ein funktionierendes Ökosystem. „Mit dem Projekt wollen wir vermitteln, dass die Insekten als Basis vieler Ökosysteme geschützt werden müssen. Die Monokulturen der Kaffeeanbaugebiete erlauben keine natürliche Balance. Deshalb besteht immer die Gefahr, dass die Kaffeepflanzen von Schädlingen befallen werden – und dann setzen die Kaffeeanbauer Chemikalien ein“, sagt die Entomologin Diana Castillo.

Im Kaffeeanbaugebiet in Kolumbien lernen Schülerinnen und Schüler, wie wichtig Insekten für die Kulturpflanzen sind

Im Kaffeeanbaugebiet in Kolumbien lernen Schülerinnen und Schüler, wie wichtig Insekten für die Kulturpflanzen sind

Kaffeepflanzen – darunter auch jene der beiden meist verbreiteten Arten Robusta (Coffea canephora) und Arabica (Coffea arabica) – sind selbstbestäubend, da Blüte und Stempel relativ nah beieinander liegen. Grundsätzlich sind also für die Befruchtung und Fortpflanzung Insekten nicht zwingend nötig. Forschungen haben jedoch gezeigt, dass Pflanzen, die dennoch durch Insekten bestäubt wurden, wesentlich ertragreicher und resistenter gegen Schädlingsbefall sind – auch aufgrund dieser Erkenntnis werden in der kolumbianischen Kaffeeanbauregion Projekte wie die „Bestäubungswächter“ initiiert und gefördert. Mit einem jährlichen Exportumsatz von etwa 2,5 Milliarden Euro ist der Kaffeeanbau für Kolumbien ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Etwa 730.000 Arbeitsplätze hängen direkt mit der Kaffeeproduktion zusammen, während der Erntesaison sogar bis zu zwei Millionen.

„Die Erwachsenen haben handfeste ökonomische Probleme, die sie lösen müssen und mit denen sie hauptsächlich beschäftigt sind“, sagt Diana Castillo. „Deshalb wenden wir uns mit dem Projekt an Kinder. Sie sollen eine Sensibilität für die ökologische Problematik entwickeln.“ Tatsächlich sinken die Kaffeepreise auf dem Weltmarkt, und für viele kleine und mittelgroße Betriebe geht es vor allem darum, möglichst kostengünstig Kaffee anzubauen. „Doch die Achtjährigen von heute sind in nicht allzu ferner Zeit erwachsen und in der Situation, dass auch sie entscheiden müssen, wie sie mit der Natur umgehen und wie sie sie nutzen wollen“, sagt Castillo. Deshalb besuchen die Biologinnen regelmäßig ausgewählte Schulen der Region.

Der Unterricht beginnt mit einer Frage: „Wozu brauchen wir die Insekten?“ Wenig später ist den Schülerinnen und Schülern bewusst: „Ohne sie gäbe es viele Pflanzen und Früchte nicht. Und ohne die kann der Mensch nicht überleben.“ Das ist so einfach wie fundamental. Die Kinder sind beeindruckt.

<p>Welche Rolle spielen Insekten für die Kaffeepflanzen? Beim Artenvielfaltsprojekt der Universität in Medellín untersucht ein Mädchen die Kaffeepflanze</p>

Welche Rolle spielen Insekten für die Kaffeepflanzen? Beim Artenvielfaltsprojekt der Universität in Medellín untersucht ein Mädchen die Kaffeepflanze

Mehrmals, über einen Zeitraum von Wochen, findet der Unterricht statt. Die Biologinnen erklären zunächst, wie die Bestäubung funktioniert und  stellen anschließend die wichtigsten Insektenarten der Kaffeeregion vor. Später geht es darum, was sich aktiv gegen das Insektensterben tun lässt. Wie werde ich ein Wächter der Artenvielfalt? Gemeinsam werden Gärten angelegt, in denen die Insekten Pflanzen finden, die sie zur Eiablage und als Nahrungsquelle brauchen. Je mehr die Schüler über Insekten wissen, desto eher sind sie bereit, sie als wichtigen Teil der Natur zu respektieren und zu schützen, hoffen die Biologinnen. Überdies werden auch die Eltern der Schüler mit einbezogen.

„Wie geben den Kindern Aufgaben mit nach Hause“, erzählt Eliana Flórez, Biologin und eine der Initiatorinnen des pädagogischen Projekts. „Zum Beispiel eine Auswahl an Fragen, die sie den Eltern über deren Wissen über Insekten und Bestäubung stellen sollen. In der Regel wissen die Erwachsenen in dieser Region nur wenig über diese Zusammenhänge, und so sind die Kinder auf einmal in der Lage, ihnen etwas erklären zu können.“ So erreicht der Impuls des Projektes bestenfalls auch diejenigen, die auf den Kaffeefarmen arbeiten – und womöglich sogar über den Einsatz von Pestiziden entscheiden müssen.

Am Ende einer Unterrichtseinheit findet eine Abschlussveranstaltung statt, zu der Mitschüler und Familien eingeladen werden. Auf spielerische Weise zeigen die Kinder, was sie von den Insektenforscherinnen gelernt haben. Beispielsweise, indem sie eine große Blüte aus Papier basteln, in deren Kelch sich eine Flasche mit Limonade befindet – aus der jeder von ihnen mit einem Strohhalm etwas „Nektar“ aufnimmt. Anschließend geht es mit einigen „Pollen“ aus Papierkugeln weiter zur nächsten Station.

Herbizide und Pestizide gefährden auch auf Kolumbiens Kaffeeplantagen die Artenvielfalt

Herbizide und Pestizide gefährden auch auf Kolumbiens Kaffeeplantagen die Artenvielfalt

Das Interesse, das die Menschen in der Zona Cafetera dem Projekt entgegenbringen ist groß, auch lokale Radio- und Fernsehsender haben schon darüber berichtet – schließlich geht es um die zukunft des Kaffeeanbaus, die Lebensgrundlage für viele Menschen in der Region. Dennoch ist die weitere Finanzierung des Projektes ungewiss, da die „Guardianes de la Polinización“ ausschließlich aus Mitteln der Universität in Medellin finanziert werden, die immer wieder neu beantragt werden müssen.

„Natürlich wäre Kontinuität wichtig“, sagt Diana Castillo. „Die Lehrer an den Schulen arbeiten sehr gern mit uns zusammen. Für sie ist neu, wenn jemand nicht nur vor der Klasse steht, sondern mit den Schülern Gärten anlegt, in die Natur geht und die Eltern als Ziel der Wissensvermittlung mit einbezieht.“ Würde nur ein Bruchteil der Gelder, welche die etwa 500.000 Mitglieder starke Federación Nacional de Cafeteros de Colombia (Interessengemeinschaft der Kaffeeanbauer) jährlich in die Entwicklung neuer Kaffeesorten investiert, Projekten wie Guardianes de la Polinización zukommen, wäre das ein wichtiges Signal für einen nachhaltigeren Umgang mit der Natur der Zona Cafetera.

„Vielleicht können wir nicht sämtliche Bienen retten“, sagt Diana Castillo. „Aber wir sehen die Guardianes de la Polinización als einen wichtigen Beitrag, um etwas gegen das Insektensterben zu tun.“

Lesen Sie mehr Geschichten über die Rettung der Artenvielfalt in der aktuellen Ausgabe des Greenpeace Magazins 5.18 „Wahrer Reichtum“. Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!