Es ist noch nicht lange her, da tauschten der nordkoreanischen Staatschef Kim Jong Un und US-Präsident Donald Trump Beleidigungen aus und drohten mit ihren Atomknöpfen. Die Angst vor Militärschlägen und dem Abwurf von Atombomben wuchs. Und jetzt die Kehrtwende: Kim Jong Un ließ Trump über einen südkoreanischen Sicherheitsberater seine Gesprächsbereitschaft übermitteln – und der US-Präsident ergriff die Chance auf Entspannung. Schon im Mai könnte es zu einem Treffen kommen. Grund zur Euphorie sei das noch nicht, sagt Klaus Scherer, ehemaliger Asienkorrespondent der ARD und Nordkorea-Experte. Das Regime in Nordkorea brauche immer Feinde, um nach innen den Machterhalt zu sichern. Kim sei in der Bredouille: Er will unter keinen Umständen sein Atomprogramm aufgeben, spürt aber den Druck der internationalen Sanktionen.

Herr Scherer, haben Sie die Olympischen Winterspiele in Südkorea verfolgt?

Ja, Eishockey mit Herzrasen, aber ansonsten nicht allzu intensiv.

Abgesehen von einigen sportlichen Highlights bleiben vor allem die Bilder der nordkoreanischen „Cheerleader“ in Erinnerung. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen als Sie die Bilder gesehen haben?

Wir sind sehr schnell mit dem Marionettenvergleich, reden über das „dressierte Volk“ in Nordkorea. Wenn aber in anderen Stadien ähnliche Choreographien aufgeführt werden, dann würden wir der perfekten Organisation Respekt zollen. Da sollte man fair bleiben. Es gibt bessere Beispiele, um zu belegen, wie bevormundet dieses Volk ist.

Zum Beispiel?

Man kann sich das nur schwer vorstellen, aber wenn Sie im Land unterwegs sind – ich bin viermal dort gewesen – und ihnen erwachsene Menschen ernsthaft erzählen, dass der Fernseher eine Erfindung vom großen Führer sei; oder wenn ein Lehrer einen Klappstuhl präsentiert und sagt, dass Kim Jong Un den selbst entwickelt habe und das doch zeige, wie sehr er sich um die Kinder sorge, dann will man diese Menschen schütteln und sie fragen, warum um alles in der Welt ihnen das jemand abnehmen sollte. Man lernt da, wie Gehirnwäsche funktioniert. Als Reporter fragte ich mich jeden Abend: Was war Fassade, was war inszeniert und was wäre wirklich so gewesen, auch wenn ich nicht da gewesen wäre.

Sind die „Cheerleader“ des nordkoreanischen Teams, die Olympischen Spiele an sich und die Annäherungen, die es im Vorfeld gegeben hatte, ein Propagandaerfolg für Kim Jong Un?

Erstmal hat Kim Jong Un Zeit gewonnen. Die Sanktionen wurden nicht erhöht, die Militärmanöver im Süden wurden ausgesetzt und es bleibt der Eindruck der Friedensgeste und der Gesprächsbereitschaft. Wenn es im Mai tatsächlich zu einem Treffen kommt, spricht viel dafür, dass dessen Erfolgsaussichten schon vorab geklärt wurden, damit hinterher keiner mit leeren Händen dasteht. Denn das ist der einzige Weg so eine bedrohliche Eskalation wie zuletzt zu stoppen. Dieses Gebrüll und die Drohgebärden, die sich Trump und Kim Jong Un da geliefert haben, waren ja furchtbar.

Wie groß ist die Mitschuld des US-Präsidenten an der Situation?

Er war da Teil des Problems. Es mag Kim sogar beeindruckt haben, dass Trump einfach nicht berechenbar ist und die Nordkoreaner auch nicht wissen, was sie von ihm zu halten haben. Generell ist es nicht hilfreich, wenn ein amerikanischer Präsident sich auf das Niveau von blanker Kriegsrhetorik und Säbelrasseln einlässt. Die martialischen Töne aus Nordkorea sind ja so alt wie das Regime selbst, die gibt es eigentlich seit dem Koreakrieg in den 1950ern. Wenn Trump nun entsprechend zurückpoltert, greifen das die Weltnachrichten auf. Und dann wird es schwer, wieder davon wegzukommen und trotzdem glaubwürdig zu bleiben. Denn ein militärisches Eingreifen ist keine Alternative. Das Risiko, dass wir uns tatsächlich in einem Atomschlag wiederfinden, ist einfach zu groß. Es hat mich in diesen Wochen immer wieder erschreckt, mit welcher Selbstverständlichkeit wir über eine Atomkriegsgefahr reden, wenn irgendwo Tests durchgeführt werden, fast so als würden wir die Börsenkurse vermelden. Da kriege ich Gänsehaut.

© NDR/AndersNDR-Reporter Klaus Scherer bei seinen Recherchen für den Film „Nervenkrieg um Nordkorea“, hier in der Ukraine
© NDR/Anders

NDR-Reporter Klaus Scherer bei seinen Recherchen für den Film „Nervenkrieg um Nordkorea“, hier in der Ukraine

In ihrem Film geht es auch um die Echtheit des nordkoreanischen Arsenals. Sind die Atomwaffen und Raketen einsatzbereit?

Es ist nicht nichts, was Kim da hat. Aber ich denke nach der Recherche, es ist weniger als er uns glauben machen möchte. Irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit. Dass Nordkorea eine Atombombenexplosion in einer vielfachen Stärke der Hiroshimabombe herbeigeführt hat, ist ziemlich unstrittig. Und dass sie irgendeine Form von Rakete besitzen und vermutlich auch bauen können, konnte man auch sehen. Robert Schmucker, der Raketenexperte aus dem Film, ist aber der klaren Meinung, dass die Raketen unter kriegerischen Bedingungen nicht taugen würden. Er sagt, dass sie nicht zuverlässig und treffsicher sind, in der Erdatmosphäre verglühen würden und dass sie keinen Sprengkopf von 500 Kilogramm über eine solche Distanz tragen könnten. Das alles ist aber schwer zu verifizieren. Mich hat auch der UNO-Mitarbeiter beeindruckt, der aufzählte, welche Trümmerteile einer nordkoreanischen Rakete die südkoreanische Marine aus dem Meer gefischt hatte. Er war erschrocken darüber, wie simpel die Rakete zusammengesetzt war, mit Kabeln, Schaltern und Kleber, wie in der Bastelstunde. Der Fund zeigte aber auch aus welchen Ländern das alles kam – trotz des Embargos.

Wo kommen die Teile her, die für so etwas nötig sind?

Nicht nur aus China und Russland, wie sich vermuten lässt, auch aus Südkorea, Amerika und der EU. Wir stießen auch auf Verbindungen nach Deutschland.

Sie sprechen damit die Sequenz aus dem Film an, in der es um die nordkoreanische Botschaft in Berlin geht.

Ja. Die Information war eher ein ungeplanter Beifang in dem Film. In einer Fußnote in einem UN-Bericht wurde die nordkoreanische Botschaft in Berlin als ein Ausgangspunkt für Beschaffungsspionage erwähnt. Es war eine Information, die ursprünglich vom Verfassungsschutz selbst kam. Dessen Präsident Hans-Georg Maaßen hat uns das bestätigt und erläutert, dass es Aktivitäten gab, um High-Tech-Komponenten für die Waffenprogramme zu beschaffen und auch, dass er nicht garantieren könne, dass seine Behörde dies alles bemerkt und verhindert.

Herr Maaßen wirkte in der Filmsequenz sehr gelassen, fast gleichgültig.

Den Eindruck konnte man haben. Es ist aber wohl realistisch, dass nicht alles entdeckt werden kann.

Was will Kim Jong Un eigentlich durch sein aggressives Auftreten erreichen?

Das einzige, was für mich schlüssig ist: Er möchte sich und seine Position im Lande erhalten.

Wackelt die denn?

Dass wir im Westen öfter mal über Regimewechsel in solchen Ländern reden und dass wir sicher auch einen nordkoreanischen Frühling unterstützen würden, wenn er käme, ist ja nicht von der Hand zu weisen. Insofern hat er schon einen Grund, besorgt zu sein, dass sein Regime auf Dauer nicht überlebt. Das macht mich offen gesagt auch etwas skeptisch gegenüber einer möglichen Entspannung auf die nun alle hoffen. Ich fürchte, dieses Regime braucht immer einen Feind von außen, um sich mit seiner Propaganda die uneingeschränkte Loyalität des Volkes zu sichern. Dazu dient auch das Atomprogramm.

Nach dieser Einschätzung gäbe es keine Aussicht auf Veränderung. Ist das ein realistisches Zukunftsszenario?

Mir fällt die Vorstellung zumindest schwer, dass dieses Land mit diesem Regime zu einem normalen und wohlhabenden Mitglied der Weltgemeinschaft wird.

Sie waren 2004 zum letzten Mal in Nordkorea. Haben Sie für den aktuellen Film versucht einzureisen?

Ja, klar. Ich hatte ein Gespräch bei der nordkoreanischen Botschaft in Berlin und es hieß, dass sie sich innerhalb von drei Wochen melden. Auf die Antwort warte ich bis heute. Ich sagte natürlich, dass die Welt angesichts der politischen Situation gerne mal die Sicht der Staatsführung selbst erfahren würde. Ich hatte noch weitere Vorschläge und irgendwann sagte der dritte Sekretär in der Botschaft: Hm, wollen sie nicht doch lieber was über den Nationalzirkus machen? So ist es immer.

Putin hat auch gerade angekündigt, dass er als Reaktion auf die Vorhaben der Amerikaner Russlands Atomwaffenprogramm erneuern möchte. Erschreckt Sie das alles?

Dass jetzt, solange nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Ende der Sowjetunion, Atomwaffen wieder hoffähig werden, damit habe ich nicht gerechnet. Und man muss dazu sagen: Auch die Atomwaffen, die uns als Mini-Atomwaffen präsentiert werden, haben die vielfache Kraft der Hiroshimabombe. Da darf man sich nicht in die Irre führen lassen. Aber auch diese Sandkastenspiele, die sich Amerikas Falken ausmalen: Stellen Sie sich vor, in Nordkorea steht die nächste Rakete bereit, das kann man ja sehen über Satellit, und dann schickt irgendwer einen Marschflugkörper und zerstört sie. Das wäre durchaus machbar. Die Frage ist aber: Wird Kim dann nur grummeln, so wie das Regime nur gegrummelt hat, wenn Südkorea mal ein Schiff versenkt hat? Oder wird der Druck auf ihn auf der Weltbühne so groß sein, dass auch er ein Signal setzen muss? Dann sagt wieder Trump, dass er sich das nicht bieten lassen kann und dann kommt man schnell in diese Gemengelage, in der Kriege anfangen, aus denen man nicht mehr weiß, wie man wieder herauskommt. Ganz ausgeschlossen ist das alles nicht.