Eine unheilige Allianz sonst verfeindeter Ölstaaten will der Wissenschaft nicht glauben. Doch Wolfgang Hassenstein sieht dennoch Hoffnungsstrahlen: Die schickt der Himmel

Was mir Sorgen macht: Die sture Macht des Öls

© picture alliance/AP PhotoMASSIVE PROBLEME
Walrosse zählen zu den Verlierern des Klimawandels. Das Meereis, das ihnen als Tauchplattform dient, schmilzt rapide
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MASSIVE PROBLEME
Walrosse zählen zu den Verlierern des Klimawandels. Das Meereis, das ihnen als Tauchplattform dient, schmilzt rapide

Unsere Töchter haben uns rumgekriegt: Wir haben jetzt Netflix. Vor ein paar Tagen waren wir verabredet, die Serie „Unser Planet“ zu gucken, kommentiert von David Attenborough, dem Altmeister der Naturdoku. Was als gemütlicher Familienfernsehabend geplant war, endete tränenreich.

Die Folge „Eiswelten“ zeigt nämlich, wie an Russlands Nordküste Walrosse von einer achtzig Meter hohen Klippe zu Tode stürzen. Laut den Filmemachern waren die Tiere dort aus Platznot hinaufgerobbt – die Eisschollen, auf denen sie sich sonst ausruhen, haben sich zurückgezogen. „Wir sind schuld“, rief schluchzend meine Zehnjährige, um auf unsere Beruhigungsversuche hin zu präzisieren: „Jedenfalls wir Menschen.“

Mir schien der Vorfall bezeichnend: Die Zeit des Wegsehens ist vorbei. So wie es Naturfilmern inzwischen sinnlos vorkommt, die Schönheit des Planeten zu feiern, ohne auf seine prekäre Gesamtlage hinzuweisen, funktioniert es auch andernorts immer schlechter, die Realität auszublenden.

So gab es im Juni auf einer UN-Konferenz in Bonn, zu der sich Delegierte der Länder alljährlich zwischen den Klimagipfeln treffen, einen bizarren Streit: Eine von Saudi-Arabien angeführte Staatengruppe wollte einen Passus im Abschlusstext unterbringen, der die „Wissenslücken“ im 1,5-Grad-Bericht des Weltklimarates von 2018 betont und dessen Nutzen in Frage stellt. Unterstützt wurden die Saudis ausgerechnet vom Erzfeind Iran, von den USA und Russland – ein Schelm, wer an die Ölvorräte dieser Länder denkt. Schließlich impliziert das 1,5-Grad-Ziel, dass der globale CO2-Ausstoß schon bis 2030 (!) um 45 Prozent sinken, also viel Öl im Boden bleiben muss.

Während im klimatisierten Kongresszentrum um Worte gerungen wurde (der Abschlusstext wurde dann etwas verwässert), herrschte draußen Bullenhitze. Das klimatische Rahmenprogramm in Bonn war symptomatisch: Es war der wärmste Juni seit Beginn der Messungen – in Bonn, in Deutschland, in Europa und weltweit.

Das zeigte den Klimadiplomaten, dass es wahrlich Wichtigeres zu tun gab als Wortklaubereien. Zum Beispiel diskutierten sie auf der Konferenz, wie verhindert werden kann, dass Staaten ihre CO2-Einsparungen schönrechnen. Demnächst wird es ernst: Ab 2020 muss das Pariser Abkommen „implementiert“, also umgesetzt werden.

Vor allem müssen die Staaten dann ihre Klimaschutzzusagen erhöhen. Experten kalkulieren, dass eine Verfünffachung der Ambitionen nötig ist, um das globale Klimaziel zu erreichen. Wichtigstes Instrument dabei: Weltweit muss der Ausbau der Erneuerbaren drastisch beschleunigt werden.

Was mich hoffen lässt: Die wunderbare Kraft der Sonne

Sie denken, dass ich auf dieser Seite meiner Kolumne das Hoffnungsvolle krampfhaft herbeischreiben muss? Stimmt nicht, denn man stößt, wenn man die Augen offen hält, auf viele ermutigende Meldungen aus Wirtschaft und Wissenschaft. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass die meisten auf der Tatsache basieren, dass wir Erdlinge bei der Klimarettung eine kosmische Macht auf unserer Seite haben. Auch wenn die Sonne zuweilen erbarmungslos scheint: Ohne sie ginge gar nichts.

Am besten gefällt es mir, wenn Experten über eine positive Entwicklung selber staunen – wie jüngst über unerwartet sonnige Aussichten für die Solarbranche. „Die Geschwindigkeit des Wandels in der Fotovoltaikindustrie, sowohl hinsichtlich der fortschreitend dramatischen Kostensenkungen als auch der Zunahme der Fertigung, hat viele Beobachter, inklusive viele von uns, überrascht“, schrieb im Mai ein 45-köpfiges internationales Forscherteam im Fachmagazin „Science“.

© picture alliance/Westend61<p>LEICHTE LÖSUNG<br />
Solarzellen werden immer besser – und billiger</p>
© picture alliance/Westend61

LEICHTE LÖSUNG
Solarzellen werden immer besser – und billiger

Die Zahlen sind in der Tat gewaltig: Ende 2018 waren weltweit 500 Gigawatt Solarenergie installiert, bis 2023 könnten noch einmal so viel hinzukommen und die „Ära der Fotovoltaik im Terawattmaßstab“ beginnen. Anschließend erwarten die Forscher bis 2030 eine Verzehnfachung der installierten Leistung, bis 2050 seien gar dreißig bis siebzig Terawatt möglich – also rund das Hundertfache des heutigen Wertes.

„Die Kosten für Fotovoltaikmodule sind in den letzten vierzig Jahren um zwei Größenordnungen gesunken“, erklärt Andreas Bett, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg und einer der Autoren des Science-Artikels, seinen Optimismus. „Ende 2018 lagen sie unter 0,25 Dollar pro Watt“, in weiten Teilen der Welt sei Solarstrom nun „absolut wettbewerbsfähig“. Jetzt gehe es darum, Speichertechnologien und die Sektorenkopplung voranzutreiben, also die Elektrifizierung von Heizung und Verkehr.

Da passt es, dass die Fotovoltaik im Juni, der wie gesagt besonders heiß und sonnig war, erstmals zur stärksten Energiequelle in Deutschland aufstieg: Solaranlagen lieferten 19 Prozent des Stroms – und ließen damit sowohl die Braunkohle (18,7) als auch die Windkraft (17,5) hinter sich.

Es ist ein Rekord, von dem man sich jedoch nicht blenden lassen sollte. Die Tage werden nun erst mal wieder kürzer, viel schlimmer aber ist, dass die Bundesregierung den Fotovoltaikausbau seit Jahren mit allen möglichen Regeln und Obergrenzen ausbremst. Demnächst, wenn 52 Gigawatt installierte Leistung erreicht sind, soll auch noch der „Solardeckel“ fallen – dann würden Neuanlagen gar nicht mehr gefördert. Absurd in diesen Zeiten.

Und dennoch will ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass angesichts der Stimmung – unter Solarforschern, auf der Straße und in der Bevölkerung, die laut Umfragen größte Sympathien für die Sonnenenergie hegt – in Berlin bald der Groschen fällt. Der Ausbau kann und muss laut Experten versechsfacht werden, will Deutschland auf den Emissionspfad von Paris kommen. Auf deutschen Dächern – ob privat oder öffentlich – ist noch jede Menge Platz!

*Da noch keine neuen Werte verfügbar sind, ist der Pegelstand gegenüber der vorigen Ausgabe unverändert