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Atomwaffenverbot tritt in Kraft - aber ohne Deutschland Von Michael Fischer und Benno Schwinghammer, dpa

Atomwaffen sind ab Freitag verboten. Das klingt erstmal nach einer guten Nachricht. Ganz so einfach ist das aber nicht. Denn sämtliche Atommächte ignorieren das Verbot. Und auch Deutschland ist nicht dabei. Der Widerstand gegen diese Haltung wächst aber.

New York/Berlin (dpa) - Das von fast zwei Dritteln aller Länder der Welt beschlossene Verbot von Atomwaffen tritt an diesem Freitag in Kraft. Der UN-Vertrag, der Besitz, Erwerb, Entwicklung und Stationierung von solchen Waffen untersagt, hat aber einen Haken: Alle Atommächte sowie sämtliche Nato-Staaten und damit auch Deutschland lehnen ihn weiterhin ab. Damit bleibt er zunächst unwirksam, zumindest was konkrete Abrüstungsschritte angeht. Die Bundesregierung erklärte kurz vor Inkrafttreten sogar, der Vertrag trage «tendenziell zur Verhärtung des Abrüstungsdialogs» bei.

Der Widerstand gegen diese harte Haltung wächst aber - auch innerhalb der Regierungskoalition. Das Friedensnetzwerk Ican, das den Vertrag initiiert hat und dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, forderte die Bundesregierung am Donnerstag zu einem Kurswechsel auf: «Das Festhalten an der Abschreckungspolitik wird Deutschlands Status als humanitärer Vorkämpfer auf der Weltbühne langfristig schaden», sagte Geschäftsführerin Beatrice Fihn.

Der UN-Verbotsvertrag war 2017 von 122 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen beschlossen worden. Er tritt nun in Kraft, weil ihn inzwischen mehr als 50 Staaten ratifiziert haben. Das Vertragswerk war von Ican initiiert worden, nachdem die Abrüstungsbemühungen auf der Grundlage bestehender Vereinbarungen wie dem seit 1970 geltenden Atomwaffensperrvertrag ins Stocken geraten waren.

Nach den jüngsten Schätzungen des Friedensforschungsinstituts Sipri von Anfang 2020 gibt es weltweit noch 13 400 Atomwaffen in neun Ländern, die meisten in den USA (5800) und Russland (6375). Alle diese Länder boykottieren den Atomwaffenverbotsvertrag. Die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich halten den Atomwaffensperrvertrag weiterhin für die beste Grundlage für konkrete Abrüstungsschritte. In ihm wird ebenfalls allen Vertragsstaaten außer diesen fünf der Erwerb von Atomwaffen verboten. Die Atommächte verpflichten sich gleichzeitig zu Verhandlungen über konkrete Abrüstungsschritte bis zur vollständigen Vernichtung ihrer Waffen.

Deutschland folgt der Argumentation der Atommächte. In einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag macht die Bundesregierung sogar deutlich, dass sie den neuen Vertrag für kontraproduktiv hält, weil sich daraus eine nachrangige Behandlung bestehender Vereinbarungen ergebe. «Aus Sicht der Bundesregierung kann dies zu einer Fragmentierung und realen Schwächung internationaler Abrüstungsbemühungen im nuklearen Bereich führen», heißt es in dem Schreiben der Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Antje Leendertse, das der Deutschen-Presse-Agentur vorliegt. Sie vertritt darin zudem die Auffassung, dass Deutschland mit einem einseitigen Beitritt zum Vertrag gegen seine Nato-Verpflichtungen verstoßen würde.

Deutschland ist zwar keine Atommacht, beteiligt sich aber an der atomaren Abschreckung der Nato. Schätzungen zufolge lagern auf dem Fliegerhorst im rheinland-pfälzischen Büchel noch 20 US-Atombomben, die im Ernstfall von dort stationierten «Tornado»-Kampfjets der Bundeswehr abgeworfen werden sollen.

Grüne und Linke werben seit langem für einen Beitritt Deutschlands zum Verbotsvertrag. Die Grünen haben erst vergangene Woche einen Antrag dazu in den Bundestag eingebracht, über den vielleicht schon nächste Woche beraten werden soll. Die Linken-Außepolitikerin Sevim Dagdelen verlangte am Donnerstag von der Bundesregierung, «ihren Lippenbekenntnissen für eine atomwaffenfreie Welt endlich Taten folgen zu lassen».

Aber auch in der Regierungspartei SPD wächst der Widerstand gegen die harte Haltung der Bundesregierung. Fraktionschef Rolf Mützenich machte Anfang der Woche in einem Interview der «Heilbronner Stimme» klar, dass er sich einen Kurswechsel wünscht, um in der Abrüstungsdebatte glaubwürdig zu bleiben. «Deutschland darf sich nicht abseits stellen, will es nicht den Anschluss an solche Diskussionen verlieren. Wir sollten auf jeden Fall die Möglichkeit nutzen, als Beobachter an diesem Vertrag teilzunehmen», sagte er.

Dieser Beobachterstatus bedeutet, dass man an der Vertragsstaatenkonferenz teilnimmt, aber kein Stimmrecht hat. Allerdings müssen sich auch die Beobachter an der Finanzierung der Konferenz beteiligen, die voraussichtlich in etwa einem Jahr stattfindet.

Auch die Vereinten Nationen drängen Staaten wie Deutschland dazu, sich dem neuen Vertrag nicht zu verweigern. Die UN strahlen ihr Hauptquartier am New Yorker East River dieser Tage mit folgenden Worten an: «Atomwaffen, immer unmoralisch, jetzt illegal». Die ablehnene Haltung einiger Staaten verfolgt das Büro von UN-Generalsekretär António Guterres mit Unverständnis. «Staaten, die nicht beabsichtigen, dem Vertrag beizutreten, sollten die berechtigten Befürchtungen und alle nach Treu und Glauben unternommenen Anstrengungen zur Erreichung der nuklearen Abrüstung respektieren», fordert Guterres-Sprecher Stéphane Dujarric.

Auch er legt den skeptischen Ländern den Beobachterstatus nahe. Der würde es ihnen ermöglichen, «ihre Vorbehalte zu äußern und einen Dialog mit den Vertragsstaaten des Atomwaffenverbotsvertrages aufzunehmen», sagt Dujarric. Alle Länder müssten wieder einen Weg mit einer gemeinsamen Vision zur nuklearen Abrüstung einschlagen. Nach UN-Angaben haben bislang aber nur die Schweiz und Schweden Interesse bekundet, als Beobachter teilzunehmen. Beide europäischen Staaten gehören nicht der Nato an.