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Die Rückkehr der Generäle Von Martina Farmbauer, Nick Kaiser und Denis Düttmann, dpa

Sie sorgen für Sicherheit und verantworten Großprojekte, stützen autoritäre Machthaber und helfen demokratischen Regierungen beim Krisenmanagement. Immer öfter sitzen in Lateinamerika wieder Militärs an den Schaltstellen. In der Corona-Krise schlägt ihre Stunde. Rio de Janeiro (dpa) - In Lateinamerika hat das Militär für die schwärzesten Epochen der jüngeren Geschichte gesorgt. In Chile und Argentinien, Brasilien und Bolivien, Guatemala und Uruguay wurden während der Herrschaft der Generäle in den 1960er bis 1980er Jahren Zehntausende Menschen verschleppt, gefoltert und ermordet. Nach der Rückkehr zu Demokratie wurden die Soldaten in die Kasernen verbannt, doch jetzt kehren die Militärs ins öffentliche Leben zurück. Allerdings putschen sie sich diesmal nicht an die Macht, sondern werden von den gewählten Politikern zur Hilfe gerufen. Gerade während der Corona-Pandemie stützen sich viele Regierungen auf die Streitkräfte. Sie kontrollieren die Einhaltung der Ausgangssperre, organisieren die Beschaffung und Verteilung von medizinischem Material und transportieren Leichen ab. In Chile hat die Regierung das Militär schon während der Proteste im vergangenen Jahr auf die Straße geschickt, wegen der Corona-Krise wurde den Generälen jetzt sogar die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit übertragen. «Es gibt ein soziales Problem, das eine politische Antwort erfordert, aber stattdessen antwortet die Regierung mit einer Militarisierung», sagte der frühere stellvertretende Verteidigungsminister Marcos Robledo in einem Radiointerview. Wenn Soldaten aber Polizeiaufgaben übernehmen, für die sie nicht ausgebildet sind, kann das zu fatalen Fehlern führen: Weil ein Auto an einer wegen der Corona-Pandemie eingerichteten Straßensperre nicht stoppte, eröffneten Militärs zuletzt in Arica das Feuer und verletzten den Fahrer schwer. Trotz der Gräueltaten während der Militärdiktaturen genießen die Soldaten in vielen Länder der Region hohes Ansehen. Laut der jüngsten Erhebung des Latinobarometro vertrauen 44 Prozent der Bevölkerung in Lateinamerika den Streitkräften. Die Regierungen kommen im Schnitt gerade mal auf 22 Prozent, Parlamente und Parteien liegen noch darunter. Politikern wird in Lateinamerika immer wieder vorgeworfen, nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht zu sein, während die Streitkräfte oftmals als pflichtbewusst und weniger anfällig für Korruption gelten. BRASILIEN: Der rechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro - selbst Hauptmann der Reserve - ist ein glühender Anhänger des Militärs. Fast jeder vierte Minister in seinem Kabinett gehört den Streitkräften an. Aus ihrer Sympathie für die Militärdiktatur (1964 - 1985) machen sie ebenso wenig einen Hehl wie aus ihrer Verachtung für mühsame demokratische Verhandlungsprozesse. Frustriert über das Parlament wollte General Augusto Heleno, Chef des Kabinetts für institutionelle Sicherheit, zuletzt Bolsonaros Anhänger gegen den Kongress auf die Straße schicken. Vertreter verschiedener politischer Lager warnten vor einem Anschlag auf die verfassungsmäßige Ordnung. In der aktuellen Corona-Krise profilieren sich die Militärs als Advokaten der Vernunft. Während Bolsonaro die Pandemie als «leichte Grippe» verharmlost und sich gegen jegliche Schutzmaßnahmen stemmt, warb Vizepräsident General Hamilton Mourão für Quarantäne von Kranken und die Minimierung sozialer Kontakte. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Datafolha bewerten nur 33 Prozent der Brasilianer Bolsonaros Umgang mit der Corona-Krise als gut, im politischen Brasília ist der Präsident zunehmend isoliert. Gerüchte, nach denen Präsidialamtsminister General Walter Braga Netto als «geschäftsführender Präsident» schon die Regierung übernommen habe, stellten sich zwar als falsch heraus. Richtig ist aber, dass Netto bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie immer mehr Kompetenzen an sich gezogen hat. BOLIVIEN: Im Kampf gegen die Corona-Pandemie setzen Soldaten in dem Andenstaat die Ausgangsbeschränkungen durch. Die Übergangsregierung der konservativen Interimspräsidentin Jeanine Áñez kündigte an, die Stadt Santa Cruz im Osten Boliviens zu «militarisieren», nachdem es immer wieder Verstöße gegen die Ausgangssperre gab. «Wir sind in einem Krieg gegen einen unsichtbaren Feind», sagte der Minister für Entwicklung, Wilfredo Rojo. «In Kriegszeiten haben die Bürger zu gehorchen.» Bereits bei den Unruhen im vergangenen Jahr spielten die Streitkräfte eine entscheidende Rolle. Nach tagelangen Protesten gegen eine mutmaßliche Manipulation der Wahl war es letztlich die Militärführung, die Staatschef Evo Morales zum Rücktritt und zur Flucht ins Exil drängte. MEXIKO: Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern in der Region haben die Streitkräfte in Mexiko traditionell keine politische Machtposition. Neuerdings werden Soldaten allerdings immer mehr in nicht-militärischen Bereichen eingesetzt - etwa bei wirtschaftlichen Großprojekten sowie in der Grenzsicherung und der öffentlichen Sicherheit. Der linksnationalistische Präsident Andrés Manuel López Obrador hat die Generäle mit dem Bau eines neuen Flughafens für Mexiko-Stadt und von 2700 Filialen einer staatlichen Fürsorgebank beauftragt. In der Corona-Krise helfen Soldaten auch, die Krankenhäuser mit Medizinbedarf zu versorgen. EL SALVADOR: Präsident Nayib Bukele sorgte im Februar für Entsetzen, als er bewaffnete Soldaten während einer Sitzung im Parlament aufmarschieren ließ. Er wollte damit die Abgeordneten zur Genehmigung eines Darlehens zur Finanzierung seines Sicherheitsplans drängen. Der Anblick der Soldaten im Parlament weckte bei vielen Salvadorianern Erinnerungen an den Bürgerkrieg, der erst 1992 nach zwölf Jahren mit 75 000 Todesopfern endete. VENEZUELA: Der autoritäre Staatschef Nicolás Maduro hält sich seit Jahren nur noch mit der Unterstützung des Militärs im Amt. Im Machtkampf mit dem selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó stützt er sich auf die Generäle. Im Gegenzug für ihre Loyalität erhalten die Streitkräfte weitreichende Befugnisse und Zugang zu lukrativen Geschäftsfeldern. Ranghohe Militärs sitzen an den wichtigen Schaltstellen der Macht, kontrollieren das Ölgeschäft, den Import von Lebensmitteln, Banken und Bergbaufirmen. Große Teile der Gewinne - Venezuela zählt zu den korruptesten Staaten der Welt - dürften nach Einschätzung von Experten in den Taschen der Generäle verschwinden.

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