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G7-Neustart mit Biden - Kollektives Aufatmen nach Trump Von Can Merey und Ansgar Haase, dpa

«Amerika ist zurück», das wird Joe Biden bei seiner ersten Europareise als US-Präsident nicht müde zu betonen. Beim G7-Gipfel tritt er den Beweis an, dass die Verbündeten nach den Trump-Jahren wieder auf die USA bauen können - auch wenn Differenzen bleiben.

Carbis Bay (dpa) - Zum Grillabend trifft man sich mit Freunden, und ein solches Signal dürfte G7-Gastgeber Boris Johnson beim Barbecue am Strand von Cornwall beabsichtigt haben. Frisch vom Grill wird den Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigen Industriestaaten und ihren Gästen am letzten Gipfel-Abend in Großbritannien Steak und Hummer gereicht, danach gibt es unter anderem Marshmallows. All das kennt der Mann, auf den sich alle Augen richteten, aus seiner amerikanischen Heimat. Für US-Präsident Joe Biden ist der Gipfel der erste Auftritt auf der Weltbühne seit seinem Einzug ins Weiße Haus. Der G7-Gruppe ist mit Biden der Neuanfang geglückt - auch wenn die demonstrative Harmonie nicht über Differenzen hinwegtäuschen kann.

Nach vier Chaos-Jahren mit Biden-Vorgänger Donald Trump machen die Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigen Industriestaaten in Cornwall keinen Hehl aus ihrer Erleichterung. Der britische Premierminister Johnson - der Trump aus der Gruppe am nächsten stand - schwärmt vom «frischen Wind», den Biden bringe. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron legt nach dem Auftaktfoto den Arm um ihn, wie bei einem alten Freund. «Es ist großartig, einen US-Präsidenten zu haben, der Teil des Clubs und sehr bereit ist, zu kooperieren», sagt Macron später bei einem Treffen mit Biden - und fügt an dessen Adresse hinzu: «Sie zeigen, dass Führung Partnerschaft bedeutet.»

Partnerschaft statt Alleingänge, Zusammenarbeit statt Zwist, «Amerika ist zurück» statt «Amerika zuerst» - die US-Nachrichtenseite Politico meint, Biden habe während seiner ersten Auslandsreise als Präsident viele Botschaften für die Verbündeten im Gepäck, womöglich sei diese aber die deutlichste: «Ich bin nicht Donald Trump.» Auch Kanzlerin Angela Merkel sagt, Biden «repräsentiert das Bekenntnis zum Multilateralismus, das uns doch in den letzten Jahren gefehlt hat». Am ersten Gipfeltag lädt Biden Merkel für den 15. Juli ins Weiße Haus ein, um «die tiefen bilateralen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland» zu unterstreichen.

Schon in Cornwall - Bidens erstem und Merkels letztem G7-Gipfel - kommen die beiden zusammen. Von einem «großartigen Treffen» spricht Biden danach in einem Tweet, er schreibt: «Die Verbindungen zwischen unseren beiden Nationen sind stärker denn je.» Das ist Balsam für die Deutschen, die zu Trumps Lieblingsgegnern gehört haben. Das gleiche gilt für die EU, deren Spitzenvertreter ebenfalls beim Gipfel sind. Trump bezeichnete die EU einst als «Gegner». Biden sagt nun: «Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass die Europäische Union eine unglaublich starke und lebendige Einheit ist.» Und über die Nato: «Der Zusammenhalt der Nato liegt uns sehr, sehr am Herzen.» Trump drohte dagegen mit dem Austritt aus dem Bündnis.

Das alles klingt gut. Doch hinter den Kulissen gibt es vor allem auf europäischer Seite auch eine gehörige Portion Ernüchterung. So zeigt sich Biden in der Klimapolitik bislang bei weitem nicht so zielstrebig wie es sich viele in der EU gewünscht hätten. Und auch bei den Bemühungen um eine Wiederbelebung des von Trump lahmgelegten Streitbeilegungsmechanismus der Welthandelsorganisation (WTO) ist der Demokrat bislang nicht die erhoffte Hilfe.

Hinzu kommt, dass Biden im Umgang mit China klar auf Konfrontation setzt, während die Europäer nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen eine zu starke Polarisierung vermeiden wollen. Auch beim Patentschutz für Corona-Impfstoffe beispielsweise liegen die G7 weiterhin nicht auf einer Linie: Biden und mehrere andere haben sich für eine Aussetzung offen gezeigt, Merkel zum Beispiel gehört jedoch zu den Gegnern. Das alte Streitthema Nord Stream 2 kommt beim Treffen Bidens und Merkels ebenfalls zur Sprache.

Das alles kann gleichzeitig aber nicht verhindern, dass Biden sein wichtigstes Ziel erreicht: Den Beweis anzutreten, dass die USA wieder auf die Zusammenarbeit mit ihren demokratischen Verbündeten setzen - und dass die Vereinigten Staaten bereit dazu sind, bei globalen Fragen eine Führungsrolle einzunehmen. Schon zum Auftakt seiner ersten Europareise hatte Biden dazu aufgerufen, die Demokratien der Welt gegen den Vormarsch von autoritären Systemen wie in China und Russland zu verteidigen.

Beim Thema Russland zeigt die G7 den Schulterschluss und stärkt Biden wie von ihm erhofft den Rücken. «Wir bekräftigen unser Interesse an stabilen und berechenbaren Beziehungen zu Russland», heißt es im Entwurf der G7-Abschlusserklärung. «Wir bekräftigen nochmals unsere Aufforderung an Russland, sein destabilisierendes Verhalten und seine schädlichen Aktivitäten zu stoppen, einschließlich seiner Einmischung in die demokratischen Systeme anderer Länder, und seine internationalen Verpflichtungen und Zusagen im Bereich der Menschenrechte zu erfüllen.»

Diese Geschlossenheit gegenüber Moskau ist für Biden jetzt besonders wichtig. Am Mittwoch geht er - nach Spitzentreffen mit der Nato und der EU in Brüssel - in seinen mit Spannung erwarteten Gipfel mit Kremlchef Wladimir Putin in Genf. G7-Gastgeber Johnson sagt CNN dazu in Cornwall, er gehe davon aus, dass Biden Putin bei dem Gespräch «einige ziemlich harte Botschaften» übermitteln werde.