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Geflüchtete Kinder kommen nächste Woche: Corona-Angst und Bürokratie Von Anne-Beatrice Clasmann und Takis Tsafos, dpa

Seit Monaten wird in der EU diskutiert, wo unbegleitete Kinder aus den Flüchtlingslagern in Griechenland unterkommen könnten. Luxemburg und Deutschland planen jetzt zwei Flüge. Acht EU-Staaten zögern noch wegen Covid-19. Andere Staaten wollen gar nicht mitmachen. Berlin/Athen (dpa) - Eigentlich wollten zehn EU-Staaten unbegleitete Minderjährige aus den überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland aufnehmen. Doch nur Deutschland und Luxemburg setzen ihre Zusage jetzt trotz Corona-Krise in die Tat um - zumindest teilweise. Ende kommender Woche sollen die ersten 50 Kinder in Deutschland ankommen. Das hat das Bundeskabinett am Mittwoch in Berlin entschieden. Die ersten zwei Wochen nach ihrer Einreise werden die Kinder, die alle noch in Griechenland auf das Coronavirus getestet werden, in Quarantäne in Niedersachsen verbringen. Anschließend sollen sie auf mehrere Bundesländer verteilt werden. Außer Deutschland ist aufgrund der Corona-Pandemie derzeit nur Luxemburg bereit, jetzt schon junge Migranten aus den informellen Lagern zu holen. Weitere Staaten, die ursprünglich auch Hilfe zugesagt hatten, machen den Zeitpunkt der Aufnahme davon abhängig, dass sie die Corona-Pandemie in den Griff bekommen. Deutschland will in nächster Zeit laut Bundesregierung noch rund 300 bis 450 weitere Minderjährige aus Griechenland aufnehmen. Der Koalitionsausschuss von Union und SPD hatte im März beschlossen, zusammen mit anderen EU-Staaten aus Griechenland insgesamt etwa 1000 bis 1500 Kinder zu holen und zu betreuen. Laut Innenministerium haben sich auch Frankreich, Luxemburg, Portugal, Irland, Finnland, Kroatien, Litauen, Belgien und Bulgarien bereiterklärt, Kinder und Jugendliche aufzunehmen. Nach Luxemburg sollen in einem ersten Schritt zwölf Kinder gebracht werden. Dass in dem Flugzeug, das Ende kommender Woche von Deutschland geschickt wird, voraussichtlich nur rund 50 und nicht etwa 70 oder 80 Kinder sitzen werden, hat auch mit dem komplizierten Auswahlverfahren zu tun. Deutschland hatte erklärt, es wolle vor allem kranke Kinder aufnehmen, Minderjährige im Alter unter 14 Jahren sowie möglichst viele Mädchen. Die Mehrheit der unbegleiteten Minderjährigen, die auf den Inseln unter erbärmlichen Umständen hausen, sind aber Jungen. Außerdem muss in jedem Einzelfall die Identität geklärt werden. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) werde weiter alles dafür tun, um so schnell wie möglich den Schutzsuchenden zu helfen, betont der Repräsentant des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge in Deutschland, Frank Remus. «Es geht aber um komplexe Auswahlverfahren, bei denen viele Punkte berücksichtigt werden müssen, viele Partner und Behörden beteiligt sind und viele Fakten geprüft werden müssen, einschließlich einer zweifelsfreien Identifizierung und Gesundheitstests.» Auch das Interesse das Kinder gelte es zu berücksichtigen. «Wenn ein Kind zum Beispiel Verwandte in Schweden hat, dann empfehlen wir natürlich eine Aufnahme dort und nicht in Deutschland», sagt Remus. Die Klärung solcher Fragen verzögere das Verfahren oft. Die Zusage von Bundesinnenminister Horst Seehofer sei «längst überfällig und zugleich ein Tropfen auf den heißen Stein», kritisiert Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne). Nach Ansicht von Pro Asyl sollten die Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln komplett geräumt werden, um eine unkontrollierte Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. «Es ist völlig abwegig, hierzulande die Seuche einzudämmen und dann wissentlich deren Ausbreitung an anderen Orten in der EU zuzulassen», meint der Geschäftsführer der Flüchtlingsrechte-Organisation, Günter Burkhardt. Denkbar sei etwa eine vorübergehende Unterbringung in Hotels in Griechenland, die wegen der Pandemie geschlossen wurden. Anschließend sollten die Schutzsuchenden zur Durchführung der Asylverfahren in andere EU-Staaten gebracht werden. «Ein Ausbruch von Covid-19 in den griechischen Elendslagern auf den Inseln ohne Zugang zu medizinischer Versorgung wäre eine humanitäre Katastrophe», warnt auch Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Um diese noch zu verhindern, müssten Deutschland und die EU jetzt handeln und wesentlich mehr Menschen direkt ausfliegen. Zwei Lager auf dem griechischen Festland sind bereits betroffen, die Evakuierung ist also keine Option mehr. Die in Quarantäne gestellten Lager von Malakasa und Ritsona befinden sich 45 und 75 Kilometer nördlich von Athen. Insgesamt leben dort rund 4800 Menschen. Der Koordinator der Organisation Ärzte der Welt auf der Insel Lesbos, Dimitris Patestos, hält eine Evakuierungsaktion auf den Inseln wegen Covid-19 aktuell für gefährlich. Er sagt: «Jetzt wo man in fast der ganzen Welt die Menschen in ihren Häusern hält, diese Menschen in Bewegung zu setzen, wäre verantwortungslos.» Besser wäre es aus seiner Sicht, «die Bedingungen in Moria und den anderen Lagern zu verbessern und, wenn das Virus-Problem vorbei ist, daran zu denken, wie man diese Menschen weiter bringt». Aktuell halten sich rund 39 700 Migranten und Flüchtlinge auf den griechischen Ägäis-Inseln auf. In den vergangenen drei Monaten hatten die Behörden rund 11 000 Menschen aus den informellen Flüchtlingslagern auf das Festland gebracht - vor allem Kranke und Menschen, die gute Chancen auf Asyl oder Flüchtlingsschutz in der EU haben.