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Gewehr bei Fuß? Das kann die Bundeswehr in der Coronakrise leisten Von Carsten Hoffmann

Medizinische Hilfe für Schwerkranke oder auch Objektschutz als Verstärkung der Polizei? Die Bundeswehr könnte in der Coronakrise einiges beitragen. Hohe rechtliche Hürden kann nur die Politik überwinden. Berlin (dpa) - «Melden Sie sich bei uns im Kommando!», lautet der Aufruf, mit dem das Sanitätswesen der Bundeswehr um Freiwillige wirbt. Reservisten vom Fach sollen als Verstärkung in der Coronakrise antreten. Bis Dienstag haben sich 1014 Männer und Frauen gemeldet, darunter 400 Experten aus den dringend gesuchten Pflege- und Labor-Bereichen. Bemerkenswert: Angefragt haben auch etwa 300 Menschen, die als «Ungediente» schon aus rechtlichen Gründen nicht einberufen werden können oder aber keine sanitätsdienstliche Ausbildung haben. Sie hat die Bundeswehr an zivile Hilfsorganisationen verwiesen. Fünf Krankenhäuser hat das Militär in Deutschland. Sie haben ihre Kapazitäten deutlich erhöht. «Die Bundeswehrkrankenhäuser sind in die Versorgung ziviler Patientinnen und Patienten eingebunden», sagt eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums. Das war aber auch vor der Coronavirus-Epidemie so. Welche Leistungsreserven sind also im Militär für die Gesamtgesellschaft zu heben? «Keinen Sinn würde machen, die mobilen Einheiten, also die Einsatzlazarette aufzubauen. Betrieben werden sie von dem Personal, das aus den Bundeswehrkrankenhäusern kommt und somit dort fehlen würde», sagt Oberstarzt Dr. Thomas Harbaum. Er ist im Sanitätswesen der Bundeswehr für alles verantwortlich, was mit Präventivmedizin, Gesundheitsschutz und Hygiene zu tun hat. «Und wir sind auch gerade dabei, zum Beispiel Beatmungsgeräte aus dem Material der mobilen Einheiten zu identifizieren, um sie zusätzlich in den Bundeswehrkrankenhäusern einsetzen zu können.» Teils hat der Sanitätsdienst aber eine besondere Expertise beim Infektionsschutz: Harbaum nennt als Beispie «Barrier nursing, das Barrieremanagement im Umgang mit hochinfektiösen Patienten». Erfahrungen damit gebe es beispielsweise aus einem Hilfseinsatz der Bundeswehr bei Ebola-Ausbrüchen in Afrika. Doch er bremst auch Erwartungen. «Wir sind im Vergleich ganz wenige», sagt Harbaum. Es gibt etwa 3000 Ärzte der verschiedenen Fachrichtungen in der Bundeswehr, im Gesamtkonzert des deutschen Gesundheitswesens eine kleine Gruppe, eher der «Juniorpartner», wie er es nennt. Die Bundeswehr muss zudem weiter in der Lage sein, mögliche Schwerverletzte aus Auslandseinsätzen in Deutschland zu versorgen. Mit einer sich verschärfenden Lage könnten aber auch andere Teile der Bundeswehr und ihrer 184 000 Soldaten zum Einsatz kommen - wenn zivile Experten infolge von Krankheit ausfallen oder ihre Arbeit als «Rädchen im Getriebe» nicht fortsetzen könne, weil es an anderer Stelle hakt. «Resilienz» lautet der Fachbegriff dafür - die Widerstandsfähigkeit eines Systems im Falle von Störungen. Militärplaner glauben, dass ein Einsatz von bis zu 50 000 Soldaten machbar wäre, falls der Staat händeringend gesuchte Spezialfähigkeiten auf die Straße bringen müsste: - ABC-Abwehr: Diese Einheiten können geschützt Infektionsquellen aufspüren und in hoher Qualität desinfizieren. - Logistik: Die Bundeswehr verfügt über Lastwagen und geschützte Depots für die Verteilung von lebensnotwendigen Gütern oder auch Medizinmaterial. - Infrastruktur: Kasernen sind bereits als Quarantänestationen eingesetzt worden. - Lufttransport: Die Hubschrauberflotte kann zivil unterstützen, ist in der Einsatzbereitschaft allerdings stark gebeutelt. Die Luftwaffe flog in der Coronakrise bereits Deutsche aus China aus. - Feldjäger: Sind ausgebildete Militärpolizisten, die ermitteln, Personen schützen und den Verkehr regeln können. Sie könnten auch Objekte schützen. Ihr Einsatz zur Unterstützung der Polizei von Bund und Ländern berührt aber das Feld der «hoheitlichen Aufgaben». In Österreich, Italien und Spanien sind militärische Einheiten bereits in solchen Unterstützungseinsätzen. Können die Lebensverhältnisse und Herausforderungen bei den EU-Partnern so anders sein als in Deutschland? In Deutschland ist vor allem die rechtliche Lage gründlich anders. Einsätzen der Bundeswehr im Innern setzt die Verfassung enge Grenzen - auch aus historischen Gründen. Das gilt für die ganze Vielfalt des Föderalismus, der als Gegenmodell zum «Führerstaat» angelegt ist. Die Verantwortung im Gesundheits- und Katastrophenschutz liegt bei Landkreisen, Städten und den Bundesländern. Als erstes Bundesland hat Bayern einen landesweiten Katastrophenfall ausgerufen - ein Schritt, um Zuständigkeiten und Einsatzführung auf Ebene eines Bundeslandes zentral zu koordinieren und zu bündeln. «Das Deutsche Heer hat jetzt den Auftrag, durch geeignete und zielgerichtete Maßnahmen die Einsatzbereitschaft für den Kernauftrag und die Führungsfähigkeit auch für jedwede geforderte Unterstützungsleistung aufrechtzuerhalten», schrieb der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, selbst wegen Corana in «häuslicher Isolation», an seine Soldaten. «Wir stehen am Anfang eines Weges, dessen Richtung und Länge wir noch nicht abschätzen können.» Das auf Effizienz getrimmte Gesundheitswesen mit derzeit noch etwa 500 000 Krankenhausbetten zu verstärken, ist ein Rennen gegen die Zeit. Zum Vergleich: Allein die alte Bundesrepublik («Westdeutschland») hatte 700 000 Krankenhausbetten sowie 135 000 Betten in einer militärischen «Reservelazarettorganisation», die 2007 aufgelöst wurde. Als die Bundesregierung im Jahr 2016 ein neues Konzept zur zivilen Verteidigung verabschiedete, löste sie einen Sturm der Entrüstung vor allem von Politikern der Linken und Grünen aus. Im Brennpunkt der Kritik war der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Ihm wurde vorgeworfen, im Krisenfall Horrorszenarien mit Hamsterkäufen der Bevölkerung an die Wand zu malen. Die Bürger waren unter anderem aufgerufen worden, «einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln von zehn Tagen» und für einen Zeitraum von fünf Tagen je zwei Liter Wasser pro Person und Tag vorzuhalten - ein altbekannter Rat von Katastrophenschützern.