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Müller hält Verbände-Kritik an Lieferkettengesetz für «überzogen»

Ein Gesetz könnte deutschen Firmen mehr Pflichten entlang der Lieferketten aufbürden, um etwa Kinderarbeit zu verhindern. Für den Aufschrei der Unternehmen dagegen zeigt der Entwicklungsminister kein Verständnis.

Berlin (dpa) - Entwicklungsminister Gerd Müller weist Einwände der Wirtschaft gegen ein Gesetz zur Einhaltung von Menschenrechten in internationalen Lieferketten zurück. «Die Kritik der Unternehmensverbände ist überzogen», sagte der CSU-Politiker der «Augsburger Allgemeinen» (Donnerstag). «Es muss endlich Schluss damit sein, dass Unternehmen durch Nichteinhaltung von Produktionsstandards Kosten auf die Schwächsten der Lieferkette abwälzen. Kein Unternehmen darf Kinderarbeit und Sklaverei einfach hinnehmen mit dem Argument: Ich kenne meine Lieferkette nicht.»

Aus Sicht der Grünen-Politikerin Renate Künast muss ein Gesetz, das Unternehmen auf Sozial- und Umweltstandards entlang der Lieferkette verpflichtet, auch die Rechte von Frauen berücksichtigen. «In den globalen Lieferketten sind besonders Frauen benachteiligt und tragen höhere Risiken als Männer», sagte die frühere Bundesministerin für Verbraucherschutz der Deutschen Presse-Agentur. Das Gesetz müsse klarstellen, dass Unternehmen die in der UN-Frauenrechtskonvention genannten Rechte achten müssten. «Wir brauchen ein geschlechtergerechtes Lieferkettengesetz», sagte Künast.

In der Bundesregierung ist ein Gesetz im Gespräch, das deutsche Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechtsstandards auch bei Zulieferfirmen im Ausland verpflichten soll. Eine Befragung von Firmen hat ergeben, dass nur 22 Prozent die Standards einhalten. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist vereinbart, dass die Koalition in diesem Fall gesetzlich auf nationaler Ebene tätig wird. Dafür machen sich vor allem Müller und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) stark, Bedenken hatte unter anderem Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) deutlich gemacht. Es geht dabei nur um größere Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten.

Handel und Industrie stemmen sich gegen ein solches Gesetz. Sie befürchten Nachteile im internationalen Wettbewerb.

Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft kritisierte, die Bundesregierung erweise den Ländern, die sie mit dem Lieferkettengesetz schützen wolle, einen «Bärendienst». Verbandspräsident Mario Ohoven sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Donnerstag): «Das zeigt sich am Beispiel Afrikas: Dort sind nur rund 850 deutsche Unternehmen derzeit aktiv. Eine Regulierung der Lieferbeziehungen würde Investitionen aus dem deutschen Mittelstand erschweren, wenn nicht sogar verhindern.» Ohoven warnte: «Den Nutzen hätten globale Wettbewerber, die es mit der Einhaltung bestimmter Standards nicht so genau nehmen.»

Entwicklungsminister Müller sagte der «Augsburger Allgemeinen», er sehe natürlich auch, dass die Corona-Krise die Wirtschaft gerade vor gewaltige Herausforderungen stelle, viele kämpften um ihre Existenz. «Gesetzlichen Verpflichtungen für faire Lieferketten schaffen aber keine unverhältnismäßigen Zusatzbelastungen für deutsche Unternehmen», argumentierte er.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hält die konkrete Umsetzung für entscheidend: «Es geht um das Prinzip der Verhältnismäßigkeit», sagte er der «Saarbrücker Zeitung» (Donnerstag). «Was kann und sollte ein Unternehmen wissen, und was kann es nicht wissen und auch nicht kontrollieren?» Grundsätzlich äußerte sich Fratzscher positiv zu den Überlegungen: «Wenn sich Unternehmen an Menschenrechtsstandards halten, aber andere nicht, dann ist das für Letztere ein klarer Wettbewerbsvorteil. Und das geht nicht», sagte er. «Wenn der Preis für Wettbewerbsfähigkeit ist, dass sich die Produktion eines T-Shirts oder Turnschuhs nur durch Kinderarbeit und andere inakzeptable Bedingungen rechnet, dann stimmt doch etwas nicht.»

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