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Rückblick auf die Flüchtlingskrise: ARD zeigt «Die Getriebenen» Von Martina Herzog, dpa

In der Virus-Pandemie richtet das Erste den Blick auf eine ganz andere Krise: Den Sommer 2015, als zahlreiche Geflüchtete nach Deutschland aufbrachen. Der Film rekonstruiert akribisch - nimmt sich aber auch die Freiheit zu fiktiven Szenen im Merkel'schen Wohnzimmer. Berlin (dpa) - Der Film «Die Getriebenen» wirkt in diesen Tagen eher wie ein Blick in eine Parallelwelt als in die Vergangenheit - ähnliches Personal, völlig andere Ausnahmesituation. Knapp fünf Jahre nach dem Flüchtlingssommer 2015 arbeitet die ARD die Ereignisse in einem 120-minütigen Fernsehfilm auf. Das Erste strahlt ihn am Mittwoch (15. April, 20.15 Uhr) aus. Vorlage ist das gleichnamige Sachbuch des «Welt»-Journalisten Robin Alexander, der darin minuziös die politischen Grabenkämpfe mehrerer Monate aufarbeitet, die das Land verändert haben. «Wenn man das Buch liest, wenn man den Film sieht, dann wird einem etwas klar, was man eigentlich weiß, sich aber nicht vor Augen führt: Wie enorm der Druck ist, unter dem Politiker stehen, die Geschwindigkeit, mit der sie agieren und reagieren müssen», sagt Martina Zöllner, Film und Dokuchefin beim Rundfunk Berlin-Brandenburg und Mitglied des Redaktionsteams. «Und zuweilen Entscheidungen von historischer Tragweite zu treffen haben, wie ja jetzt gerade auch.» Ungewollt und ungeplant spiegelt die eine Krise die andere, auch wenn die Jahre 2015 und 2016 im Vergleich zu heute mehr Überforderung als Bedrohung waren. Wieder verändert sich das Land, es geht um Solidarität und um Politiker, die Entscheidungen treffen müssen, die sie nicht vorhergesehen haben. Im Kampf gegen das Virus schließt die Bundesrepublik Grenzen, die damals offen blieben - allerdings standen da auch heimatlose Menschen auf der anderen Seite. Oder, wie der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) (Wolfgang Pregler) in einer Szene fragt: «Was machen wir, wenn 500 Flüchtlinge mit Kindern auf dem Arm auf unsere Bundespolizisten zulaufen?» Es ist schon die zweite große Produktion binnen eines Jahres, die die Ereignisse nachzeichnet. Den Auftakt machte das ZDF im September mit dem Dokudrama «Stunden der Entscheidung: Angela Merkel und die Flüchtlinge», das Interviews mit Spielszenen mischte. Die ARD schließt eine Flanke, die die ZDF-Produktion offen ließ: Merkels Gegenspieler, der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, nimmt breiten Raum ein - er ist es schließlich, der den Migranten den Weg nach Österreich und Deutschland öffnet und dann noch beschleunigt. «Viktor Orban ist eine Schlüsselfigur dieses Sommers, er treibt die anderen vor sich her und setzt sie massiv unter Druck», sagt Zöllner. «Er musste seinen Platz bekommen, um die Dynamik der Ereignisse verständlich zu machen.» Zentrale Figur ist im Film wie in der Realität aber Angela Merkel. Stoisch, rational, manchmal genervt vom Rat ihrer Mitarbeiter, auch mal mit einem öffentlichen Auftritt ein gezieltes Signal zu senden - etwa mit einem Besuch im Flüchtlingsheim, zu dem sie sich erst spät entschließt. Irgendwann halfen die Umfragen nicht mehr weiter und Merkel musste ihrem Gewissen vertrauen, glaubt Drehbuch-Autor Florian Oeller. «Sie wurde wie in einem griechischen Drama zur Entscheidung gezwungen. Sie musste auf ihr Inneres hören, weil sie in einer Situation gefangen war, in der sie nicht mehr wie gewohnt den Weg der Mitte beschreiten konnte.» Es sei ihr «nicht um eine Imitation oder Kopie» gegangen, sagt Merkel-Darstellerin Imogen Kogge. Die Frisur, die Jacketts, das alles ist Merkel. Körperlich sieht sie ihr allerdings nicht besonders ähnlich und auch Merkels Sprachfärbung klingt bei Kogge nicht an. «Es ging nicht darum, diese Ähnlichkeit auf Teufel komm raus durchzuhalten, sondern darum, die Dinge anzuzitieren, sie dann aber auch wieder zu verlassen», erklärt die Schauspielerin. «Und das ging irgendwie ganz gut.» «Für mich ist das ganz klar keine Doku-Fiction sondern ein Spielfilm», sagt Regisseur und Produzent Stephan Wagner. «Dabei will man dem tatsächlichen Ablauf der Dinge so nah wie möglich kommen, und zwar nicht nur den Fakten, sondern auch der inneren Wahrheit.» Zur inneren Wahrheit gehört für die Macher - trotz spürbarem Verständnis für Merkels Politik - die Konfrontation mit Widerspruch. Aus einer beiläufigen Feierabend-Unterhaltung mit Ehemann Joachim Sauer (Uwe Preuss) wird ein Streitgespräch. «Angela, das Ganze hier mit Syrien, das stand in jeder Zeitung, dass das passieren wird», wirft er ihr vor und erinnert sie gleich auch an die Überforderung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf): «Dein Management versagt und Du ziehst keine Konsequenzen.» Die Frau und Kanzlerin reagiert gereizt. «Wir wollten innere Konflikte in einer sehr harten fiktionalisierten Auseinandersetzung mit jemandem schildern, der ihren Lebensweg kennt und der sie auch nicht aus der politischen Warte heraus betrachtet und mit Umfragen wedelt, sondern ihren Kern berührt», sagt Drehbuchautor Oeller dazu. Regisseur Wagner betont: «Mir war es wichtig, dass wir die Kanzlerin als nicht nur von Ja-Sagern umgeben darstellen.» Und Eheleute gerieten auch einmal aneinander. «Es wäre mir realitätsfern vorgekommen, Herrn Sauer das Recht auf eine eigene Meinung zu unterschlagen, etwas zu sagen, das damals in der Luft lag. Ich kann nicht dafür garantieren, dass Herr Sauer diese Worte gesprochen hat, aber er steht in diesem Fall für viele.»

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