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Russischer Starregisseur Serebrennikow bleibt in Freiheit Von Christian Thiele und Ulf Mauder, dpa

Russlands bekanntester Filme- und Theatermacher Kirill Serebrennikow muss nicht in Haft. Trotzdem gilt seine Verurteilung als Schlag gegen die liberale Kunstszene. Angesichts von Protesten melden sich auch der Kreml und die Kulturministerin zu Wort.

Moskau (dpa) - Der russische Starregisseur Kirill Serebrennikow bleibt in Freiheit. Ein Bezirksgericht in Moskau verurteilte den 50-Jährigen am Freitag zu drei Jahren Haft - die Strafe wurde aber zur Bewährung ausgesetzt. Es sei nicht nötig, ihn von der Gesellschaft zu isolieren, sagte die Richterin Olessja Mendelejewa am Freitag der Agentur Interfax zufolge. Sie verhängte aber ein Verbot gegen ihn, weiter als Theaterdirektor zu arbeiten. Zudem sollten er und sein Team die veruntreute Summe von 129 Millionen Rubel (1,6 Millionen Euro) in die Staatskasse zurückzahlen. Vor dem Gerichtsgebäude brach Jubel unter den Demonstranten aus.

Zuvor wurde Serebrennikow wegen Veruntreuung staatlicher Fördergelder schuldig gesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte sechs Jahre Haft beantragt. Das Verfahren gegen den auch in Deutschland bekannten Künstler gilt als Schauprozess gegen die liberale Kunstszene in Russland. Hunderte Menschen, darunter viele Schauspieler, hatten trotz eines Demonstrationsverbots wegen der Corona-Pandemie in Moskau gegen das Urteil protestiert. Fans des mit vielen internationalen Preisen ausgezeichneten Filme- und Theatermachers hatten geweint, als Richterin Mendelejewa das Urteil verkündete.

Drei Jahre hatte das Verfahren gedauert - mit Serebrennikow standen auch seine drei Kollegen Sofja Apfelbaum und Alexej Malobrodski sowie Juri Itin vor Gericht. Malobrodski und Itin wurden ebenfalls verurteilt, Apfelbaum verließ ohne Strafe den Gerichtssaal. Die Richterin warf dem Künstlerteam vor, eine Gruppe für einen kriminellen Plan zur eigenen Bereicherung gegründet zu haben.

Russische Kulturschaffende bezeichneten das Verfahren als Versuch, die «moderne Kunst» in dem Riesenreich endgültig zu beerdigen. Es habe keine Beweise gegeben, betonte auch die Verteidigung. Der Starregisseur übt in seinen Filmen und Theateraufführungen immer wieder auch Gesellschaftskritik.

Richterin Mendelejewa verlas das Urteil in rasendem Tempo mit leiser und monotoner Stimme. Sie begründete den Schuldspruch mit den Aussagen von Serebrennikows Buchhalterin Nina Masljajewa, die die künstlerische Leitung belastet hatte. Masljajewa hatte einen Deal mit der Anklagebehörde geschlossen. Ihr Fall wird in einem getrennten Verfahren behandelt.

Serebrennikow erschien mit schwarzer Gesichtsmaske vor Gericht. Er hatte schon in seinem Schlusswort am Montag seine Unschuld beteuert. Zugleich räumte er ein, dass die Buchhaltung seines Theaters schrecklich organisiert gewesen sei. Er verstehe aber selbst nichts von Buchhaltung und Finanzen, sagte er. Deshalb gebe es Experten.

Als die Richterin am späten Vormittag eine Pause einlegte, meldete sich auch Kremlsprecher Dmitri Peskow zu Wort. Er sagte der Agentur Interfax zufolge, dass anhand dieses Falls analysiert werden müsse, wie sich die staatliche Finanzierung der Kultur in Russland gestalte. Verbreitet ist in der russischen Politik die Meinung, dass derjenige, der das Geld gibt, auch bestimmt, was gespielt wird. Deswegen bezeichneten es einige Kulturschaffende in Russland auch als Fehler, dass Serebrennikow überhaupt vom Staat Geld angenommen habe.

Kulturministerin Olga Ljubimowa sagte, dass gesetzliche Schritte ergriffen werden sollten, um solche Fälle wie bei Serebrennikow künftig auszuschließen. Ziel müsse eine stärkere Trennung von künstlerischer Leitung und Verwaltung bei Theatern und Orchestern sein. Die Ministerin wollte das Urteil zunächst nicht kommentieren - weil das Haus am Verfahren beteiligt und die geschädigte Seite sei. Der Staat habe einen großen Schaden erlitten, behauptete Ljubimowa.

Groß war aus Sicht der Prozessbeobachter vor allem der Schaden für die Kultur in Russland durch die Strafe für Serebrennikow. Serebrennikow leitet in Moskau das populäre Theater Gogol-Zentrum. Er inszenierte aber auch in Berlin, Stuttgart und Hamburg - oft in Abwesenheit, weil er im Hausarrest saß und auch nach seiner Freilassung im vergangenen Jahr nicht reisen durfte. Der prominente Rapper Oxxxymiron (Oksimiron) rief seine zwei Millionen Follower bei Instagram zu Protesten gegen immer wieder bestellte und inszenierte Strafverfahren in Russland auf.

Eingesetzt hatten sich für den Künstler auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie internationale Stars. Auch die deutsche Theaterszene protestierte gegen die Verurteilung vor der russischen Botschaft in Berlin. Es wurde vergeblich versucht, dem Botschafter eine Unterstützerliste mit 56 000 Unterschriften zu überreichen, wie die Dramaturgin Birgit Lengers sagte.

Bei dem Protest seien schätzungsweise 120 Menschen gewesen, so Lengers, die den internationalen Bereich des Deutschen Theaters Berlin leitet. Unter den Teilnehmern waren demnach neben Schauspieler Lars Eidinger weitere Theaterschaffende wie Ulrich Khuon, Thomas Ostermeier und Jossi Wieler.

Vor dem Gerichtsgebäude in Moskau empfingen viele Schauspieler, Sänger und Kulturschaffende Serebrennikow mit Beifall. Viele trugen T-Shirts mit der Aufschrift «Free Kirill!», insgesamt seien etwa 400 Menschen dort, wie ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur berichtete.

Russland erlebe gerade die «Wiedergeburt der Repressionsmaschine» wie zu Zeiten des Sowjetdiktators Josef Stalin, sagte die prominente Kulturexpertin Irina Prochorowa im Radiosender Echo Moskwy. Der Politologe Leonid Gosman sprach in einer Videoschalte der Internetplattform des Radiosenders von einem «echten Hass» des Machtapparats gegen Serebrennikow. «Das ist ein Regime, das gegen alles Lebendige, gegen alles Talentierte ist.»

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