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Ungleich hart: Warum die Corona-Krise Minderheiten stärker trifft Von Lena Klimkeit und Silvia Kusidlo, dpa

Corona hat längst das Weiße Haus erreicht. Selbst die Mächtigen dieser Welt sind nicht gegen eine Ansteckung gefeit. Doch das Virus entpuppt sich zusehends als Verstärker sozialer Ungleichheiten. Washington/London (dpa) - «Wir sitzen alle im selben Boot» - der Spruch scheint für die Corona-Krise zu stehen wie kein anderer. Das Virus hat nicht Halt gemacht vor Schauspielern wie Tom Hanks, Prinz Charles oder dem britischen Premier Boris Johnson. Im Weißen Haus in Washington rückt Corona immer näher an Präsident Donald Trump heran, ein Bediensteter infizierte sich, zuletzt wurde auch die Pressesprecherin des Vize-Präsidenten positiv getestet. «We are in this together», heißt es in den USA. Doch dort wird auf dramatische Weise deutlich, dass das Virus eben nicht alle gleichermaßen trifft. In den USA ist es - wie zum Beispiel auch in Großbritannien - üblich, bei Ämtern oder beim Arzt die ethnische Zugehörigkeit anzugeben. Die Daten sollen offenlegen, welche Unterschiede zwischen den gesellschaftlichen Gruppen bestehen, um gezielt gegen die Ungleichheiten vorzugehen. «Es ist verheerend», sagte Chicagos Bürgermeisterin Lori Lightfoot, nachdem sich abgezeichnet hatte, dass das Coronavirus Afroamerikaner besonders stark betrifft. In Chicago sind nach Behördenangaben fast 50 Prozent der Corona-Toten schwarz, dabei machen sie nur 30 Prozent der dortigen Bevölkerung aus. In der Hauptstadt Washington waren von mehr als 300 Toten mehr als 250 Afroamerikaner. In New York City machen Schwarze und Latinos mehr als 60 Prozent der Toten aus, die nach einer Corona-Infektion starben, Weiße weniger als 30 Prozent (Stand: 6. Mai). Experten zeigen sich alarmiert angesichts dieser Zahlen. Für Afroamerikaner hätten schon immer gesundheitliche Ungleichheiten bestanden, sagte der Berater von Präsident Trump, der Immunologe Anthony Fauci, Anfang April. Doch nun zeige sich einmal mehr, wie inakzeptabel das sei. Eine Krise wie die aktuelle werfe manchmal «ein helles Licht auf einige echte Schwächen in der Gesellschaft». Es gibt eine Vielzahl an Gründen, warum das Risiko in der Corona-Krise für Afroamerikaner und andere Minderheiten ungleich größer ist: Dazu gehören Lebens- und Arbeitsbedingungen, Vorerkrankungen und der Zugang zur Gesundheitsversorgung, wie eine Auflistung der Gesundheitsbehörde CDC verdeutlicht. Aus einer Erhebung der Stadt New York geht hervor: Schwarze und Latinos machen einen Großteil der unverzichtbaren Beschäftigten in der Krise aus, der «Frontarbeiter», wie sie derzeit immer wieder genannt werden. 60 Prozent des Personals in der Gebäudereinigung sind Latinos. 33 Prozent der Fernfahrer, Lagerarbeiter oder Mitarbeiter bei der Post sind Schwarze, 27 Prozent Latinos. Mehr als 40 Prozent der Beschäftigten im Öffentlichen Nahverkehr sind Schwarze. All das sind Jobs, die nicht von Zuhause erledigt werden können und in denen die Menschen verhältnismäßig weniger verdienen. Angehörige von Minderheiten leben zudem öfter auf engem Raum und in Mehr-Generationen-Haushalten zusammen, wie der oberste Gesundheitsbeamte der US-Regierung, Vizeadmiral Jerome Adams, erklärte. Das mache es ungleich schwieriger, soziale Distanz zu wahren oder Risikogruppen vor einem hochansteckenden Virus wie Sars-CoV-2 zu schützen. Hinzu kommt, dass Schwarze häufiger unter Diabetes, Herz- und Lungenerkrankungen litten, sagte Adams, der selbst Afroamerikaner ist. Die CDC führt Gesundheitsunterschiede unter anderem auf finanzielle und soziale Bedingungen zurück. Adams sagte, an seinem persönlichen Beispiel werde deutlich, was es bedeute, in Amerika «arm und schwarz aufzuwachsen»: Er habe Bluthochdruck, Asthma und eine Herzerkrankung. Das Risiko für einen schweren Verlauf der Krankheit Covid-19 sei für ihn und viele andere schwarze Amerikaner höher. «Die heutigen Ungleichheiten mit Blick auf die Gesundheit ergeben sich direkt aus den gestrigen Wohlstands- und Chancenunterschieden», schreibt Kolumnist Jamelle Bouie in der «New York Times». Der Journalist George Packer fasst es in der Zeitschrift «The Atlantic» so: In reichen Städten gebe es eine Schicht global vernetzter Schreibtischarbeiter, «die von einer Klasse prekärer und unsichtbarer Arbeitskräfte abhängig sind». «Das war die Landschaft, die das Virus angreifen konnte.» Die US-Regierung hat einen Bericht in Aussicht gestellt, der aufschlüsseln soll, warum das Coronavirus Minderheiten so viel härter trifft als andere Amerikaner. Das Problem ist jedoch nicht US-spezifisch: In Großbritannien stellten Experten fest, dass Schwarze im Fall einer Corona-Infektion ein mehr als vierfach höheres Sterberisiko haben als Weiße. Die nationale Statistikbehörde ONS fand solche Auffälligkeiten auch bei anderen Gruppen wie gebürtigen Indern, aber nicht so deutlich. Die Unterschiede bezeichnen Experten als «Ergebnis sozioökonomischer Benachteiligung und anderer Umstände» wie Armut und Wohnort - aber nicht alles sei damit erklärbar. Selbst um solche Faktoren bereinigt war das Risiko für Schwarze doppelt so hoch. David Lammy, Abgeordneter der oppositionellen Labour-Partei, nannte das Ergebnis «entsetzlich» und forderte, die Menschen mehr zu schützen. Eine Studie von Forschern der Universität Oxford und der London School of Hygiene and Tropical Medicine kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Sie analysierten dafür Gesundheitsdaten von über 17 Millionen erwachsenen Briten und 5707 Todesfällen in Kliniken. Die Forscher wollen den Zahlen nun weiter auf den Grund gehen. Liam Smeeth, einer der beteiligten Wissenschaftler, betonte, man brauche «sehr exakte Daten» zu den Risikogruppen. Nur so könnten die am meisten gefährdeten Patienten besser versorgt werden. Die Zahlen zeigten, «dass wir alle denselben Sturm überstehen müssen, aber nicht im selben Boot sitzen», sagte Helen Barnard von der Wohltätigkeitsorganisation Joseph Rowntree Foundation. Soziale Unterschiede und solche mit Blick auf Vorerkrankungen, die zu Ungleichheiten in Bezug auf die Gesundheit und Lebenserwartung führen, habe es immer gegeben - das Virus habe sie aber freigelegt, sagte Riyaz Patel, Privatdozent für Kardiologie am University College in London, der «New York Times». «Diese Pandemie war nicht der große Gleichmacher. Sie war gewissermaßen der große Verstärker.»