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Wenn Lyrik auf Politik trifft - erstes Buch von Aminata Touré Von Stella Venohr, dpa

Deutschlandweit bekannt wurde sie als erste afrodeutsche Vizepräsidentin eines Landtags. Nun hat die Grünen-Politikerin Aminata Touré ein Buch geschrieben, das vieles vereint und die Leserschaft herausfordert.

Berlin/Kiel (dpa) - Lyrik, Politik und Autobiografie: Drei Ebenen, die sich scheinbar nur schwer vereinen lassen. Eine ungewöhnliche Kombination für ein erstes politisches Buch, doch Aminata Touré selbst ist auch eine ungewöhnliche Politikerin. Einer Mehrheit in Deutschland bekannt wurde die 28-jährige Grünen-Politikerin im Jahr 2019. Damals wurde sie in Kiel die erste afrodeutsche Vizepräsidentin eines deutschen Landtages. Am Donnerstag ist ihr erstes Buch «Wir können mehr sein» erschienen.

«Mein Weg in die Politik ist die Ausnahme», schreibt Touré. Sie merke es täglich an den Reaktionen von Menschen: «Die Regel ist, dass es junge Schwarze Frauen in den Räumen, in denen ich mich bewege, kaum gibt.» Doch es müsse mehr Politikerinnen und Politiker geben, «die dafür auf verschiedene Hintergründe und Erfahrungen zurückgreifen können, migrantische, arme Personen oder Menschen aus anderen marginalisierten Gruppen.»

Tourés Buch ist geprägt von Elementen ihrer eigenen Geschichte. «Ich möchte aufschreiben, was es bedeutet, jung, Schwarz und eine Frau zu sein», heißt es in dem Buch. Dafür lässt die Autorin ihre Leserinnen und Leser ganz nah an persönliche Momente heran. Ihre Eltern flohen aus Mali nach Deutschland, ihre Schwestern und sie wuchsen zunächst in einer Unterkunft für Geflüchtete auf.

In den 1990er Jahren wurden in Deutschland Unterkünfte von Geflüchteten attackiert und in Brand gesteckt. «Meine Mutter erzählte mir vom Partner einer Freundin, der seine gesamte Familie, seine Frau und seine Kinder, bei einem der Anschläge verloren hatte. Sie waren alle verbrannt», schreibt die 28-Jährige. «Mariam [Anm.: ihre Schwester] erzählte mir von der Feuerangst meiner Mutter, die sich auch auf sie selbst übertrug. Offene Flammen lösten in ihr ein ungutes Gefühl aus.» Die Erfahrungen prägen Touré. «Eigentlich wollte ich mich nie wieder in meinem Leben mit dem Thema Flucht und Asyl beschäftigen, das hatte ich mir geschworen, nachdem wir die deutsche Staatsbürgerschaft erhielten», heißt es in dem Buch.

Es kommt anders: Ein Praktikum bringt Touré doch in die Politik und schließlich zu den Grünen. Lange haderte sie selbst mit dem Konzept politischer Parteien. «Mir ist ehrlich gesagt wurscht, ob Leute in einer Partei, einer NGO oder was weiß ich wo sind. Aber ich beschreibe in meinem Buch auch, dass ich es trotzdem wichtig finde, diese Kategorie Politik und Institutionen nicht komplett zu vernachlässigen», sagt die Politikerin in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Viele Entscheidungen für unsere Gesellschaft, sei es klimapolitisch, gesellschaftspolitisch, wirtschaftspolitisch usw., finden genau in diesen Räumen statt. Und deswegen macht es keinen Sinn, sich dem komplett zu entziehen.»

Aminata Touré hat sich mit ihrem Buch ein großes Ziel gesetzt: Sie möchte Menschen dafür begeistern, sich politisch einzubringen. «Ich treffe oft Menschen, die es sich nicht vorstellen können, ein politisches Amt zu übernehmen», beschreibt die Autorin. «In diesem Buch möchte ich von meiner Arbeit als Politikerin erzählen, denn ich habe schon oft die Erfahrung gemacht, dass sich mit ein bisschen Wissen sehr viele der Vorbehalte auflösen, die sich auf Gerüchte und Vermutungen stützen.»

Junge Menschen erreichen, politische Missstände anprangern und eigene Erfahrungen aufarbeiten - die Grünen-Politikerin wagt in ihrem Buch viel, indem sie all das vereint. Das wird zu einer Herausforderung für Leserinnen und Leser. Die Politikerin springt von Geschichten aus der Kindergartenzeit zu Parteitagen und wieder zurück zur Grundschule. Adressiert werden mal junge, diverse Menschen, die Ausgrenzung erleben, dann wieder die konservative Mehrheitsgesellschaft.

Ungewöhnlich wirken auch die Gedichte, die sich zwischen den Kapiteln im Buch finden lassen. «Dann war ich mir manchmal nicht so sicher, ob ich das wirklich machen sollte, weil viele Leute überhaupt gar keinen Zugang zu Lyrik haben», so Touré im Gespräch. «Die meisten stellen sich bei Lyrik halt immer irgendwelche Liebesgedichte vor. Aber das ist ja nicht das, was ich in meinem Buch beschreibe, sondern es geht um politische Lyrik.» Und so schließt Touré mit einem politischen Gedicht der afrodeutschen Lyrikerin May Ayim, das so endet: «Ich will grenzenlos und unverschämt bleiben.»