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Wer tötete Rafik Hariri? Urteil zum Attentat auf Libanons Ex-Premier Von Annette Birschel und Jan Kuhlmann, dpa

Der Mord an Libanons Regierungschef schockte 2005 die Welt. Sechs Jahre verhandelte ein Sondertribunal gegen vier Männer. Auf der Anklagebank saß auch eine der mächtigsten Organisationen des Landes.

Den Haag/Beirut (dpa) - Der Terror-Anschlag war einer der schwersten in der Geschichte des Libanon: Fast 3000 Kilogramm Sprengstoff sollen die Attentäter eingesetzt haben, als sie vor 15 Jahren den damaligen Premier Rafik Hariri töteten. Die Druckwelle war noch kilometerweit zu spüren. An diesem Dienstag (11.00 Uhr) will ein auf Initiative der UN eingerichtetes Sondertribunal in einem Vorort von Den Haag ein Urteil in diesem Fall verkünden. Angeklagt sind vier Libanesen der Hisbollah, die an dem Terror-Anschlag beteiligt gewesen sein sollen.

Mit dem Urteil geht ein Verfahren zu Ende, das Rechtsgeschichte geschrieben hat. Sechs Jahre lang war in Leidschendam, einem Vorort von Den Haag, verhandelt worden - in Abwesenheit der Angeklagten.

Am 14. Februar 2005 hatte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt, als Hariris Autokolonne im Zentrum der libanesischen Hauptstadt Beirut vorbei fuhr. Außer dem 60 Jahre alten sunnitischen Politiker starben noch 21 Personen, 226 wurden verletzt. Das Entsetzen im Libanon und die internationale Empörung waren groß.

Hariri, ein schwerreicher Geschäftsmann, genießt bis heute bei vielen Libanesen großes Ansehen. Er spielte beim Wiederaufbau des Landes nach 15 Jahren Bürgerkrieg eine zentrale Rolle.

Verantwortlich für seinen Tod machen bis heute viele Libanesen das Nachbarland Syrien, das damals Truppen im Libanon stationiert hatte. Die schiitische Hisbollah, vom Iran unterstützt und mit der syrischen Regierung verbündet, weist jegliche Verantwortung zurück. Syrien war nach dem Attentat gezwungen, seine Truppen abzuziehen.

Das teure und aufwendige Verfahren ist der erste Terrorismus-Prozess eines internationalen Tribunals. Allerdings fristete er ein Schattendasein. Das lag nicht an dem Vorort Leidschendam, in den das Tribunal aus Sicherheitsgründen verlegt worden war. Grund war vielmehr: Die Anklagebank in einem früheren Bürohaus blieb leer. Die vier Angeklagten sind flüchtig und hatten auch keinen Kontakt zu ihren vom Gericht bestellten Verteidigern.

Salim Dschamil Ajjasch, Hassan Habib Mirhi, Assad Hassan Sabra, Hussein Hassan Onaissi sollen an der Vorbereitung des terroristischen Anschlages beteiligt gewesen sein. Damals wurden außer Hariri auch 21 weitere Menschen getötet, darunter der Attentäter. Dieser sprengte sich mit einer Autobombe in die Luft.

Alle Angeklagten sollen der schiitischen Hisbollah angehören. Doch nur Ajjasch wird als einziger direkt des terroristischen Anschlages beschuldigt und Mord zur Last gelegt. Die anderen sollen Komplizen sein. Sie sollen unter anderem ein falsches Bekennervideo produziert haben, das den Verdacht auf sunnitische Extremisten lenken sollte. Der mutmaßliche Hauptdrahtzieher, Mustafa Badreddin, ein Militär-Führer der Hisbollah, war 2016 getötet worden.

Die entscheidende Frage ist, ob die Beweise, die der kanadische Chefankläger Norman Farrell vorlegte, ausreichen. Denn im Kern geht es nur um Handy-Daten. Aus unzähligen Daten baute die Anklage eine Beweiskette auf - als wäre es ein 10 000-Teile-Puzzle.

Minutiös rekonstruierten die Ankläger die Bewegungen der Angeklagten - wo sie vor und während des Attentates waren und mit wem sie telefonierten. Nur: Über den Inhalt der Gespräche ist nichts bekannt. Für die Anklage ist die Schuld zweifelsfrei bewiesen. Die Verteidiger fordern hingegen Freispruch - denn Handy-Daten seien kein Beweis, dass die Angeklagten selbst am oder in der Nähe des Tatortes waren.

Dann ist da noch die Frage des Motivs. Chefankläger Farrell sieht deutliche politische Gründe. Die Angeklagten wollten nach seiner Darstellung Hariri aus dem Weg räumen, da er sich für den Abzug syrischer Truppen aus dem Libanon stark gemacht hatte - und das lag nicht im Interesse der Hisbollah. Die Organisation leugnet bis heute standhaft jede Beteiligung an dem Hariri-Mord.

Die Richter werden nun zunächst nur über die Schuldfrage entscheiden. Sollten die vier Männer schuldig befunden werden, könnte eine lebenslange Haftstrafe gegen sie ausgesprochen werden. Doch das Strafmaß wird erst zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.

Ein Schuldspruch wäre zwar rein symbolisch, wird aber in der Politik des Libanons Spuren hinterlassen. Die Hisbollah zählt in dem kleinen Land am Mittelmeer zu den mächtigsten politischen Akteuren und ist an der Regierung beteiligt. Doch die politische Elite - und mit ihr die Hisbollah - steht unter Druck. Seit Monaten gibt es immer wieder Proteste gegen die Regierung und die schlechte Wirtschaftslage. Die verheerende Explosion in Beirut, wegen der die Urteilsverkündung verschoben wurde, hat die Wut der Menschen noch vergrößert.

«Wir wissen, dass das Urteil selbst nicht wichtig sein wird, weil es nicht umgesetzt werden kann», sagte der libanesische Politiker Marwan Hamadah, ein Vertrauter Hariris. «Aber es ist eine internationale Maßnahme und es könnte dem Libanon eines Tages erlauben, seine rechtlichen Verpflichtungen umzusetzen und die Täter festzunehmen.»