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WHO-Krise: Drahtseilakt zwischen Tacheles reden und Diplomatie Von Christiane Oelrich, Albert Otti und Benno Schwinghammer, dpa

Mit Krankheit, Krisen und Kritik ist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bestens vertraut. Dass die USA die Beitragszahlung einstellen, ist aber eine neue Dimension. Ist das Dilemma der WHO lösbar? Genf (dpa) - Der Äthiopier Tedros Adhanom Ghebreyesus an der Spitze der Weltgesundheitsorganisation (WHO) punktet in der Corona-Pandemie mit eindringlichen Worten. «Testen, testen, testen» ist so eine Formulierung. Oder der Aufruf zur Solidarität, als er an seine harte Kindheit erinnert: «Ich kenne Armut. Ich kenne Krankheiten. Ich kenne Tragödien. Ich weiß, wie Menschen wegen ihrer Armut sterben.» Trotzdem steht er am Pranger. Nicht wegen Misswirtschaft der Organisation oder weil er falsche Prioritäten setzen würde. Es geht um China. Er habe gebuckelt, um Peking nicht bloßzustellen, habe zugelassen, dass China den Corona-Ausbruch herunterspielte, nichts hinterfragt und Zeit vergeudet, wirft ihm die US-Regierung vor. Japan, Australien und andere hieben in die gleiche Kerbe. Tedros hätte zwar Tacheles reden und die Fehlleistungen kritisieren können, aber mit welchem Ziel, fragt Devi Sridhar, Professorin für öffentliche Gesundheit in Edinburgh. Das hätte ihm kurzzeitig Beifall gebracht. «Aber er muss trotzdem in der Woche danach wieder auf China zugehen und darum bitten, dass das Land Daten über den Ausbruch teilt», sagte Sridhar der BBC. Gewogenheit wollte Tedros wohl auch erreichen, als er kurz nach Amtsantritt 2017 den umstrittenen und da schon greisen Präsidenten Zimbabwes, Robert Mugabe, zu einem Goodwill-Botschafter machen wollte. Er zog den Vorschlag schnell zurück. Die WHO gehört zu den Vereinten Nationen, mit allen Vor- und Nachteilen. Während gemeinnützige Organisation wie Oxfam oder Amnesty den Finger in jede Wunde legen und Regierungen anprangern können, ist die WHO eine Regierungsorganisation. Die Mitgliedsländer haben das Sagen. Sie bestimmen Prioritäten, Politik, Posten, und sie zahlen. «Unsere Macht besteht darin, zu überzeugen», sagt Nothilfekoordinator Michael Ryan. «Die WHO hat keine Macht, etwas zu erzwingen, keine Macht, irgendwie Druck auf Länder auszuüben.» Die WHO wurde 1948 gegründet. Sie hat heute 194 Mitgliedsländer. Sie will die Gesundheit aller verbessern, sie entwickelt Standards für den besten Umgang etwa mit Diabetes, Krebs oder Fettleibigkeit. Sie koordiniert den Kampf gegen das Rauchen, weltweite Impfaktionen, hilft armen Ländern, die medizinische Versorgung zu verbessern und koordiniert im Fall von Pandemien die internationale Zusammenarbeit. Um den Preis, dass alle Länder die WHO-Entscheidungen mittragen, müssen Fettnäpfchen vermieden werden. Die Diplomatie verlange, manches hinter den Kulissen zu lassen, heißt es. So sei es auch gewesen, als die WHO anfänglich im Januar wegen der Coronavirus-Ausbreitung die höchste Alarmstufe ausrufen wollte, eine Notlage internationaler Tragweite, sagt Ilona Kickbusch, früher bei der WHO, heute Dozentin für Gesundheitspolitik, der dpa: «Es gab sehr schwierige politische Verhandlungen mit Peking.» Öffentliche Kritik an Ländern ist immer ein Drahtseilakt - wie bei anderen UN-Organisationen. So windet sich auch der Chef der Welthandelsorganisation (WTO), Roberto Azevêdo, um bloß die USA nicht wegen ihren milliardenschweren Strafzöllen direkt zu kritisieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel sicherte der WHO demonstrativ volle Unterstützung zu: «Die WHO ist ein unverzichtbarer Partner.» Trump bemängelte, dass die WHO zu Beginn der Corona-Epidemie in China keine Reisebeschränkungen empfohlen hatte. Die WHO tut das nicht, weil Länder Krankheitsausbrüche womöglich nicht mehr melden, wenn sie schwere wirtschaftliche Schäden fürchten müssten, sagt Kickbusch. Das Magazin «Science» schrieb gerade, dass solche Beschränkungen eine Pandemie sowieso nur um zwei bis drei Wochen verzögern könnten. Ein Vorwurf ist auch, dass die WHO die Notlage nicht früher ausgerufen habe - obwohl das ohnehin keine konkreten Folgen hat. Als sie 2009 eine Notlage wegen der H1N1-Pandemie (Schweinegrippe) ausrief, stand sie später am Pranger, weil Länder daraufhin riesige Vorräte an Medikamenten anlegten, die nie gebraucht wurden. Das Virus war schneller unter Kontrolle als gedacht. China hat die «America First»-Politik der Trump-Regierung und die damit einhergehende Kritik der USA am Nutzen der Vereinten Nationen genutzt, um seinen Einfluss bei den UN auszubauen. Kaum hatte Trump seine WHO-Kritik mit einem zunächst vorübergehenden Zahlungsstopp verbunden, kündigte China eine 30-Millionen-Dollar-Zuwendung an die WHO an, wie der chinesische Staatssender CCTV unter Bezug auf das Außenministerium berichtete. Diplomaten sagen, China, größter UN-Beitragszahler nach den USA, baue seinen Einfluss aus, um etwa Kritik an Menschenrechtsverletzungen zu unterdrücken. Auf Chinas Druck seien UN-Stellen für Menschenrechtler gestrichen worden. Als bei der Welternährungsorganisation FAO 2019 der Chinese Qu Dongyu in geheimer Abstimmung zum Chef gewählt wurde, sprachen Diplomaten von politischem Kuhhandel: Stimmen gegen Investitionen. Nach einer Studie der US-Universität Tufts stimmten afrikanische Länder bei UN-Abstimmungen aber schon vor 20 Jahren mit China - vor den massiven chinesischen Investitionen in Afrika. Auch UN-Generalsekretär António Guterres steht in der Kritik. Er sei wohl nicht willens, China offen zu kritisieren, meinte «Human Rights Watch» mit Blick auf die Masseninternierungen von Uiguren und anderen Muslimen in der Provinz Xinjiang. Menschenrechtler sprechen dort von Umerziehungslagern, China von «Ausbildungszentren». Guterres sei wachsweich gegenüber China, weil er schon auf die Stimmen schiele, die er für seine Wiederwahl 2022 brauche, so der Vorwurf. Für die UN könne der wachsende Einfluss Chinas eine größere Bedrohung sein als Trumps auf nationale Interessen begrenzte Agenda, meinen Diplomaten.

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