Immerhin steht ein Fragezeichen hinter dem Slogan, mit dem Lidl für sein umstrittenes Produkt wirbt. „AUS LIEBE ZUR NATUR?“ fragt Günther Jauch in großen Werbeanzeigen und lugt detektivisch hinter einer Einweg-Plastikflasche hervor, Lidls sogenannter „Kreislaufflasche“. Die Irritation ist gewollt, Plastik und Naturliebe bringt man im Kopf nicht zusammen – möchte aber schon gern wissen, „warum ausgerechnet eine Einwegflasche eine der ökologischsten Flaschen sein soll“, wie der beliebte Fernsehmoderator sagt. Der Discountriese, der Schätzungen zufolge rund ein Zehntel des Verpackungsmülls im deutschen Handel verantwortet, spielt bewusst mit seinem trashigen Image.

So berichteten im Mai Zeitungen und TV-Sender ausführlich über Lidls bizarre Kampagne – und über die scharfe Kritik von Umweltfachleuten daran. Inzwischen ist klar: Die Behauptung des Unternehmens, sein Einweg-Pfandflaschensystem schneide im Vergleich mit Mehrwegflaschen aus PET oder Glas gut ab, führt in die Irre. Von einem „geschlossenen Kreislauf“, wie Lidl erklärt, kann keine Rede sein, auch gibt es deutlich umweltfreundlichere Alternativen. Viola Wohlgemuth, Greenpeace-Expertin für Kreislaufwirtschaft, wirft Lidl vor, mit der Kampagne das vom Bundesumweltministerium geplante verschärfte Verpackungsgesetz torpedieren zu wollen. „Lidls Kampagne ist reinstes Greenwashing, und das ist schlimmer als nichts zu tun“, sagt sie. Der internationale Konzern, der auch in der Abfallwirtschaft mitmischt und damit Millionen verdient, wolle Einwegplastik zementieren statt echte Nachhaltigkeit voranzubringen. 

Lidl beruft sich auf eine selbst beauftragte Studie des Heidelberger Ifeu-Instituts, die ergeben hatte, dass seine komplett aus Recyclingkunststoff bestehenden 1,5-Liter-Einwegflaschen aufgrund ihres geringen Gewichts und des damit verbundenen niedrigeren Transportaufwandes weniger klimaschädlich seien als Konkurrenzprodukte. „Es lohnt sich, manchmal etwas genauer hinzusehen“, erklärt Jauch in onkelhaftem Ton, der vertrauenswürdig erscheinen soll, und führt im Werbespot durch eine blitzsaubere Fantasie-Fabrikhalle, in der alles perfekt funktioniert.

Wer aber wirklich „genauer hinsieht“, merkt schnell, dass Lidl trickst. Denn wenn Plastikflaschen geschreddert, zu Granulat verarbeitet und schließlich wieder in Flaschenform gebracht werden (statt Mehrwegflaschen zu spülen und wiederzubefüllen), geht bei der Erhitzung unvermeidlich Material verloren – das durch Flaschen anderer Hersteller ersetzt werden muss, die Lidl in seinen Filialen mit einsammelt. „Das gerechnete System funktioniert (…) nicht auf sich alleine gestellt, sondern ist auf eine Materialzufuhr von außerhalb der Systemgrenzen angewiesen“, schreibt das Umweltbundesamt (UBA) in einer aktuellen Bewertung der Ifeu-Studie. Diese entspreche nicht seinen Mindestanforderungen für Ökobilanzen von Getränkeverpackungen. „Das Vorgehen wurde nicht mit dem Umweltbundesamt besprochen oder abgestimmt.“

Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) widerspricht der Lidl-Darstellung. Der Discounter vergleiche „Äpfel mit Birnen“, wenn es sein eigenes, spezifisches Einwegplastik-System mit mehr als zehn Jahre alten Mehrweg-Marktdurchschnittsdaten messe. „Wir warnen Verbraucherinnen und Verbraucher davor, auf die Werbekampagne von Lidl hereinzufallen.“

Das Bündnis „Exit Plastik“, dem auch Greenpeace angehört, weist überdies auf die Gefahr durch Mikroplastik und andere potenziell gesundheitsschädliche Stoffe hin, die von Plastikflaschen in deren Inhalt übergehen können. „Mikroplastik findet sich inzwischen überall in der Umwelt und stellt eine der größten Gefahren für unsere Ökosysteme dar“, erklärt Greenpeace-Expertin Wohlgemuth. „Recycelte Plastikflaschen geben davon sogar noch mehr ab als andere.“

Die blitzsaubere Jauch’sche Plastikwelt ist also eine Scheinwelt. „Exit Plastik“ macht sich deshalb für wirklich nachhaltige Alternativen stark. Zum Beispiel diese: „Leitungswasser hat in Deutschland eine hohe Qualität“, erklärt das Bündnis, „und ist die nachhaltigste Weise, Wasser zu konsumieren.“ Wer Flaschenwasser bevorzugt, sollte Mehrweg kaufen, das laut Wohlgemuth angesichts der Plastikkrise „das neue Normal“ werden sollte – „vom Imbiss über den Supermarkt bis zum Onlinehandel.“

Tatsächlich setzen die etwa 150 Mineralbrunnen in Deutschland großenteils auf Mehrweg – und sie sind den Verbraucherinnen und Verbrauchern in der Regel deutlich näher als die „fünf regionalen Quellen“, in denen Lidl abfüllen lässt. „Regional“ ist ein dehnbarer Begriff. Die DUH weist außerdem darauf hin, dass die CO2-Bilanz von Mehrwegsystemen sich mit der Elektrifizierung des Lieferverkehrs und Innovationen etwa bei der Flaschenspülung noch deutlich verbessern lasse – im Gegensatz zu Lidls zweifelhaftem Einweg-PET.

Würde es der Discounter wirklich ernst meinen mit seiner „Liebe zur Natur“, würde er seine Versuche umgehend einstellen, kleineren Abfüllern die Kundschaft abzuwerben und plastiksparende Regeln zu verhindern, die für alle gelten. Denn je mehr Unternehmen an Mehrweglösungen teilnehmen – die von den echten „Kreislauf“-Fachleuten der Umweltorganisationen klar bevorzugt werden – desto besser und effizienter funktionieren sie.

Gut möglich, dass Lidl auf Druck der Umweltverbände bald doch gesetzlich dazu gezwungen sein wird, auch Mehrwegflaschen anzubieten. Die Kreativität seiner Werbeleute sollte sich der Konzern dafür lieber aufsparen.

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