Auf südafrikanischen Farmen ernten Arbeiterinnen Trauben für Wein in deutschen Supermärkten. Dabei sind sie ungeschützt Pestiziden ausgesetzt. Charlize Jacobs kämpft für die Rechte der Frauen.

Charlize Jacobs sitzt auf einem quietschenden Bett vor ihrem Haus, neben ihr liegt Asthmaspray. Das Atmen fällt ihr schwer, es war ein harter Morgen, sagt die 65-Jährige. Zu Fuß musste sie zum fünf Kilometer entfernten Sozialamt in Rawsonville, einem kleinen Ort in der südafrikanischen Provinz Westkap – für gerade mal 800 Rand, umgerechnet vierzig Euro, die sie pro Monat an staatlicher Hilfe bekommt. Schon mit 14 Jahren arbeitete Jacobs, deren Namen wir zu ihrem Schutz geändert haben, auf Weinfeldern. Statt Lesen und Schreiben zu lernen, erntete sie Trauben für den Weltmarkt – und bezahlte dies mit ihrer Gesundheit. Heute ist sie chronisch krank, arbeiten kann sie schon seit Jahren nicht mehr. Dass die Pestizide, die auf den Feldern versprüht wurden, der Grund dafür sein könnten, dass sie oft keine Luft mehr bekommt, versteht sie erst heute.

<p>KÄMPFERIN Jahrzehntelang arbeitete Charlize Jacobs auf Weinfeldern, ohne zu wissen, dass die dort versprühten Chemikalien ihrer Gesundheit schaden können. Heute engagiert sie sich für ein Verbot besonders gefährlicher Substanzen.</p>

KÄMPFERIN Jahrzehntelang arbeitete Charlize Jacobs auf Weinfeldern, ohne zu wissen, dass die dort versprühten Chemikalien ihrer Gesundheit schaden können. Heute engagiert sie sich für ein Verbot besonders gefährlicher Substanzen.

Wein aus Südafrika ist in Deutschland beliebt und hat den Ruf, gut und günstig zugleich zu sein. Doch das hat seinen Preis. Die Menschen auf den Weinfarmen arbeiten oft unter prekären Bedingungen, und insbesondere die Frauen werden ausgebeutet, beklagen Menschenrechtsorganisationen. Zudem landen auf südafrikanischen Weinfeldern Pestizide, die in Europa aufgrund ihrer hohen Toxizität verboten sind. Die Arbeiterinnen sind – so berichten es zahlreiche Frauen – den Giften teils ungeschützt ausgesetzt.

Charlize Jacobs verbrachte ihr ganzes Arbeitsleben auf den Weinfeldern. Lange Zeit mit dabei: ihre Kinder, denn eine Betreuung gab es nicht. „Sie mussten immer mit aufs Feld, auch als sie klein waren“, erzählt Jacobs. Am Abend hätten sie überall Pusteln auf der Haut gehabt. „Wenn es hieß, jetzt wird gesprüht, haben wir uns die Pullover über den Kopf gezogen“, erzählt sie, „so“: Jacobs wirft sich die Decke über den Kopf und zieht sie vor ihr Gesicht. Ein paar Sekunden hätten sie gewartet, bis sich der Nebel etwas gelegt habe – und dann weitergearbeitet, ohne Handschuhe, ohne Schutzkleidung, „alles war noch nass“. Das Atmen sei ihr über die Jahre immer schwerer gefallen.

<p>WEINLESE FÜR DEN EXPORT Seit Charlize Jacobs (in Rosa) arbeitsunfähig ist, besucht sie ihre ehemaligen Kollegen noch ab und zu auf dem Feld. Sie leidet unter chronischen Atemwegsbeschwerden und vermutet, das Pestizide die Ursache sind.</p>

WEINLESE FÜR DEN EXPORT Seit Charlize Jacobs (in Rosa) arbeitsunfähig ist, besucht sie ihre ehemaligen Kollegen noch ab und zu auf dem Feld. Sie leidet unter chronischen Atemwegsbeschwerden und vermutet, das Pestizide die Ursache sind.

Akkord und Agrargifte

Laut dem Surplus People Project ist Charlize Jacobs kein Einzelfall. Die südafrikanische NGO listet häufige Beschwerden von Farmarbeiterinnen und Arbeitern auf: Allergien, Schwindel, Zittern, Nervenschädigungen und langfristig auch Krebs, Parkinson und Atemwegsprobleme. Alles Krankheiten, die Studien als Langzeitfolgen einer Pestizidbelastung auflisten. Die Pflanzenschutzmittel würden, so die NGO, nicht nur auf die Weinfelder, sondern unkontrolliert auch auf Häuser, Schulen und Wasserquellen wehen. Heute wie früher.

Besonders hart trifft es die Frauen. Sie sind häufiger nur als Saisonkräfte angestellt, oft ohne Sozialversicherung, ohne Mietvertrag für ihre Bleibe im Besitz der Betriebe, ohne Chance, etwas Geld für die Kinder zur Seite zu legen und ohne Gesundheitsversorgung. Das Greenpeace Magazin hat mit Frauen von mehreren Farmen gesprochen. Sie berichten von Akkordarbeit, Trinkwassermangel und fehlenden Toiletten. Von Schikane, wenn sie sich beschweren, und von unbehandelten Krankheiten, denn Arztbesuche würden vom Lohn abgezogen. Kleidung und Handschuhe zum Schutz gegen die Pestizide? Nicht vorhanden.

In einem vor kurzem veröffentlichten Bericht der südafrikanischen Arbeitsrechtsorganisation Women on Farms Project (WFP) äußerte die Mehrheit der befragten Feldarbeiterinnen, sie seien während ihrer Arbeit und zu Hause Pestiziden ausgesetzt. Fast die Hälfte der Arbeiterinnen habe keine Informationen darüber erhalten, wie gefährlich die Chemikalien sind, wie man sich vor ihnen schützt und wie sie richtig eingesetzt werden.

Eigentlich gilt in Südafrika ein Gesetz, das genau dies verhindern soll. Für den Pestizidexperten Lars Neumeister, der zahlreiche NGOs berät, greift das jedoch zu kurz: „In Ländern wie Südafrika werden sehr gefährliche Pestizide eingesetzt, ohne den Bildungsstand der Menschen zu berücksichtigen.“

<p>LAUTSTARKER PROTEST Zwar gibt es auf den FairtradeFarmen Verbesserungen, doch in den Augen der Arbeiterinnen reichen diese nicht aus. In Paarl nordöstlich von Kapstadt protestieren sie Anfang des Jahres für bessere Kontrollen auf den Weingütern.</p>

LAUTSTARKER PROTEST Zwar gibt es auf den FairtradeFarmen Verbesserungen, doch in den Augen der Arbeiterinnen reichen diese nicht aus. In Paarl nordöstlich von Kapstadt protestieren sie Anfang des Jahres für bessere Kontrollen auf den Weingütern.

Laut Neumeister gibt es vonseiten der Regierung keine öffentlichen Listen, welche Pestizide importiert und versprüht werden. Gründliche Kontrollen seien so kaum möglich. Zugelassen seien rund 500 Wirkstoffe, erklärt er, darunter Pestizide, die zwar in der EU verboten sind, aber von deutschen Unternehmen wie Bayer und BASF von Europa nach Südafrika exportiert werden. Die schädigen nicht nur Mensch und Natur vor Ort, dokumentiert der digitale Atlas of Environmental Justice. Sie finden über die Einfuhr von Lebensmitteln auch ihren Weg zurück nach Europa. Laut einer Studie auf Basis von Daten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit wurden Rückstände von 74 in der EU verbotenen Agrargiften in importierten Lebensmitteln gefunden. Zudem wiesen Forschende erhebliche Pestizidreste in dem Fluss nach, in dessen Nähe auch jene Farm liegt, auf der Charlize Jacobs arbeitete – darunter acht Stoffe, die wegen ihrer hohen Toxizität in der EU nicht zugelassen sind, sowie Pestizide, die in den Sprühprotokollen der Betriebe nicht aufgeführt waren.

Das Problem sei, so schreibt die britische Organisation Unpoison, „dass Gesundheits- und Umweltprobleme weitgehend undokumentiert bleiben und von den Aufsichtsbehörden meist ignoriert werden“. Kurz: Weil die Schäden nicht untersucht werden, verändert sich nichts.

<p>NACH GETANER ARBEIT Von den Weinfeldern werden die Frauen mit dem Lkw in den kleinen Ort De Doorns gefahren. Jeden Freitag erhalten sie hier ihren Wochenlohn.</p>

NACH GETANER ARBEIT Von den Weinfeldern werden die Frauen mit dem Lkw in den kleinen Ort De Doorns gefahren. Jeden Freitag erhalten sie hier ihren Wochenlohn.

Auch bei Jacobs attestierte ein Arzt zwar, dass sie zu krank ist, um weiterhin arbeiten zu können – eine weitere Untersuchung sei aber nie erfolgt, sagt sie. „Unser Gesundheitssystem erfasst keine Krankheiten, die in Verbindung mit dem Pestizideinsatz stehen“, sagt die Arbeitsrechtsaktivistin Carmen Louw vom WFP. Ein Arzt in der Region behandele Atemwegserkrankungen einfach wie Asthma, nicht wie eine Vergiftungserscheinung. Die Chancen auf Entschädigung sind entsprechend schlecht.

Jacobs ist wütend: Auf die Besitzer der Farm, die sie den Chemikalien ausgesetzt haben, auf die Kontrollbehörden, die nichts unternommen hätten, und auf deutsche Discounter und Supermarktketten, die bis heute durch ihre Einkaufspolitik mitbestimmen, unter welchen Bedingungen die Menschen auf den Farmen arbeiten.

Ihre Schilderungen der Arbeitsbedingungen lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Doch dass deutsche Firmen am meisten von Wein aus Südafrika profitieren, hat die RosaLuxemburgStiftung vor zwei Jahren vorgerechnet: Mehr als sechzig Prozent des Gewinns teilen sich jeweils der Discounter und die deutsche Kellerei, die den in Tanks angelieferten Wein abfüllt.

Auf ihre Verantwortung angesprochen, antworten die zehn größten Supermarkt- und Discounterketten vage. Nur Edeka versichert, genau rückverfolgen zu können, woher der südafrikanische Wein im Sortiment komme. Ihre Lieferanten wollte keine der Supermarktketten nennen.

Wie sehr die Arbeiterinnen mit ihren Sorgen alleingelassen werden, erfährt Jacobs jeden Tag. Ihr Haus ist von schattenspendenden Bäumen und Sträuchern umgeben. Der Garten ist ihr Reich. Wie lange noch, das weiß sie nicht. Denn dreißig Jahre nach Ende der Apartheid ist ihr und das Leben vieler Farmarbeiterinnen und -arbeiter noch immer von den mehrheitlich weißen Farmbesitzern abhängig: die Gesundheitsversorgung, die Altersabsicherung und sogar das eigene Zuhause.

Sie leben meist in den Arbeiterhäuschen auf den Farmen, auch Charlize Jacobs und ihr Mann. Noch kann dieser arbeiten, doch auch seine Gesundheit ist von der jahrelangen Arbeit auf den Feldern angeschlagen. Was ist, wenn auch bei ihm nichts mehr geht? Dürfen sie trotzdem bleiben?

Fast eine Million Landarbeiterinnen und -arbeiter wurden zwischen 1994 und 2004 von südafrikanischen Farmen vertrieben, schätzt Human Rights Watch. Und obwohl mittlerweile gesetzlich geregelt ist, dass die ehemaligen Beschäftigten in ihren Häusern bleiben dürfen, auch wenn sie alt, krank und arbeitsunfähig werden, kommt es immer wieder vor, dass sie die Häuser verlassen müssen. Viele von ihnen zimmern sich dann entlang der Weinfelder Hütten aus Wellblech und Planen.

Hilfe von den Alten

Jacobs will das nicht hinnehmen. Sie hat sich mit anderen ehemaligen Farmarbeiterinnen zusammengetan. Sie haben nichts mehr zu verlieren und müssen nicht um ihren Arbeitsplatz fürchten, wenn sie die schlechten Arbeitsbedingungen anprangern. In Workshops klären sie nun andere Frauen über ihre Rechte auf und organisieren Demonstrationen. So marschierten sie 2019 durch die Gemeinde und forderten ein neues Pestizidgesetz.

<p>ENTSCHLOSSEN VORAN „Farmarbeiterinnen fordern ein Grundeinkommen“ steht auf Jacobs’ TShirt. Während der Pandemie bangten die Menschen um ihre Existenz.</p>

ENTSCHLOSSEN VORAN „Farmarbeiterinnen fordern ein Grundeinkommen“ steht auf Jacobs’ TShirt. Während der Pandemie bangten die Menschen um ihre Existenz.

Vier Jahre später zeichnet sich ein erster Erfolg ab. Die südafrikanische Regierung möchte einige hochgefährliche Pestizide bis Juni 2024 verbieten, berichtet eine Regionalzeitung. Inwiefern dies tatsächlich umgesetzt wird, ist jedoch unklar. Die Regierung legt nicht offen, welche Chemikalien gemeint sind und ob auch die gefährlichsten wie das Herbizid Paraquat dabei sind. Auf eine Anfrage des Greenpeace Magazins hat das Landwirtschaftsministerium in Südafrika nicht reagiert.

Der Handelsverband agrochemischer Unternehmen CropLife hat die angekündigte Regulierung zwar kritisiert. Eines seiner größten Mitglieder, die Bayer AG, gibt sich auf Nachfrage jedoch gelassen: Der Konzern sei in der Lage, Alternativen anzubieten. Generell seien „Pflanzenschutzmittel, wenn sie gemäß der Anweisungen auf dem Etikett verwendet werden, sicher, nachhaltig und umweltverträglich“.

Währenddessen plant die EU ein Exportverbot für hochgefährliche Pestizide. Träte es in Kraft, dürfte etwa kein Produkt mit dem Wirkstoff Paraquat aus der EU nach Südafrika exportiert werden. Bis Ende des Jahres könnte dazu eine Entscheidung fallen. Die Verordnung sei zwar ein wichtiger, aber eher ein symbolischer Akt, sagt Experte Lars Neumeister. Denn die Konzerne könnten sie einfach umgehen, indem sie die Produktion der Chemikalien in Länder außerhalb Europas auslagern.

Charlize Jacobs glaubt ohnehin kaum an Gesetze, deren Umsetzung Jahre brauchen werde. Sie nimmt die Dinge selbst in die Hand. Mit zwei Kolleginnen von Nachbarhöfen hat sie eine mobile Klinik gegründet. Ärztinnen und Ärzte fahren nun mit einem Kleinbus direkt zu den Menschen aufs Feld. Sie bringen Medikamente und machen kleinere Untersuchungen.

Immerhin: Auf der Farm, auf der Jacobs lebt, haben sich die Arbeitsbedingungen verbessert, seit sie von dem größten Weinproduzenten der Provinz gekauft wurde: Merwida, ein Familienunternehmen, das mit Nachhaltigkeits - und Fairtrade-Siegeln ausgezeichnet ist. Das bestätigt ein Bericht der Organisation WFP. Sie hat Anfang des Jahres Arbeiterinnen auf Fairtrade-Farmen in der Region, darunter Merwida, befragt. Drei Viertel von ihnen bezeichnen ihre Arbeitsbedingungen als gut bis sehr gut. Anders als beim konventionellen Weinanbau zahlt Fairtrade den Mindestlohn, in Südafrika umgerechnet rund ein Euro pro Stunde. In den Arbeitersiedlungen fließen Wasser und Strom, in Schulen und Kindergärten wird Geld gesteckt. Außerdem werde auf der Farm nicht mehr gesprüht, solange sich Menschen auf den Feldern aufhielten, erzählt Jacobs. Aber reicht das?

Das WFP kritisiert, es gebe zwar Schulungen und Schutzkleidung, aber nur für diejenigen, die die Chemikalien mischen und versprühen, nicht für die, die ernten. Zudem sollten laut Weltgesundheitsorganisation Feldarbeiterinnen erst einen Tag nach dem Sprühen von hochgefährlichen Stoffen wieder aufs Feld dürfen, daran orientiert sich auch Fairtrade. Doch jede fünfte vom WFP befragte Arbeiterin gab an, dass sie schon nach ein bis vier Stunden wieder arbeiten müsse. Eine Sprecherin von Fairtrade vermutet eine Verwechselung: Auch Flüssigdünger werde versprüht.

Merwida und Fairtrade verweisen zudem auf strenge Pestizidrichtlinien. Nur noch wenige Chemikalien dürften überhaupt eingesetzt werden. Zwar seien darunter einige, die in der EU verboten sind, für diese würden jedoch strenge Auflagen gelten. Grundsätzlich fördere Fairtrade den Einsatz alternativer Methoden.

Ob sie auf der Farm in Ruhe alt werden kann, weiß Charlize Jacobs noch immer nicht. Sie habe keinen anderen Ort, an den sie gehen könne, sagt sie. „Das ist mein Haus, ich kann hier nicht weg.“ Zwar beteuert Merwida, ehemaligen und erkrankten Arbeiterinnen und Arbeitern Unterkünfte zu geben, doch Sicherheit habe sie nicht, sagt Jacobs. Auch um ihre Familie sorge sie sich. Nur ihre Schwiegertochter habe einen festen Vertrag. Also kämpft Jacobs weiter. Für ihre Rechte, für bessere Arbeitsbedingungen – und für ihre Töchter und Enkelkinder.

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 6.23 "Tierintelligenz". Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!

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