Die EU plant eine Steuer auf Plastikmüll, diskutiert ein Verbot für Plastikgeschirr und Kunden lassen demonstrativ die Plastikverpackungen ihrer Einkäufe im Supermarkt zurück. Zurzeit ist Plastik in aller Munde – aber nicht nur im sprichwörtlichen Sinne. Denn Plastikpartikel landen auf unterschiedlichen Wegen in Flüssen, gelangen von dort ins Meer und werden von Fischen, Muscheln und Salz aufgenommen. So landet das Mikroplastik wieder auf unseren Tellern. Ob das dem menschlichen Organismus schadet, ist unklar. Und auch sonst sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Verteilungswege und Auswirkungen von Mikroplastik überraschend dünn.

Jörg Oehlmann forscht an der Universität in Frankfurt zu aquatischer Ökotoxikologie und kennt den aktuellen Stand der Mikroplastik-Forschung. „Inzwischen wissen wir, dass der dominante Eintrag über Fließgewässer passiert, also aus Süßwasser-Quellen stammt“, sagt er. Das meiste Mikroplastik – damit sind Partikel gemeint, die kürzer als fünf Millimeter sind – treibt also über Flüsse ins Meer. Darüber hinaus lässt sich mit Sicherheit lediglich sagen, dass die Meere und auch das Eis an den beiden Polen mit Mikroplastik verschmutzt sind und dass die Meeresbewohner die Partikel bereits aufgenommen haben. Und zwar nicht nur Fische, sondern auch Muscheln und Krebse – sogar in Speisesalz finden sich Ablagerungen. Wie genau die Plastik-Partikel ins Meer gelangen und wie stark die Ozeane belastet sind, darüber gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse.

Mikroplastik in Weltmeeren ist das drängendste Problem unserer Zeit

Zuletzt hatte eine aktuelle Studie der Universität Manchester für Aufsehen gesorgt, die im Fachblatt „Nature Geoscience“ erschienen ist. „Die Kontamination der Weltmeere mit Mikroplastik ist das drängendste Problem unserer Zeit“, schreiben die Autoren zu Beginn ihres Papers. Nach aktuellen Schätzungen sollen knapp fünf Billionen Mikroplastikpartikel in unseren Meeren umherschwimmen.

In ihrer Studie fragten die Wissenschaftler, wie Hochwasser sich auf die Wege des Mikroplastiks auswirkt. Dafür untersuchten sie verschiedene britische Flüsse an insgesamt 40 Messpunkten und kamen auf 517.000 Mikroplastik-Teilchen pro Quadratmeter. Das Ergebnis einer erneuten Messung nach einem mehrmonatigen Hochwasser-Ereignis fiel sehr viel geringer aus. Das zeigt, so die Schlussfolgerung, dass ein Großteil der Schmutzpartikel aus den Sedimenten im Flussbett herausgelöst und ins Meer gespült wurde – und zwar in erheblich größerem Ausmaß als bislang angenommen.

Dass die Mikroplastikmenge in den Ozeanen bisher unterschätzt wird, erscheint dem Biologen Martin Wagner von der norwegischen Uni Trondheim plausibel. „Die aktuellen Hochrechnungen der globalen Plastikmengen beruhen auf Daten von der Meeresoberfläche. Wir wissen allerdings, dass vermutlich nur ein Prozent des Plastiks an der Oberfläche schwimmt“, so Wagner, der sich mit den Auswirkungen des Plastiks auf Ökosysteme und den Menschen beschäftigt. Die bisher vermutete Kontamination der Weltmeere wäre dann nur die Spitze des Müllbergs.

Jörg Oehlmann hat allerdings Zweifel an der Methodik der viel diskutierten Studie aus Manchester: „Die Identifikation der Mikroplastik-Partikel beruht überwiegend auf einer optischen Beurteilung unter dem Mikroskop. Diese Methode ist nicht sehr zuverlässig“, sagt der Ökotoxikologe gegenüber dem Greenpeace Magazin. Diese Kritik verweist auf ein Grundproblem des Forschungsgebiets. „Die größte Herausforderung ist es, Mikroplastik als solches zu identifizieren“, so Oehlmann.

Nicht alles, was nach Mikroplastik aussieht, ist wirklich Mikroplastik

So basieren die meisten Studien zum Thema ausschließlich auf optischen Methoden. Nachträgliche Stichproben solcher Studien ergaben, dass bis zu 90 Prozent der unter dem Mikroskop als Mikroplastik identifizierten Teilchen gar keine waren. In Wirklichkeit handelte es sich um Partikel aus natürlichen Fasern von Pflanzen oder Mineralien. Oelmann und seine Fachkollegen haben deshalb vor etwa sechs Jahren begonnen, vereinzelt neue Methoden anzuwenden. Dabei untersuchen sie meist spektroskopisch, also durch Lichtbestrahlung der Proben deren innere Beschaffenheit und Zusammensetzung. Dadurch lasse sich zweifelsfrei feststellen, ob es sich wirklich um Plastikpartikel oder doch eher um natürliche Fasern handele.

Seit zwei Jahren seien diese neuen Verfahren allerdings erst Standard. So hat auch das Forscherteam der Uni Manchester zunächst die optische Methode genutzt, diese dann aber nachträglich mit der sogenannten Raman-Spektroskopie überprüft. Dabei kam heraus, dass die Forscher die meisten Partikel richtigerweise als Mikroplastik identifiziert hatten. Jörg Oehlmann warnt dennoch davor, voreilige Schlüsse aus den Ergebnissen zu ziehen. Eine konkrete Zahl für die Mikroplastik-Belastung der Weltmeere gäben die Ergebnisse der Studie nicht her. Dafür seien die ausgewählten Messpunkte zu wenig repräsentativ.

Bei Erkenntnissen zu toxischen Effekten von Mikroplastik hinkt die Forschung hinterher

Auch bei den Auswirkungen der winzigen Kunststoffpartikel auf den Menschen, stößt die Wissenschaft an ihre Grenzen. Was passiert, wenn Menschen Mikroplastik zu sich nehmen? Scheiden sie es aus? Oder dringen die Partikel ins Gewebe vor?  Bisher gibt es keine wissenschaftlich verifizierten Erkenntnisse, inwieweit die aufgenommenen Plastikpartikel den Organismus schädigen können, nachdem sie im Verdauungstrakt gelandet sind. Auf viele Fragen gibt es demnach noch keine endgültigen Antworten – und die Wissenschaft hinkt der öffentlichen Wahrnehmung hinterher.

Normalerweise sei es die Wissenschaft, die Risiken erkenne und sich dann bemühen müsse, um ihren Warnungen Gehör zu verschaffen, sagt Jörg Oehlmann. Bei Mikroplastik sei das Gegenteil der Fall: „Sowohl in Politik wie auch in der Gesellschaft – alle sind überzeugt, dass Mikroplastik gefährlich ist", so der Ökotoxikologe von der Uni Frankfurt. „Aber die Forschung hinkt mit Belegen dafür hinterher.“ Mit den bisherigen Befunden ließe sich nicht seriös sagen, ob negative toxische Effekte für den Menschen auftreten, also ob Mikroplastik Organismen direkt schädigt. Hierfür sei noch erheblich mehr Forschungsvorlauf notwendig.

Mehr Meeresgeschichten können Sie in der Ausgabe des Greenpeace Magazins 3.18 „Wir Seeleute“ lesen. Hier finden Sie auch die weiteren Fotoarbeiten der Serie „We'll Sea“ des Fotografen Wolf Silveri. Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!

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