Die Panettone von Michele Fraccaro sind herrlich fluffig und vor allem nachhaltig – nach den Regeln der Nichtregierungsorganisation Slow-Food gemacht. Das bedeutet: Die Lebensmittel sind „sauber“ hergestellt, das heißt, ohne die Ressourcen der Erde, die Ökosysteme oder die Umwelt zu belasten und ohne Schaden an Mensch, Natur oder Tier zu verursachen. Fraccaro steht in seiner Familienbäckerei im norditalienischen Castelfranco vor unzähligen Regalen voller traditioneller Kuchen. Hunderte goldbraun gebackene Exemplare warten darauf, verpackt zu werden. Für Fraccaro ist „bio“ ein Verkaufsargument. „Ich glaube an nachhaltig hergestellte Lebensmittel“, sagt er. „Auch als Alleinstellungsmerkmal gegenüber den großen Marken.“

Seit fünf Jahren kooperiert der Bäcker mit Anhängern der Slow-Food-Bewegung. Und hat mit deren Hilfe spezielle Sorten Panettone entwickelt: mit Bio-Rosen-Sirup aus Ligurien, Salz aus der nahegelegenen Region Emilia-Romagna und Vanilleextrakt aus nachhaltiger Produktion in Mexiko. Fraccaros Großeltern haben die Bäckerei 1932 gegründet, der Enkel bewahrt ihre Tradition und entwickelt sie mit dem Slow-Food-Gedanken im Kopf weiter. Fraccaros Bäckerei ist eine von vielen Handwerksbetrieben in Italien, die für höchste Qualität steht. Damit Wissen wie dieses weitergegeben werden kann, hat die Nichtregierungsorganisation Slow Food eine eigene Universität gegründet.

Die Universität hat eine eigene Weinbank und eine nachhaltige Mensa, in der wochenweise auch mal Sterneköche hinter dem Herd stehen

Die Stärke der italienischen Küche ist seit je der Respekt vor Gutem, das sich bewährt hat. Über Jahrhunderte haben sich alte Sorten, Tierrassen und Rezepte tradiert. Die Slow-Food-Universität in Pollenzo, einem Ortsteil von Bra im Piemont, hilft, diesen Gedanken zu bewahren und weiterzuentwickeln.

Andrea Pieroni, kurze Haare und Brille, ist seit vier Monaten Rektor dieser privaten „Università degli Studi di Scienze Gastronomiche“ (UNISG), wie sie eigentlich heißt. Das Reich des Fünfzigjährigen sind die Nebengebäude eines Landschlosses aus dem 19. Jahrhundert, samt alter Wachtürme aus rotem Backstein und Klassenräumen mit Gewölbedecken. Pieroni ist Herr über eine universitätseigene Weinbank, eine Bibliothek mit unzähligen Büchern übers Essen, eine nachhaltige Mensa, in der wochenweise auch mal Sterneköche hinter dem Herd stehen und ein Labor für sensorische Analysen.

Als die Fiat-Werke hier in der Gegend in den Achtzigerjahren dicht gemacht haben, hat sich die Region um Bra neu ausgerichtet – und auf regionale Spezialitäten und Essen von höchster Qualität spezialisiert. 1986 ist die weltweite Slow-Food-Bewegung just von hier gestartet: um gegen die Eröffnung der ersten Mc-Donald's-Filiale an der Spanischen Treppe in Rom zu demonstrieren. Seitdem unterstützt die NGO kleine Produzenten bei der Herstellung nachhaltiger Produkte. Und hat mittlerweile über 100.000 Mitglieder in 150 Ländern. 2004 kam die eigene Uni zum Netzwerk hinzu. Auch hier wird das Motto der Bewegung hochgehalten: „buono, pulito et giusto“ – zu deutsch bedeutet das in etwa „gutes, sauberes und gerechtes Essen“. „Wir wollen diese Grundsätze hier vertiefen und die Nachhaltigkeit von Lebensmitteln fördern“, erklärt Direktor Andrea Pieroni den Ansatz seiner Universität.

An der Uni lernen nur 400 Studenten den nachhaltigen Umgang mit Käse, Wein oder Fleisch. Auf ihrem Stundenplan stehen Fächer wie Lebensmittelrecht oder kulturelle Anthropologie. Die Studenten lernen auch, welchen Einfluss die Lebensmittelproduktion auf die Umwelt hat. Fast 14.000 Euro zahlt jeder Student hier. Eine Investition, die sich lohnt, findet die Deutsche Elisabeth Berlinghof. Sie studiert an der Uni im zweiten Bachelorsemester. Auch einen Masterabschluss können die Studenten hier erwerben.

Die Deutschen könnten die Liebe für regionale Produkte von den Italienern lernen

Die 22-jährige Münchnerin hat im Piemont genau das gefunden, was sie lange gesucht hat: einen Ort, der Essen mit Psychologie und Konzepten wie Permakultur, der Verbindung von Biolandbau in Europa mit den Anbaumethoden der Naturvölker, oder solidarischer Landwirtschaft, bei dem Bauern für Mitglieder anbauen, verbindet. „Ich habe vor Freude weinen müssen, als ich im Internet auf die Seite der Uni gestoßen bin, so sehr passt ihre Philosophie zu mir“, sagt sie.

Seit sie in Pollenzo ist, lernt Berlinghof nicht nur während des Unterrichts. In Restaurants und auf Märkten der Umgebung betreibt sie quasi permanent Feldforschung. „In Italien habe ich gelernt, die Einfachheit am Essen zu schätzen“, sagt sie. Am Anfang hat sie sich im Restaurant aufgeregt, wenn der Kellner keine Salatsauce gebracht hat. Mittlerweile schätzt sie es, dass die Salatblätter nicht mehr in einem Honig-Senf-See ertränkt werden. Sondern fast immer nur mit Olivenöl, Essig, Salz und Pfeffer gewürzt werden. „So kommt der Geschmack des Gemüses viel stärker durch."

Die Slow-Food-Studentin Elisabeth Berlinghof mag die sinnlichere Herangehensweise der Italiener beim Essen

Außerdem könnten die Deutschen noch viel hinsichtlich der Liebe für regionale Produkte von den Italienern lernen. „Zur Erntezeit gibt es in den kleinsten italienischen Dörfern Feste für regionale Sorten von Lauch oder Tomaten“, sagt sie. In Deutschland würden zu viele Leute auf Marken vertrauen, statt ihre Sinne zu nutzen. Berlinghof liebt es, in Bra auf den Markt zu gehen, mit Produzenten zu sprechen und die Persönlichkeiten hinter den Produkten kennenzulernen. „Ich freue mich nicht nur, dass die Tomate unfassbar lecker schmeckt, sondern dass eine Person von ihrer Produktion leben kann." Für sie ist es wichtig, wie mit dem Boden umgegangen wird und welche Praktiken genutzt werden, um seine Fruchtbarkeit zu fördern. Sie mag die sinnlichere Herangehensweise der Italiener beim Essen.

Später möchte sie im Beruf Essen mit Bildung verbinden. Wie das genauer aussehen wird, weiß sie noch nicht. „Ich fürchte aber, dass es den Beruf, den ich gerne machen möchte, noch nicht gibt“, sagt sie. Fall es mit der Bildung nicht klappen sollte, hat sie eine weitere Idee. Sie würde gerne einen kleinen Laden in Deutschland eröffnen – mit Produkten aus der Region und Sauerteig-Back-Kursen. 

An der Universität lehren 150 Gastdozenten aus der ganzen Welt

Kleine Läden und Produzenten hat Berlinghof im Rahmen ihrer Ausbildung auch in Ecuador besucht. Gerade war sie zwei Wochen auf Studienreise in dem Land unterwegs – hat mit Kakaobauern gesprochen, deren Ernte für Milka-Schokolade verwendet wird, aber auch mit Kleinbauern, die nachhaltig arbeiten. Jeden Tag haben sie und ihre Mitstudenten zwei Produzenten getroffen und bei zwei Mahlzeiten die lokale Küche kennengelernt.

Sterneköche wie der Italiener Massimo Bottura lehren an der Slow-Food-Uni und kochen in der Kantine für die Studenten

Sterneköche wie der Italiener Massimo Bottura lehren an der Slow-Food-Uni und kochen in der Kantine für die Studenten

Elisabeth Berlinghof reist jedoch nicht nur in entfernteste Gegenden der Welt, um nachhaltige Lebensmittelproduzenten zu besuchen und interessante Gerichte zu entdecken. Auch in Pollenzo selbst trifft sie Lehrer aus Amerika, Afrika, Asien und Südamerika. Neben den 14 regulären Lehrern bringen derzeit 150 Gastdozenten internationale Gerichte und Sichtweisen nach Italien. Neben den großen Namen der Branche besuchen auch immer wieder Lehrer aus Entwicklungsländern die Universität. Ende Februar werden Spitzenköche aus Pakistan in den Klassenräumen und Küchen der Universität stehen, um über das Essen in der Himalaya-Region zu lehren. Laut Andrea Pieroni machen sie das beste Curry, das er je gegessen hat. Und überhaupt: „Mit ihrer alternativen Sichtweise auf Essen bereichern Gastdozenten aus vielen Ecken der Welt unsere Studenten.“

Für den Schuldirektor ist die italienische Küche dennoch die beste. Für ihn liegt ihr Geheimnis in der Einfachheit der Gerichte und der hohen Qualität der Lebensmittel, mit denen gekocht wird. Er selbst liebt besonders die schnörkellose Bauernküche Süditaliens. Sein Lieblingsgericht: Nudeln mit Olivenöl, Knoblauch und blanchierten Wildkräutern.

Mehr nachhaltige Lebensmittel: In der Ausgabe des Greenpeace Magazins 2.18 „Globalisierung“ erzählt der Schweizer Benjamin Hohlmann, wie er Co-Owner einer Kaffeefarm wurde: „Irgendwann realisierte ich, dass ich für die Kaffeeproduktion selbst Verantwortung übernehmen muss.“ Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!