Liebe Leserinnen und Leser,

Oma ist doch einfach die Beste, oder? Mit weißem Dutt und mildem Lächeln sitzt sie im Schaukelstuhl und strickt, wenn sie nicht gerade sensationelle Kekse backt oder sich hingebungsvoll um die Enkel kümmert. Doch dann wurde Oma erst zur Seniorin umdeklariert, später gemeinsam mit Opa als Best Ager oder Silver Ager zur Zielgruppe für Werbung und Marketing und schließlich als Generation 60+ zur begehrten Fachkraft erklärt.

Aber viele Frauen im Rentenalter haben heute was anderes vor: Sie basteln sensationelle Schilder und Transparente, kümmern sich hingebungsvoll um Demokratie und Umweltschutz, gründen Gruppen und verabreden sich statt zu Kaffeekränzchen oder Kreuzfahrt zum Demonstrieren und Protestieren auf der Straße.  

Die Omas gegen rechts zum Beispiel, „Ersthelfer gegen Demokratiefeinde“, sind mittlerweile in zahlreichen kleinen, mittleren und großen Städten vertreten, ebenso wie die Omas for Future, im Einsatz für eine enkeltaugliche Zukunft. Die Schweizer KlimaSeniorinnen haben ihre Regierung verklagt, weil diese sie nicht ausreichend vor den Folgen der Klimakrise schütze. Und in den USA konzentrieren sich die Climate Grannies, ein Oberbegriff für zahlreiche unterschiedliche Gruppierungen, häufig auf die Schnittstelle von sozialer Gerechtigkeit und Klimakrise, von der ärmere Menschen, Indigene und Afroamerikaner stärker betroffen sind als die weiße Mittelschicht.

Aus Nordamerika – genauer gesagt aus Kanada – stammten seinerzeit auch die Raging Grannies. Diese „wütenden Omas“ machten in den späten Achtzigerjahren mit Protesten gegen atomar bewaffnete Kriegsschiffe von sich reden und erweiterten ihren Aktionsradius später auf die Abholzung von Urwäldern und andere Umweltthemen. Um nicht mehr übersehen und überhört zu werden, trugen sie bunte und häufig schrille Outfits und begleiteten ihre Auftritte meist mit Gesang.

Manche dieser Frauen können auf Jahrzehnte des politischen Aktivismus zurückblicken – für Frieden, sauberes Wasser und saubere Luft, gegen Investitionen der Banken in fossile Energien und vieles mehr. So wie Jane Fonda, 86. In den Siebzigerjahren protestierte die Schauspielerin gegen den Vietnamkrieg; heute lässt sie sich bei Klima-Demos festnehmen und unterstützt Wahlkampagnen von Kandidatinnen und Kandidaten, die sich für Klimaschutz stark machen. Verhaftet werden natürlich auch Omas, meist geht die Polizei aber recht höflich und rücksichtsvoll vor. Wer vermöbelt schon eine Frau, die die eigene Großmutter sein könnte?

Auch in Deutschland ist das Engagement älterer Frauen nicht eben erst erfunden worden. Zwar ist keine von ihnen so prominent wie Jane Fonda, aber einige brachten es zu einer gewissen Berühmtheit, etwa Marianne Fritzen, Galionsfigur der Anti-Atom-Proteste im Wendland. Wer kennt nicht das ikonische Foto der kleinen Frau mit Strickmütze, die einer Reihe hochgewachsener Polizisten gegenübersteht? Oder Irmgard Gietl, Hausfrau und Mutter aus der bayerischen Oberpfalz – und eines der Gesichter des Widerstands gegen die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf.

Marianne Fritzen starb 2016, Irmgard Gietl 2023. Irmela Mensah-Schramm hingegen ist weiterhin auf der Jagd nach Nazi-Schmierereien oder -aufklebern, die sie übersprüht oder entfernt, wenn die Behörden untätig geblieben sind. Das macht die heute 78-Jährige, die sich als „Politputze“ bezeichnet, schon seit 1986. Es hat ihr einerseits Ehrungen, andererseits Morddrohungen und mehrere Gerichtsprozesse eingebracht – wegen Sachbeschädigung.

Wir sehen: Erstens, es gibt keine Altersgrenze für gesellschaftliches Engagement, weder nach unten noch nach oben. Zweitens, Frauen (Männer sind übrigens mitgemeint) im Oma-Alter – sie müssen nicht zwangsläufig Großmütter sein, auch Kinderlose können mitmachen – haben heute oftmals keine Lust, sich auf häusliche Tätigkeiten oder rege Reiseaktivitäten zu beschränken.

Obwohl sie das natürlich gern auch weiterhin machen sollen. Irmgard Gietl zum Beispiel wurde selten ohne Strickzeug gesichtet. Nicht wenige Aktive sind mit dem Ergebnis ihrer Nadelarbeit beschenkt worden: Widerstandssocken. Schließlich sollte niemand beim Demonstrieren in kühler Witterung kalte Füße bekommen.

O.k., und wo ist jetzt die nächste Demo? Auskunft erteilt gern das DemokraTEAM.

Unterschrift

Kerstin Eitner
Redakteurin