Liebe Leserinnen und Leser,
anderthalb Jahrzehnte sind verstrichen, bis sich die UN-Mitgliedsstaaten am 4. März um 22 Uhr New Yorker Ortszeit endlich darauf einigten, die Hohe See besser zu schützen, die Meere außerhalb der nationalen 200-Seemeilen-Hoheitszonen. Nach einem rund 40-stündigen Sitzungsmarathon wurde der endgültige Abschlusstext des Abkommens über „Biodiversität jenseits nationaler Gesetzgebung“ (BBNJ) zwar noch nicht veröffentlicht, aber die Bestätigung zu einem späteren Zeitpunkt ist laut Sitzungsleitung nur noch eine Formsache.
Bei Umweltschutzorganisationen, Meeresforschern und Ministerinnen brach Jubel aus. Was Wunder, schließlich geht es um den größten zusammenhängenden Lebensraum auf unserem Planeten. Das Verhandlungsergebnis sei ein „historischer Erfolg für unsere Meere“, sagte Till Seidensticker, Meeresexperte von Greenpeace; ähnlich formulierte es auch Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Und für Karoline Schacht vom WWF steht der „New York-Moment“ für die Meere auf gleicher Stufe mit dem „Paris-Moment“ für den Klimaschutz.
Es ist in der Tat ein großer Schritt auf dem Weg zur Erreichung des Ziels, das die Weltnaturkonferenz im Dezember 2022 in Montreal vereinbart hat. Bis 2030 sollen 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz gestellt werden – mindestens. Die Hohe See umfasst rund 60 Prozent der Weltmeere und gehört: niemandem. Beziehungsweise allen. Für viele ein Freibrief, um sie nach Belieben zu nutzen, besser gesagt auszuplündern. Dem will die Staatengemeinschaft jetzt einen Riegel vorschieben.
Höchste Zeit, denn laut Weltnaturschutzorganisation IUCN sind fast zehn Prozent aller Lebewesen in den Ozeanen vom Aussterben bedroht. Gut ein Drittel aller Fischbestände gilt als überfischt, hinzu kommt die Verschmutzung, etwa durch Dünger, Plastikmüll oder auch Lärm. So geht das nicht weiter, denn: „Wir brauchen die Ozeane als Verbündete zur Bekämpfung der Klima- und Biodiversitätskrisen“, sagt Sebastian Unger, Meeresbeauftragter der Bundesregierung und in New York Leiter der deutschen Delegation. Über die Hälfte des Sauerstoffs auf der Erde stammt aus den Meeren, die überdies freundlicherweise jedes Jahr rund 30 Prozent des vom Menschen erzeugten Kohlendioxids aufnehmen und so den Treibhauseffekt abmildern.
Dabei haben sie selbst mit diesem zu kämpfen. So wird es vielen Fischen bereits zu warm, sie flüchten auf der Suche nach neuen Lebensräumen in kühlere Gefilde, vor allem aus den tropischen Gewässern, aber auch aus Nord- und Ostsee. „Das Meer ist weit, das Meer ist blau/Im Wasser schwimmt ein Kabeljau“, reimte einst der Komiker Heinz Erhardt. Besagten Kabeljau und viele seiner Artgenossen zieht es in den kühleren Nordatlantik, mit potenziellen Folgen für das ökologische Gleichgewicht.
Bei aller Freude über das BBNJ-Abkommen steht fest, dass es noch ein Stück Arbeit sein wird, es mit Leben zu füllen. Immerhin: Für die Ausweisung der Schutzgebiete reicht eine Zweidrittelmehrheit, es gibt also kein Vetorecht (wie es etwa Russland und China gern gehabt hätten).
Aber wo genau sollen diese Gebiete liegen, wo die „blauen Korridore“ verlaufen, die den Walen ungestörtes Wandern ermöglichen sollen? Wie könnten die Umweltverträglichkeitsprüfungen aussehen, die für menschliche Aktivitäten außerhalb der geschützten Zonen vorgesehen sind? Was wird aus den Rohstoffen in der Tiefsee? Wie werden Gewinne aus marinen genetischen Ressourcen aufgeteilt? Wer zahlt? Und, sehr wichtig: Wie soll die Einhaltung der Schutzmaßnahmen kontrolliert werden? Aber bestimmt sind die Sektgläser bereits weggeräumt, die Ärmel hochgekrempelt, Köpfe und Computer eingeschaltet.
Wenn Sie jetzt Lust auf Meer bekommen haben: Davon gibt es reichlich im Greenpeace Magazin, und zwar in Heft 6.22 – über seine Schönheiten und Bedrohungen, mit viel Wissenswertem und Tipps zum Aktivwerden. Und in der allerneuesten Ausgabe (GPM 2.23) können Sie eine Reportage über Tiefseebergbau lesen.
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Kerstin Eitner
Redakteurin
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