Liebe Leserinnen und Leser,
Sommerpause. Das Parlament liegt verlassen da, vielerorts sind Schul-, Semester- oder Werksferien, an Läden hängen Schilder: „Wir machen Urlaub von…bis…“, und im Fernsehen haben sie teils schon im Mai den üblichen Sendebetrieb heruntergefahren und fangen im September wieder an – wobei man sich von manchen Quassel- und Quatschsendungen wünscht, die Pause möge am 1. Januar beginnen und am 31. Dezember nicht enden. Als Ersatz wird Konservennahrung in Gestalt von betagten Spielfilmen, Tatort-Wiederholungen oder seichten Sommerkomödien gereicht. Selber schuld, wer alt, arm oder anders gehandicapt und nicht verreist ist.
Also ab in die Wärme? Kann man wohl sagen. Eine kleine Grad-Wanderung von Rom (41,8) über Sa Pobla, Mallorca (43,9), Theben nahe Athen (44,2), Phoenix, Arizona/USA (46,7) bis nach Sanbao, China (52,2), Temperaturen gemessen in diesem Juli. Reisenden, die es etwa in den Mittelmeerraum zieht, möchte man hinterherrufen: Wollt ihr es euch nicht noch mal überlegen? Heute neu reingekommen: 15,7 Grad. Wie angenehm! Aber von wegen Sommerfrische – Rekordtemperatur auf dem Hohen Sonnblick, mit 3106 Metern einer der höchsten Berge Österreichs, gemessen am 11. Juli. Rund zehn Grad über dem Durchschnitt.
Die Klimakrise macht definitiv keine Sommerpause, ganz im Gegenteil. Sie schwitzt und schuftet, lässt ihre gut definierten Muskeln spielen und bietet mal wieder einen Vorgeschmack auf kommende Zeiten. Der Sommer 2022 war in Europa der heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, mit über 60.000 Toten. Gut möglich, dass auch dieser traurige Rekord in diesem Jahr gerissen wird. Extreme Hitze koste in den meisten Jahren in den USA mehr Menschenleben als Hurrikane, Überflutungen und Tornados zusammen, schreibt der Scientific American. Und sie sorgt für Dürren, Wasserknappheit, Hunger und Fluchtbewegungen.
Flucht – darüber denken auch die 12.000 Einwohner und Einwohnerinnen des winzigen pazifischen Inselstaats Tuvalu nach. Nicht wegen der Hitze, sondern wegen des steigenden Meeresspiegels, der ihre drei Koralleninseln und sechs Atolle in nicht allzu ferner Zukunft unbewohnbar machen wird. Nur, wohin sollen sie? Einige sind bereits nach Neuseeland ausgewandert, aber das ist keine Option für alle, und die meisten wollen eigentlich auch gar nicht weg. Einstweilen haben sie den Plan gefasst, einen digitalen Zwilling zu erschaffen, um ihre kulturelle Identität, aber auch die Landschaft wenigstens in virtueller Form zu erhalten.
Umziehen müssen auch die Menschen aus Newtok, Alaska, weil das Dorf langsam aber sicher im schmelzenden Permafrostboden versinkt. Das ist seit Jahren bekannt. Es gibt sogar einen Ort, Mertarvik, wo schon 200 Leute hingezogen sind, aber die staatlichen Finanzhilfen für die im Prinzip bewilligte Umsiedlung fließen nur spärlich und unregelmäßig, und so harren die übrigen 200 auf schwankendem Grund aus und sehen der Infrastruktur beim Zerbröckeln zu.
Nicht nur Menschen müssen vor der Erderhitzung in Sicherheit gebracht werden (obwohl ja Urlaubende in Europa derzeit gerade das Gegenteil tun), sondern auch: Gletscher. Keine kompletten natürlich, die sind sowieso nicht zu retten, aber immerhin Eisbohrkerne aus verschiedenen Regionen. Die Initiative „Ice Memory“ will sie bei minus 50 Grad in der Antarktis zu Archivierungszwecken konservieren, weil sie wichtige Erkenntnisse über die Geschichte der Erde, der Atmosphäre und der Menschheit bergen.
Das Gute an diesem Unterfangen: Die Fluchthilfe ist nicht strafbar, Eisbohrkerne brauchen keine Visa und müssen kein Asyl beantragen. Wenn es nach dem CDU-Politiker Torsten Frei geht, ist das individuelle Asylrecht sowieso ein menschenrechtliches Fossil und gehört abgeschafft. Angesichts solcher Vorschläge frage ich mich, und das nicht zum ersten Mal, wie eigentlich das „C“ in den Namen der Partei geraten ist, das ja für „christlich“ steht. Gut, 1. Mose 1:28 haben sie offenbar verinnerlicht („Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“)
Aber war in der Bibel nicht auch von Nächstenliebe die Rede? Und was haben sie immerfort an der Schöpfung auszusetzen, sollten Konservative diese nicht bewahren und pflegen? „Und Gott sah, dass es gut war.“ Ja, Gott vielleicht, aber die christlichen Parteien halten das Werk offenbar für weniger gelungen. Deshalb muss man weiterhin Gifte auf den Feldern verteilen (gern auch etwas Gentechnik hinzufügen), Moore trockenlegen, Flüsse begradigen, Straßen bauen, fossile Brennstoffe verheizen, Wälder abholzen, durch die Gegend rasen, Massentierhaltung heiligen und EU-Naturschutzgesetze zu torpedieren versuchen, was letztlich misslang, zumindest vorläufig. Andere Parteien denken ähnlich, aber die haben auch kein C im Namen.
Seltsame Vorschläge aus manchen Parteien, ein mutmaßlicher Betrüger namens Jan Marsalek oder zumindest ein angeblicher Brief desselben, eine Löwin oder ein anderes großes Tier in Brandenburg – wer weiß, was noch alles aus dem Sommerloch aufploppt. Ich jedenfalls brauche jetzt auch mal eine klitzekleine Pause. Die werde ich in nördlichen Gefilden verbringen, die derzeit nicht unter Extremhitze leiden, teils in der Nähe eines Sees. Nessie wurde dort bislang nicht gesichtet. Irgendwann im August melde ich mich dann zurück.
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Kerstin Eitner
Redakteurin
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