Der Klimaschutz ist in der Defensive. Lobbygruppen für fossile Energien und „besorgte Bürger“ führen einen Kampf, in dem es nicht mehr nur um Heizungen geht. Höchste Zeit, dass die wirkliche schweigende Mehrheit auch mal das Wort ergreift.

Vielleicht wäre alles leichter, wenn die Wärmepumpe anders heißen würde. „Wärmepumpe“ – das klingt anstrengend und vor allem: alt. Nach vorindustrieller Zeit, in der Menschen draußen in der Kälte für die Wärme drinnen kräftig pumpen mussten. Die Wärmepumpe als „Chiffre einer ‚woken‘ Zwangspolitik“ (FAZ) ist der ideale Begriff, um die Klischees von einer klimafreundlichen, aber mühseligen Zukunft tanzen zu lassen. Gleich dahinter kommt das Lastenrad. Allein das Wort wiegt hundert Kilogramm.

Es ist in Deutschland beinahe unmöglich geworden, sachlich über Maßnahmen gegen den Klimanotstand zu diskutieren. Davon kann man durchaus sprechen, wenn globale „Jahrhundertrekorde“ bei Erderhitzung, Dürreperioden und Flutwellen jährlich fallen. 600 Millionen Menschen leben aufgrund der Klimakrise bereits jetzt unter unzumutbaren Bedingungen. Die Zahl jener, die deshalb ihre Heimat verlassen, liegt laut UN erstmals höher als die derjenigen, die vor Krieg, Gewalt und Unterdrückung fliehen.

Das Gebäudeenergiegesetz musste die Bundesregierung überarbeiten, um die Vorgaben aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und auch aus dem Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 zu erfüllen. Vierzig Prozent der klimaschädlichen Emissionen fallen im Gebäudesektor an und sind ab 2027, wenn der EU-weite CO2-Preis auch hier greift, ein heftiger Kostenfaktor für Unternehmen und private Haushalte – sofern zum Heizen weiter Öl, Kohle oder Gas verbrannt werden. Wie die Debatte über das „Heizverbot“, das es nie geben sollte, geführt wird, überrascht nur jene, die nicht mitbekommen haben, dass längst jede einzelne Klimaschutzmaßnahme zuverlässig einen Shitstorm auslöst und die große fossile Gegenerzählung, nun ja, befeuert. Dass sich dabei die Motive vieler Politpöbler mit den Geschäftsinteressen der fossilen Industrien verbinden, ist das eigentlich Bedrohliche daran.

Nochmal zwei, drei Schritte zurück. Nach langem Leugnen, dass es den menschengemachten Klimawandel überhaupt gibt, setzte in den Neunzigerjahren mit den ersten großen Klimaschutzverhandlungen die Konferenzialisierung des fossilen Abwehrkampfes ein. Die Senkung der Treibhausgasemissionen wurde zur Aufgabe der gesamten Menschheit. Anstatt dass fossile Unternehmen möglichst rasch neue Geschäftsmodelle entwickelt hätten, lagen die Pflichten jetzt bei Regierungen, die „Klimaziele“ vereinbarten, und beim Individuum. Der ökologische Fußabdruck, einst durch eine Werbeagentur im Auftrag des BP-Konzerns popularisiert, verwandelte jedes Licht, das zu lange brannte, jeden Grillabend, jede Autofahrt ins Grüne zur umweltfeindlichen Untat, während die wahren Klimaschutzsaboteure ungestört weitermachten.

Inzwischen hat die fossile Industrie die Klimakonferenzen ganz für ihre Zwecke okkupiert. Die Zahl ihrer Lobbyisten vor Ort ist höher als die der größten Länderdelegation. Bis heute steht der Ausstieg aus der Förderung von Öl und Gas in keinem Abschlussdokument. Für das kommende Treffen, die COP28 in den Vereinigten Arabischen Emiraten, übernimmt Sultan Ahmed Al Jaber, Chef des größten Öl- und Gaskonzerns im Land, gleich selbst den Vorsitz. Sein großes Thema: Die „Dekarbonisierung“ der fossilen Industrie – das hochkomplexe „Einfangen“ der Treibhausgase statt ihre grundsätzliche Vermeidung.

Zwei Drittel der Deutschen sind vom Klimaschutz nicht „überfordert“. Ihnen geht es, im Gegenteil, nicht schnell genug.

Den ideologischen Rahmen setzt auch in Deutschland immer noch die Industrie. Bei ihren häufigen Besuchen in Ministerien und im Kanzleramt hört man die Sanftversionen zukünftiger Parolen – „Klimaschutz muss bezahlbar sein“, „Bevölkerung mitnehmen“, „Technologieoffenheit“, „keine Überregulierung“. Studien zur angeblich gefährdeten „Versorgungssicherheit“ ohne Öl und Gas lieferten die Scheinargumente, bis schließlich die gewohnten Lautsprecher in Boulevardkampagnen, Talkshows oder auf Social Media zuschlagen.

Dass der Springer-Konzern, Miterfinder des „Heizungsverbots“ und dank Bild und Welt medialer Hauptpropagandist fossiler Interessen, etwa zur Hälfte dem Private-Equity-Unternehmen KKR aus den USA sowie dem kanadischen Pensionsfonds CPPIB und damit zwei ausgewiesenen Großinvestoren in Öl und Gas gehört, ist sicher nur Zufall. Auch dass die sogenannte „Denkfabrik“ Prometheus des immer einflussreicheren FDP-Abgeordneten Frank Schäffler Teil eines von der fossilen Industrie mitfinanzierten globalen Netzwerks ist, hat gewiss nichts weiter zu bedeuten. Geärgert haben dürfte sich jedenfalls keiner seiner Finanziers, als es Schäffler im April gelang, eine Parteitagsmehrheit gegen das von der FDP zuvor mitbeschlossene Gebäudeenergiegesetz zu mobilisieren, das zukünftige Gasprofite gefährdet hätte. Das Gesetz sei „eine Atombombe für unser Land“, schimpfte Schäffler. Die Wärmepumpe als „Atombombe“, darauf muss man erst mal kommen.

Du darfst

Ende Juni hielt die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer bei der 17. Mediendozentur an der Universität Tübingen einen viel beachteten Vortrag. 

Darin fragte sie, warum sich so viele Menschen für die Klimazerstörung begeistern lassen. Die Wurzeln der „Fossilität“, also der ökonomischen und kulturellen Übermacht der Kohle-, Öl- und Gasindustrie, reichten tief in die Welt der Gefühle und archaischer Traditionen hinein. „Die Fossilität kann man sich so ein bisschen wie das Patriarchat vorstellen“, erklärt Luisa Neubauer. Darin steckt der Geist der Eroberung, ein öko-kolonialer Gewaltakt, der sich die Erde untertan macht, sie aufbohrt, ihre Innereien sprengt, Öl und Gas herauspumpt oder Kohle abschlägt, um jahrtausendealte Überreste von Tieren und Pflanzen binnen Sekunden einfach zu verbrennen. Die männliche Sehnsucht nach der Macht über das Feuer mag ein Klischee sein, aber ihre fortgesetzte Wirkung lässt sich am Sommergrill ebenso erleben wie beim Aufheulenlassen der Verbrennermotoren, kurz bevor die Ampel umspringt. Wer das Feuer beherrscht – vom Grill über die Maschine bis zur Bombe –, beherrscht die Welt, so scheint es historisch verbrieft.

Es ist kein Zufall, dass die neben der FDP männlichste aller deutschen Parteien, die AfD, den Kampf gegen die „Klimahysterie“ so hartnäckig führt. Bei den Bundestagswahlen 2021 holte die AfD bei Wählern 13 Prozent, bei Wählerinnen 7,8. Ihre eigene wirtschaftliche Lage beurteilen AfD-Wählende besser als die des restlichen Landes. Unter ihnen – zu zwei Dritteln männlich – trifft man eher den Eigenheimbesitzer mit Heizölkessel im Keller und den Autofahrer, der in der Stadt keinen Parkplatz findet, als die Hochhausfamilie, die sich gar keinen Wagen leisten kann.

Der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje hat für den Berliner Tagesspiegel eine Social-Media-Analyse zur AfD erstellt, die auch dem Greenpeace Magazin vorliegt. Mit ihrer „Angsterzählung von einer angeblich ökodiktatorischen Umerziehung“ erreichten die Rechtsextremen „mittlerweile ähnlich hohe Reichweiten wie mit Migration oder Corona“. Ihre Propaganda zu Klima- und Energiepolitik wird von den weit mehr als 500.000 Facebook-Fans der Partei tausendfach geliked und geteilt, ein wichtiges „Mobilisierungsthema in ihrer Echokammer“.

Die führenden Männer der fossilen Industrien in Deutschland müssen in diesem Kulturkampf gar nicht mehr ihre Stimmen heben. Denn würden ihre Vorstellungen nicht erfüllt, warteten hinter der Brandmauer der „ökonomischen Vernunft“ schon die ebenso besorgten wie wütenden Bürger von der AfD, und dann könnte es erst so richtig ungemütlich werden.

Ölmanager und Gaslobbyisten sind sicher keine Faschisten im Maßanzug. Und doch ist das Modell einer funktionierenden demokratischen Ordnung – mit freien Medien und Wahlen, mit Gewaltenteilung und unabhängigen Gerichten – keines, das sich mit ihren Geschäftsinteressen ideal verbinden lässt. Die Mehrheiten für Klima- und Umweltschutz, dazu Medienenthüllungen, wie demokratische Entscheidungsprozesse durch Lobbyarbeit umgangen werden, bis das nächste fossile Großprojekt beschlossen und subventioniert wird, sowie mögliche Anklagen wegen ihrer klimaschädlichen Eingriffe in die Natur – all dies setzt die fossile Macht weltweit in Opposition zu einem fairen und freien Gesellschaftssystem, das die meisten Menschen ersehnen.

Die Zahl derer, die wegen der Klimakrise ihre Heimat verlassen, liegt erstmals höher als die derjenigen, die vor Krieg, Gewalt und Unterdrückung fliehen.

Es war nur eine kleine Meldung, die es nicht mal in die Abendnachrichten schaffte: Das Meer verliert sein Blau. Satellitenbilder zeigen, wie ein schlammiges Grün inzwischen den Farbton vorgibt – auf einer Meeresfläche, die größer ist als sämtliche Landmassen zusammen. Durch die Klimawandelbedingte Erwärmung der Ozeane verändert sich die Zusammensetzung winziger Meeresalgen, die unter der Oberfläche schwimmen.

Gegen solche Fakten scheinen deutsche Politiker in ihrem Kampf gegen die „Klimapanik“ immer heftiger anzubrüllen. Unlängst rief der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger bei einer Demo gegen die „grüne Heizungsideologie“, der Punkt sei „erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss!“. Von der AfD bis zu Kanzler Scholz sind sich viele einig: Gegen diese „schweigende Mehrheit“ – die wahrscheinlich lauteste Minderheit, die es je gab – dürfe man keine Klimaschutzpolitik machen.

Interpretiert man Umfragezahlen jedoch nicht prinzipiell als Aufstand der bedrängten Volksseele gegen alles Grüne, wie das beinahe alle Leitmedien tun, ergibt sich ein erstaunliches Bild. SPD und FDP, also eher die Klimaschutzbremser innerhalb der Koalition, büßen im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 jeweils ein gutes Drittel ihrer Wählerschaft ein. Die Grünen dagegen lagen Ende Juni im Durchschnitt der Umfragen ungefähr bei den 14,8 Prozent, die sie auch bei der Wahl bekommen hatten. Und trotz unablässigen Getrommels gegen das „Heizungsverbotsgesetz“, halten es laut ZDF-Politbarometer immer noch 56 Prozent der Befragten für richtig, wenn neu eingebaute Heizungen zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssen. Siebzig Prozent befürworten nach wie vor die Energiewende. Zwei Drittel der beim jährlichen Nachhaltigkeitsbarometer Befragten zeigen sich vom Klimaschutz nicht „überfordert“. Ihnen geht es, im Gegenteil, „nicht schnell genug“.

Das Heizungsgesetz ist eine Atombombe für das Land.
Frank Schäffler, FDP

Vielleicht haben die wirklich um die Welt besorgten Bürgerinnen und Bürger ja einfach nur keine Lust, ständig Social-Media-Kampagnen zu führen, vielleicht sind Liebe und Fürsorge auch nur zeitraubender als Hass und Wut. Und womöglich treibt die „stille Mitte“, wie Sven Schulze, der SPD-Bürgermeister von Chemnitz, sie neulich nannte, auch nur ein ganz anderer Freiheitsbegriff um als die Kulturkrieger für Schweinebraten, Gasheizungen und den Dieselmotor. Es gibt schließlich auch noch ganz andere Freiheiten, für die sich aber kaum noch jemand einzusetzen wagt, und die eben nicht auf die Unfreiheit der anderen zielen: Die Freiheit etwa, auch als Mieter klimafreundlich zu heizen und sauberen Strom zu nutzen – dank entsprechender Angebote. Die Freiheit, auf dem Land mit Bus und Bahn zur Arbeit fahren zu können. Die Freiheit, saubere Luft zu atmen statt Feinstaub sowie bezahlbare Lebensmittel zu kaufen, für deren Herstellung kein Tier leiden musste und die Böden nicht mit Pflanzengiften attackiert wurden.

Das in Kommentaren oft diagnostizierte Misstrauen gegen „die da oben“ hat womöglich ganz andere Gründe als das angeblich verbreitete Unbehagen an „grüner Erziehungsdiktatur“. Denn viele Menschen mögen nicht länger akzeptieren, dass ihre Regierungen noch immer die Freiheit fossiler Konzerne schützen, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Und schon gar nicht, dass staatliche Institutionen all das weiterhin mit Steuergeldern fördern.

Am Ende eint die Stillen und jene, die lieber schweigen, die Unlust am Gebrüll und dazu die leise Hoffnung, dass doch noch alles gut wird. Zum Beispiel darauf, dass das Meer auch dann noch blau ist, wenn ihre jetzt noch nicht geborenen Enkelkinder es einmal sehen können.

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