Sobald ein Hai an Bord ist, muss alles ganz schnell gehen. „Zuerst bedecken wir seine Augen, das beruhigt ihn“, erzählt Pierluigi Carbonara im Videochat. „Dann schieben wir ihm einen Schlauch mit fließendem Meerwasser ins Maul, um die Kiemen mit Sauerstoff zu versorgen.“ Der Wissenschaftler teilt seinen Bildschirm und zeigt einen verwackelten Handyfilm, auf dem ein an Deck eines Schiffes liegendes Tier mit auffallend spitzer Schnauze zu erkennen ist, über dem Kopf ein nasses Handtuch, aus den fünf Kiemenspalten strömt Wasser. Man sieht, wie Carbonara, grau gelockt in Shorts und T-Shirt, nahe der Rückenflosse ein eiförmiges Gerät befestigt. Dann packt er das zappelnde Tier beherzt an Brustflosse und Schwanzstiel, hievt es über die Bordwand und lässt es ins Wasser gleiten, wo es mit kräftigen Flossenschlägen abtaucht.

© Carsten Raffel© Carsten Raffel

Zwanzig Blauhaie, zwischen ein und zwei Meter lang, hat der Italiener in der südlichen Adria mit „Pop-up-Datenloggern“ versehen, die Tiefe, Licht und Temperatur aufzeichnen. Sie lösen sich nach rund einem Jahr, steigen an die Oberfläche und senden die gesammelten Daten an einen Satelliten. Carbonara, der am Meeresforschungsinstitut COISPA in Bari arbeitet, lässt sich dafür von Schwertfischfängern mitnehmen, die vom nahen Hafenstädtchen Monopoli aus in See stechen. „Die Fischer sind Teil des Problems“, sagt er, „aber sie könnten auch Teil der Lösung sein.“

„Teil des Problems“ ist eine Untertreibung: Beifänge in der Langleinenfischerei gelten als Hauptursache sinkender Blauhaizahlen im Mittelmeer. „Haie haben sehr wenig Nachwuchs“, erklärt Carbonara, „da hat schon der Verlust weniger Tiere Folgen.“ Er sieht die Situation realistisch: „Der Schwertfischfang wird weitergehen“, sagt er, „aber man könnte ihn so verändern, dass weniger Haie sterben.“

Das erste Ergebnis der Analyse im Rahmen des Projekts „SafeSharks“ erschreckte den Biologen: „Auf sieben gefangene Schwertfische kommt in der Südadria ein Blauhai.“ Die zweite Zahl aber war erfreulich: „85 Prozent der markierten Haie überlebten.“ Es ist also eine gute Idee, gefangene Haie wieder auszusetzen – was bisher nicht immer geschieht, da auch sie sich verkaufen lassen, wenn auch mit viel geringerem Erlös.

Doch am spannendsten waren die Tiefenprofile. „Vier der Haie tauchten teils mehr als tausend Meter tief“, berichtet die Zoologin Theda Hinrichs, die die Daten in ihrer Masterarbeit an der Universität Rostock auswertete. „Andere machten regelmäßige vertikale Wanderungen: Tagsüber hielten sie sich in 400 bis 700 Metern Tiefe auf, nachts nahe der Oberfläche.“ Hinrichs und Carbonara nehmen an, dass die Haie ihrer Lieblingsbeute folgten, den Tintenfischen. Die tägliche Auf- und Abbewegung von Myriaden von Meerestieren – von Plankton, Fischen, Kalmaren und ihren Jägern – gilt als weltgrößte Tierwanderung.

Wie könnten die Erkenntnisse nun den Haien helfen? „Wir haben damit experimentiert, die Langleinen nur tagsüber auszubringen“, erzählt Carbonara. Tatsächlich bissen keine Haie an – aber auch viel weniger Schwertfische. Denkbar wäre es, die Fischer für Fangausfälle zu entschädigen oder sie zu zertifizieren. Und er ergänzt, wie es Wissenschaftler häufig tun: „Wir müssen weiter forschen.“

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