Beinahe drei Tage lang wütete Hurrikan Dorian auf den Bahamas. Mit Windgeschwindigkeiten um die 300 Kilometer pro Stunde war er der stärkste Sturm, der im Archipel südöstlich von Florida gemessen wurde. Bis jetzt kamen offiziell dreißig Menschen darin um. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind rund 700.000 Menschen auf sofortige Hilfe angewiesen, sie brauchen Lebensmittel, Wasser, Unterkünfte und Medikamente. Sie zu versorgen ist schwierig, denn die gesamte Infrastruktur ist zusammengebrochen. Die am schwersten getroffenen Abaco-Inseln und Grand Bahama sind nur per Hubschrauber erreichbar, viele Straßen sind unbenutzbar.

Im Schatten dieser humanitären Katastrophe spielt sich noch eine weitere ab, denn der Hurrikan verwüstete auch den Lebensraum vieler bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Darauf macht die Biologin Diana Bell von der britischen Universität von East Anglia aufmerksam. „Es ist natürlich eine Katastrophe für die Menschen, die auf diesen nördlichen Inseln leben“, sagt sie. „Allerdings ist der Sturm auch eine ökologische Katastrophe für die bereits stark fragmentierten Gebiete des karibischen Kiefernwaldes, der Vögel und andere Wildtiere beheimatet, die nirgendwo sonst auf der Welt zu finden sind.“

In Zusammenarbeit mit Diana Bell hatte ein Forschungsteam im vergangenen Jahr wochenlang die Wälder der Insel Grand Bahama durchkämmt, auf der Suche nach dem vom Aussterben bedrohten Bahamakleiber. „Unsere Forscher suchten den Vogel an 464 Messpunkten in 34.000 Hektar Pinienwald“, erklärt Bell. „Es muss wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen gewesen sein. Sie spielten eine Tonaufnahme des markanten Rufs des Vogels ab, um ihn anzulocken.“ Als der leitende Forscher Matthew Gardner ihn nach sechs Wochen Suche endlich fand, war die Freude groß. Aufgrund der seltenen Sichtungen schätzten die Forscher den Bestand nur noch auf ein bis zwei Bahamakleiber.

Nun, ein Jahr später, gehen sie davon aus, dass das Tier ausgestorben ist. Die Population des Bahamakleibers war in den letzten Jahren aufgrund von Abholzung bereits stark zurückgegangen. Bereits nach Hurrikan Matthew vor drei Jahren hatten die Forscher sein Aussterben befürchtet. 

Die starken Winde, Regenfälle und Überflutungen durch Hurrikans können die betroffenen Ökosysteme über Jahre hinweg aus dem Gleichgewicht bringen. Sie reißen Bäume aus, auf denen die Vögel brüten und vernichten Pflanzen, von denen sich viele Tiere ernähren. Vormals dichte, kühle Wälder werden durch den Sturm heller und heißer – und für viele ihrer eigentlichen Bewohner damit unbewohnbar. Hinzu kommt der vom Menschen verursachte Müll, den der Sturm großflächig verteilt, darunter viele giftige Flüssigkeiten: Kraftstoffe, Lösungs-, Reinigungs- und Frostschutzmittel und andere Chemikalien aus zerstörten Fahrzeugen, Booten, Containern, Fässern und Tanks.

Auf den Bahamas könnte all das nicht nur den Bahamakleiber ausgelöscht haben. Das Forschungsteam ist auch um andere Vogelarten besorgt, die einzigartig für die vom Hurrikan betroffenen Gebiete sind. Laut Matthew Gardner zählen dazu der Bahamawaldsänger, der Kubawaldsänger, das Bahama-Gelbkehlchen, die Bahamaschwalbe und die Kuba-Amazone, eine Papageienart. Darüber hinaus könnten auch andere Tierarten schwer von dem Sturm getroffen worden sein, darunter etwa die Abaco Boa.

„Diese Arten und ihre Lebensräume sind eigentlich gut an Hurrikans angepasst und haben sie seit Jahrtausenden überlebt“, so Matthew Gardner. Der Klimawandel wird aber zu häufigeren und stärkeren Stürmen führen – mit Hurrikan Dorian wütete nun das erste Mal seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen vier Jahre in Folge ein Sturm der Stärke fünf im Atlantik. Hurrikans ziehen ihre Energie aus der Wärme des Meerwassers – je wärmer das Meer, desto stärker der Sturm. Klimaexperten diskutieren angesichts der steigenden Temperaturen bereits, eine Kategorie sechs einzuführen.