Klimaaktivismus ist oft hart und anstrengend, an diesem Samstag aber vor allem kalt und nass. Es ist ein besonders ungemütlicher Januartag, an dem die Bewegung „Lützerath lebt!“, „Alle Dörfer bleiben“, Fridays for Future und Greenpeace zum Aktionstag einladen, um ein Zeichen gegen die Kohlekraft zu setzen. Bei der Terminplanung hatten sie keine Rücksicht auf das Wetter nehmen können, denn eigentlich hätte sich am Vortag alles entscheiden sollen: die Zukunft eines Hofes, eines Dorfes, eines Tagebaus und damit auch die Richtung von Deutschlands Klimapolitik – zumindest im Umgang mit Kohleförderung.

Lützerath ist ein kleines Dorf südlich von Mönchengladbach in Nordrhein-Westfalen. Es ist zwar noch auf offiziellen Karten eingezeichnet, aber eigentlich schon Geschichte. Denn unter den Häusern Lützeraths liegt etwas, das schon vielen Dörfern zuvor zum Verhängnis wurde und das der Energiekonzern RWE mit riesigen Baggern aus der Erde holen will: Braunkohle. Der Tagebau Garzweiler frisst sich seit Jahren durch die Landschaft und hat auf seinem Weg bereits viele andere Dörfer verschluckt – Belmen, Königshoven, Priestherath und viele mehr. Nun soll Lützerath weichen. 90 Menschen wohnten einmal hier, die meisten sind inzwischen weg: Eckardt Heukamp ist der letzte verbliebene Bauer der es nicht einsehen wollte, dass er seine Heimat an eine Kohlegrube verlieren soll. Er lebt auf einem Bauernhof in vierter Generation, die Grabsteine seiner Familie brachte er noch rechtzeitig in Sicherheit, bevor der Immerather Friedhof abgebaggert wurde. Die Ackerflächen, die er bewirtschaftete, gingen Ende Oktober letzten Jahres an RWE über, nun bleibt ihm nur noch der Hof und eine Wiese.

Gegen die „bergbaurechtliche Inanspruchnahme“ seiner letzten Bastion hatte Eckardt Heukamp letztes Jahr einen Eilantrag am Aachener Verwaltungsgericht eingelegt. Das Gericht lehnte den Antrag ab, Bauer Heukamp legte Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Münster ein. Dessen Urteil war für vergangenen Freitag erwartet worden, doch wenige Tage zuvor teilte das Gericht mit, die Entscheidung aufgrund der Erkrankung eines Richters auf unbestimmte Zeit zu verschieben. So lange die Entscheidung aussteht, darf Tagebaubetreiber RWE keine Räumung vorbereiten.

Es ist also eine Schonfrist, nicht nur für Bauer Heukamp. Denn obwohl er der letzte Verbliebene seines Dorfes ist, so kämpft er seinen Kampf gegen den Tagebau nicht allein. Auf seiner Wiese haben dutzende Klimaaktive ihre Zelte aufgeschlagen, sie besetzen auch zwei verlassene Häuser im Dorf und eine Wiese, die bereits RWE gehört. Für dieses Wochenende hatten sie eine Großdemonstration mit mehreren tausend Teilnehmenden angesetzt. „Aber angesichts des aufgeschobenen Gerichtstermins und des aktuellen Infektionsgeschehens dachten wir, wir halten es besser klein“, sagt Christopher Laumanns dem Greenpeace Magazin, Sprecher von „Alle Dörfer Bleiben“. Immerhin einige hundert Protestierende kamen trotzdem an den Rand der Grube, in rund vierzig Städten zeigten viele Menschen gleichzeitig ihre Solidarität mit dezentralen Protestaktionen. Ihr gemeinsames Symbol: ein gelbes X. Das Symbol ist ein alter Bekannter aus der Protestbewegung gegen die Atommülltransporte im Wendland. „Wir wollen an diese Tradition anknüpfen“, so Laumanns. Vergangenen Sommer hatten die Wendländer Aktivist*innen mit einem „Kreuzweg für die Schöpfung“ ihr gelbes Kreuz über 470 Kilometer nach Lützerath getragen. Statt gegen Atomkraft ist es nun auch das Zeichen gegen die Kohle.

Am Samstag richten die Lützerather Aktivist*innen ein besonders großes Exemplar davon auf: Rund acht Meter hoch sind die gelb angemalten Baumstämme, die sich nun vor der Grube kreuzen. „Die Xe symbolisieren: Wir verteidigen die Orte mit unseren Körpern“, sagt Dina Hamid, Sprecherin der Anti-Kohlekraft-Bewegung „Ende Gelände“ dem Greenpeace Magazin. „Die Menschen, die hierher kommen, sehen die Grube und die Perversion – das lässt einen so leicht nicht mehr los“, ergänzt Lakshmi Thevasagayam, Sprecherin von „Lützerath lebt!“. Sie sind zwei der Redenden an diesem Aktionstag, per Livestream wird er an alle übertragen, die nicht persönlich dabei sein können. Die Technik hakt, immer wieder fällt das Mikrofon aus. Das mit dem Strom sei so eine Sache in Lützerath, entschuldigt sich das Moderatorenpaar. Im Laufe des Tages besetzt eine Gruppe Protestierender das letzte Haus Lützeraths, an dem RWE noch einen Sicherheitsdienst postiert hatte und drängt den Energiekonzern damit vollständig aus dem Ort zurück – ein kleiner Erfolg in einem großen Kampf.

In dicke Jacken eingepackt richtet eine ganze Reihe von Menschen ihre Worte an die Protestierenden vor Ort und in die Kameras: „Die Klimakrise ist kein Unfall. Sie ist eine Akkumulation politischer Entscheidungen und sie ist auch die Konsequenz der bestehenden Machtverhältnisse“, sagt Luisa Neubauer, Sprecherin von Fridays for Future. „Diese Grube erzählt die Geschichte derer, die glauben unbesiegbar zu sein“, ruft Lakshmi Thevasagayam in ein Megafon. Aus Kolumbien schickt der Klimaaktivist Juan Pablo Gutierrez eine Videobotschaft, in der er statuiert: „Wir sind die Globalisierung des Widerstands.“ Er weist darauf hin, dass es nicht reiche, nur für ein Ende der Kohleförderung in Deutschland zu kämpfen, wenn die Förderung von Kohle andernorts ungebremst weiterginge. Davon importiert die Bundesrepublik jede Menge, auch aus Gutierrez Heimatland: Mehr als zwei Millionen Tonnen Steinkohle stammten 2020 aus Kolumbien

Ein weitaus größerer Lieferant ist mit mehr als 12,5 Millionen Tonnen aber Russland – ein Redner aus diesem Land steht an diesem Samstag sogar höchstpersönlich auf der Bühne in Lützerath. Und zwar nicht irgendwer: Vladimir Slivyak ist der Träger des Alternativen Nobelpreises 2021, ausgezeichnet für seinen jahrelangen Umweltaktivismus in seinem Heimatland. Er richtet das Augenmerk auf die schmutzigen deutsch-russischen Handelsbeziehungen: „Zurzeit wird Atommüll nach Russland transportiert und Kohle kommt zurück.“

Die Botschaft aller Redenden ist deutlich: Lützerath muss bleiben, damit der Tagebau Garzweiler am Wachsen gehindert wird. Wissenschaftlichen Rückhalt lieferte ihnen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung letztes Jahr mit der Studie „Kein Grad weiter – Anpassung der Tagebauplanung im Rheinischen Braunkohlerevier zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze“. Die Berechnungen des Instituts zeigten: Will die deutsche Bundesregierung ihr Treibhausgas-Budget im Sinne des 1,5-Grad-Ziels einhalten, dann darf der Tagebau nicht wie bisher geplant wachsen. Orte wie Lützerath und den Hambacher Wald zu erhalten müsste demzufolge im Interesse der deutschen Klimapolitik liegen. Im Koalitionsvertrag verweisen SPD, Grünen und FDP auf das mittlerweile verschobene Gerichtsurteil: „Über Lützerath werden die Gerichte entscheiden“, heißt es da. Die Protestbewegung macht sich auf einen Termin noch im Januar gefasst und ruft bereits jetzt zur Großdemonstration am darauffolgenden Samstag auf – egal, wie die Entscheidung des Gerichts ausfallen wird.

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