Wenn wir Obst und Gemüse essen, gehen wir davon aus, uns damit etwas Gutes zu tun. Was wir aber nicht sehen können: Alle konventionellen Erzeugnisse von Apfel bis Zucchini wurden mit Pestiziden behandelt, bevor sie in unserem Einkaufskorb landen – und zwar meist mit mehreren. Dass diese Pestizide immer noch an ihnen haften, wenn sie bei uns ankommen, belegen zahlreiche Untersuchungen.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) führt ein Kontrollprogramm durch, das alle drei Jahre seine Ergebnisse veröffentlicht. Im aktuellen Bericht aus dem Frühjahr wurden Äpfel, Kopfkohl, Kopfsalat, Pfirsiche, Spinat, Erdbeeren, Tomaten, Hafer, Gerste, Wein, Kuhmilch und Schweinefett unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: 45 Prozent der Proben enthielten Rückstände von mindestens einem Pestizid, zwei Prozent überschritten gesetzliche Grenzwerte.

Auch Nichtregierungsorganisationen weisen immer wieder bedenklich viele Pestizide in Obst und Gemüse aus unseren Supermarktregalen nach. Als Greenpeace im Mai siebzig aus Brasilien importierte Mangos, Limetten, Papayas, Melonen und Feigen in unabhängigen Laboren untersuchen ließ, fand man bei nur elf Früchten keinerlei Pestizidrückstände. In allen anderen Früchten wiesen sie 35 verschiedene Substanzen nach. 21 davon gelten nach Kriterien der Welternährungs- und der Weltgesundheitsorganisation als hochgefährliche Pestizide, das heißt, sie haben ein besonders hohes Potenzial, Gesundheit und Umwelt zu gefährden.

Während die Risikobewertung der EFSA ergibt, dass die Funde in ihrem Bericht „wahrscheinlich kein Problem für die Gesundheit der Verbraucher darstellen“, warnt Greenpeace vor den Rückständen der Ackergifte. Denn: „Bislang betrachten die Behörden die Rückstände einzeln, das heißt, sie prüfen, ob Pestizidrückstand X ein Problem darstellt. Werden mehrere Pestizide, sagen wir die Pestizide X, Y, Z, in einer Probe gleichzeitig gefunden, gibt es keine gesicherte Einschätzung, ob sich die gesundheitlichen Auswirkungen gegenseitig beeinflussen“, schreibt Greenpeace. Einige Einzelsubstanzen wie das kaum bekannte Insektizid Chlorpyrifos sind zudem so giftig, dass Forschende fordern, der Grenzwert müsse für sie „null“ lauten.

Bis dahin könnte eine App helfen, pestizidbelastetes Obst und Gemüse im Supermarkt zu erkennen. Entwickelt wurde sie ursprünglich am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung in Magdeburg. Um sie besser vermarkten zu können, entschieden die Entwickler 2018, um die Anwendung herum die Firma „Spectelligence“ zu gründen. Geschäftsführer und Elektrotechnikingenieur Friedrich Melchert wollte erreichen, dass Menschen mit nur einem Klick herausfinden können, ob und wie stark Pestizide auf Obst oder Gemüse gesprüht wurden. Bis heute wurde seine Idee nicht zur Marktreife gebracht – und das liegt nicht an der Technik, sondern am Geld. Es fehlen Investoren.

Die App sollte aus einem Hosentaschentelefon so etwas wie den Tricorder aus der Science-Fiction-Reihe „Star Trek“ machen: ein Analysegerät, das die chemische Beschaffenheit von Objekten anzeigt. „Wir erkennen nicht die Pestizide, sondern Obst und Gemüse, das mit Pestiziden behandelt wurde“, stellt Friedrich Melchert klar. Diese Unterscheidung sei ihm wichtig. Mittels Spektralanalyse kann die App Veränderungen feststellen, die Pestizide zum Beispiel in der Haut eines Apfels auslösen. „Der Apfel reagiert mit der Bildung von Bitterstoffen“, erklärt Melchert. Für das menschliche Auge nicht sichtbar, verändert er dann ganz leicht seine Farbe, oder genauer ausgedrückt: Er reflektiert das Licht anders.

Spektralanalyse kann dies sichtbar machen. Dafür braucht man eigentlich eine sehr teure und sensible Kamera mit bis zu tausend Farbkanälen. Das Team um Melchert hat es aber geschafft, die aufwändige Technik auf handelsübliche Smartphone-Kameras zu übertragen, die nur über drei Farbkanäle verfügen. Für die Analyse hält man das Smartphone-Display auf das zu untersuchende Obst oder Gemüse, nacheinander wird es dann mit Weiß, Rot, Grün, Blau und Schwarz bestrahlt und fotografiert. Diese Bilder gleicht dann eine Künstliche Intelligenz mit einer Datenbank ab, um zu beurteilen, ob Pestizide im Spiel waren oder nicht. In einer Vorstudie analysierte das Team auf diese Weise 60 Bio-Äpfel und 60 konventionelle. „Wir haben signifikante Unterschiede festgestellt“, erzählt Melchert.

Um die Künstliche Intelligenz aber gut genug zu trainieren, bräuchten sie viel mehr Vergleichsfotos. „Wahrscheinlich 100.000 von jeder Sorte“, sagt Melchert. Die Entwicklungskosten schätzt er auf eine Viertelmillion Euro. Spectelligence warb bei Apfelzüchtern, -produzenten und -händlern um Partner, bislang erfolglos. „Für die kann ja nichts Positives dabei herauskommen“, erklärt Melchert. Denn Züchter, Produzenten und Händler hätten kein Interesse daran, dass man auf ihren Produkten Pestizide nachweisen könne. Die Firma wendet ihre Technik deswegen nun für andere Anwendungsbereiche an: So hat sie etwa eine App entwickelt, mit der man seine Haut analysieren kann, um die passenden Kosmetikprodukte auswählen zu können. „Wir können auch Nagellack aussuchen, der zu den Schuhen passt“, sagt Melchert. Anders als bei den Pestiziden gebe es für solche Anwendungen einen Markt – ein Jammer, denn mit genügend Finanzierung könnte das Team die Technik wahrscheinlich sogar so weit verfeinern, dass sie nicht nur Pestizide nachweisen, sondern diese sogar identifizieren könnte.

Angesichts der Vielzahl an Apps, die einem den Einkauf erleichtern sollen – von Fischratgebern, über Siegelchecks bis Chemikalientracker – bleibt die Frage, ob die App genutzt werden würde, sollte sie eines Tages doch noch eine Finanzierung finden. „Wir fragen uns, ob Verbraucher die gefundenen Pestizidmengen einordnen können“, heißt es von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Wir empfehlen Verbrauchern, Bio-Obst und Gemüse zu wählen, da hier der Einsatz von Pestiziden verboten ist.“ Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz rät zudem, das Obst und Gemüse immer gründlich zu waschen und wenn möglich auch zu schälen.

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