„Essen und Trinken ist wichtig, aber die Frage ist: Ist es mit unserer Umwelt gut vereinbar?“ – das sagt Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner in einem Anfang Juni 2019 veröffentlichten Video und lächelt in die Kamera. Weniger Zucker, weniger Salz, weniger Fett in den Produkten, darüber spricht sie an diesem Tag mit ihrem Besucher im Ministerium: Nestlés Deutschland-Chef Marc-Aurel Boersch. Das Video sorgte für Aufregung: das Einvernehmen, mit der die Ministerin mit dem Konzernchef posierte, ließ eine zu große Nähe zwischen Politik und Wirtschaft vermuten. Zumal die Ministerin den Herstellern viele Freiheiten lässt: Statt wie Großbritannien, Frankreich und Norwegen verbindliche Reduktionsziele für Zucker festzulegen, sollen hierzulande Konzerne wie Nestlé freiwillig gesundheitsschädliche Stoffe in ihren Produkten reduzieren. Das Video von Klöckner und Boersch warf in der Öffentlichkeit die Frage auf: Wessen Interessen vertritt die Ministerin, wenn sie mit Konzernchefs über die Umwelt philosophiert?

Wo legitimer Lobbyismus anfängt und wo er aufhört, ist nicht einfach zu beantworten. Eine Ministerin sollte ebenso im Austausch mit Unternehmen stehen wie mit Verbraucher- und Umweltschützern. Entscheidend ist, ob die daraus resultierende Politik die Interessen ihrer Wähler widerspiegelt. Sonst entstehen Zweifel an der Integrität der Volksvertreter. Denn wenn Politikerinnen wie Julia Klöckner keine Videos von ihren Treffen mit Konzernchefs online stellen, weiß die Öffentlichkeit hierzulande nicht, wer mit am Tisch sitzt, wenn im Bundestag und in den Ministerien Gesetze geschrieben werden.

Für den Deutschen Bundestag haben derzeit mehr Lobbyisten einen Hausausweis als das Parlament Abgeordnete hat – in der aktuellen Legislaturperiode haben 778 Interessenvertreter von Verbänden einen Hausausweis und damit uneingeschränkten Zutritt zu Gebäuden des Bundestages. Gleichzeitig sitzen nur 709 Abgeordnete im Parlament. Dass diese Schieflage auch Auswirkungen hat, zeigt sich in den Zahlen des aktuellen Korruptionswahrnehmungsindexes, den Transparency International im Januar veröffentlichte: Deutschland liegt auf dieser auf internationalen Datenquellen und Expertenbefragungen basierenden Skala zwischen Null (maximale Korruptionswahrnehmung) und Hundert (minimale Korruptionswahrnehmung) bei 80 Punkten. Im internationalen Vergleich ist das kein schlechtes Ergebnis, der Vorstand von Transparency International Deutschland, Hartmut Bäumer, ordnet das gegenüber der Tagesschau so ein: „Damit haben wir jetzt in dem Ranking den Platz Neun erreicht. Nicht, weil wir jetzt besser geworden sind, sondern weil andere etwas schlechter geworden sind.“ Im Jahr zuvor lag Deutschland auf Platz Elf, Bäumer und andere Transparenz-Verfechter sehen klaren Verbesserungsbedarf.

Und Besserung ist in Sicht: Anfang März wurde bekannt, dass sich die Regierungskoalition auf ein „Transparenzregister“ geeinigt hat. Künftig sollen sich Interessenvertreter, die im Bundestag und in den Ministerien wirken, in eine Datenbank eintragen müssen, die öffentlich einsehbar sein soll. Falsche oder fehlende Angaben könnten dann mit einem Bußgeld von bis zu 50.000 Euro geahndet werden. Noch in dieser Woche wird das neue Gesetz aller Voraussicht nach im Bundestag verabschiedet.

Im Gespräch ist eine solche Regelung schon lange: 2016 von Lobbycontrol und Abgeordnetenwatch ins Spiel gebracht, seit 2017 von den Grünen unterstützt. Die Linke brachte den Gesetzesentwurf ins Parlament ein, bald unterstützte auch die SPD den Vorstoß. In den Koalitionsvertrag der großen Koalition schaffte es das „Transparenzregister“ 2018 trotzdem nicht – dem Vernehmen nach blockierte die Union, nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wohl auch, weil sie verhindern wollte, dass Kontakte zwischen Abgeordneten und Unternehmen in ihrem Wahlkreis beeinträchtigt würden. Neuen Schwung bekamen die Verhandlungen über ein Lobbyregister aber nach der Affäre um den CDU-Politiker Philipp Amthor im Frühjahr 2020 – der Unionsabgeordnete hatte sich für die Interessen eines US-Unternehmens stark gemacht und von diesem Aktienoptionen im Wert von bis zu 250.000 US-Dollar erhalten. Das Verfahren wegen Bestechlichkeit wurde später eingestellt, weil, wie die Generalstaatsanwaltschaft erklärt, solche Nebeneinkünfte grundsätzlich keine verbotenen Zuwendungen seien.

Und damit wären wir auch schon bei der Frage angekommen: Was nützt das neue Lobbyregister? Welche Folgen hat es etwa für die Kontakte von Ministerin Julia Klöckner oder Abgeordneten wie Philipp Amthor zu Industrie und Wirtschaft?

„Das Gesetz zum Lobbyregister kann offenlegen, wer die Interessenvertreter sind, die im Parlament und in den Ministerien ein und aus gehen. Aber es macht noch nicht deutlich, was sie da eigentlich machen und mit wem sie sprechen“, erklärt Timo Lange von der Organisation LobbyControl. Einzelne Kontakte und Treffen würden damit aber auch in Zukunft nicht veröffentlicht werden. „Das Gesetz, das jetzt kommt, wird definitiv für mehr Transparenz sorgen. Aber es kann nur ein erster Schritt sein“, so Politikwissenschaftler Lange. Denn bei den Verhandlungen sind einige Forderungen auf der Strecke geblieben, die für viele Transparenz-Verfechter wesentlich sind. Etwa die als „exekutiver Fußabdruck" bezeichnete Regelung, die offenlegen soll, welcher Interessenverband an welcher Stelle an einem konkreten Gesetz mitgewirkt hat. In einigen europäischen Ländern werden Elemente dieses Konzeptes schon heute umgesetzt, etwa in Estland, aber auch in Dänemark, in Finnland, in Litauen. Für diesen „exekutiven Fußabdruck“ hatte sich auch die SPD während der Verhandlungen eingesetzt, die Union hat dagegen opponiert.

Mit Blick auf Affären wie die von Philipp Amthor und auch die aktuellen Korruptionsfälle in der Union – etwa die Affären um bezahlte Vermittlungen von Maskenankäufen der Bundesregierung und teuer bezahlte Spendendinner-Einladungen des Gesundheitsministers – fordern Organisationen wie LobbyControl aber nicht nur mehr öffentliche Auskunft über Lobbyisten, sondern auch über die Abgeordneten. Bezahlte Lobbyjobs neben dem Mandat sollten zukünftig verboten werden, fordert Lange, ebenso sollten Volksvertreter sämtliche Nebeneinkünfte offenlegen und nachvollziehbar machen, an welchen Unternehmen sie beteiligt sind – nur mit diesen weitreichenden Angaben könnten Vermengungen von legitimer und illegitimer Interessenvertretung vorgebeugt werden. „Lobbyismus ist nicht an und für sich falsch – problematisch wird er nur da, wo er verdeckt passiert und Adressat und Empfänger nicht erkennbar sind“, so Lange. Kurz gesagt ist Lobbytätigkeit wie die von Philipp Amthor von dem neuen Gesetz unbenommen, sollte es laut LobbyControl aber nicht sein.

Auch die Frage danach, wie oft Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner Besuch von der Lebensmittel- und Getränkeindustrie bekommt, wird das Lobbyregister nicht beantworten können: Über die Registrierung hinaus werden konkretere Daten wie diese von der neuen Datenbank nicht erfasst. „Für uns ist die Registrierungspflicht nicht mehr als Scheintransparenz – dieses Register kann den Einfluss der Konzern-Lobbyisten nicht effektiv zurückdrängen“, sagt Rauna Bindewald von der Organisation Foodwatch. Gemeinsam mit ihrem Team reicht die Juristin im Dezember 2020 beim Verwaltungsgericht in Köln Klage gegen das Landwirtschaftsministerium ein. Sie will erfahren, welche Lobbyisten wie oft und in welchem thematischen Zusammenhang im Januar 2020 zu Gast bei der Ministerin waren. Das Ministerium lehnte das bisher mit Verweis auf Sicherheitsbedenken ab, die formale Stellungnahme des Ministeriums auf diese Klage erwartet Bindewald in den nächsten Wochen.

„Nur wenn wir sicher wissen, inwiefern VerbraucherInnen- und Umweltschutzverbände den gleichen Zugang zu EntscheidungsträgerInnen wie Frau Klöckner haben wie Süßwarenkonzerne und beispielsweise der Deutsche Bauernverband, können wir auf eine Ausgewogenheit bei der Interessensanhörung hoffen“, erklärt Rauna Bindewald von Foodwatch. „Transparenz ist dafür ein wichtiger erster Schritt.“ Und solange die neuen Regelungen zum Lobbyismus diese nicht herstellten, hoffen Bindewald und ihre Mitstreiter, dass ihre Klage Signalwirkung hat: Dass Minister und Ministerinnen aus Furcht vor Klagen in Zukunft vielleicht mehr darauf achten, ihre Industrie-Kontakte professionell und mit Distanz zu pflegen – oder weitere Organisationen mit der juristischen Einforderung von Transparenz beginnen.