Liebe Leserinnen und Leser,

kürzlich schrieb uns ein Leser, der in Finnland lebt. Seit Jahrzehnten unterstützt er Greenpeace. Ideell – und mit Aktionen. Er war dabei, als Aktivistinnen und Aktivisten in diesem März in einem finnischen Güterbahnhof drei russische Kohlezüge eines Nachts mit den Slogans „NO COAL“, „NO WAR“ und „НЕТ ВОЙНЕ“ bepinselten. Die Züge rollten mit Antikohle- und Antikriegsbotschaft zurück nach Russland. Und der Leser fuhr seine Mitstreitenden im Kleinbus zurück nach Helsinki. Im Wagen, schreibt er, roch es ironischerweise nach „panssarimaali“, Panzerfarbe, die auch auf Güterzügen gut hält. Der Mond schien, die Leute schliefen und er, der Fahrer, hing seinen Gedanken nach.

„Für mich war der Name Greenpeace immer Programm“, schreibt er. Zum einen gebe es „keine sinnvolle Alternative zu einem bedingungslosen, grünen Weltfrieden“. Zum anderen glaube er, dass die Chance dafür „noch nie so gut war wie jetzt“. Er schrieb von der „Machbarkeit des Wandels“ und „glücklich machenden Pionierprojekten“. Als uns diese Zeilen erreichten, war das neue Greenpeace Magazin gerade in Druck gegangen. Sie passen gut zum Titelthema des Heftes, das heute erscheint – zum sozialökologischen Wandel, der ohne jede Übertreibung auch die Große Transformation genannt wird.

Kein Zurück auf Normal

Vielleicht standen die Chancen für den Wandel zur post-fossilen Gesellschaft, für die Rettung unserer Zukunft wirklich nie so gut wie jetzt. Vielleicht ist der entsetzliche Krieg einer Diktatur, die ihre Macht auf Kohle, Öl und Gas gründet, der Anstoß, auch den anderen entsetzlichen Krieg zu beenden: den Krieg der Menschen gegen das Klima. Beide Kriege sind fossiler Natur, und beide sind am Ende selbstzerstörerisch.  Aber reicht der Schrecken dieses Krisenjahres, damit Politik und Gesellschaft aufhören, Normalität zu simulieren, wo längst keine mehr ist? Werden wir uns der Tatsache stellen, dass es ein Zurück zum alten Normal nicht gibt?

Drei Tage nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine schien es einen Moment lang so. Damals sprach FDP-Chef Christian Lindner im Bundestag von Erneuerbaren als „Freiheitsenergien“. Es klang, als würde nun der Turbo für den grünen Frieden gezündet – zumindest erstmal für Windräder und Solarpaneele. Neun Monate später sind Genehmigungsrekorde aber vor allem für Flüssiggas-Terminals zu verzeichnen. Die Debatte, ob Deutschland selber fracken sollte, ist wieder auf dem Tisch. Im Abschlussprotokoll der Weltklimakonferenz fehlen die wichtigen Worte Öl- und Gasausstieg. Und Anfang dieser Woche – die Nationalelf schmorte noch bei Rekordhitze in der Winterwüste – sagte Qatar Energy Gaslieferungen nach Brunsbüttel zu. Keine riesigen Mengen, aber doch. Der viel kritisierte LNG-Deal läuft von 2026 bis 2041 – wenn Deutschland fast schon klimaneutral sein muss. Gerade entsteht also fossile Infrastruktur für Jahrzehnte, in denen sie nichts mehr zu suchen hat. Und ob sie auf Wasserstoff umgerüstet werden kann, wird von Fachleuten bezweifelt.

Wie geht Transformation?

Angesicht der Tendenz zum Festhalten am Alten haben wir in der Redaktion uns etwas verzagt gefragt, ob und wie die Große Transformation gelingen kann. Im Meckerteil unserer neuen Ausgabe zeigen wir unter anderem, wohin mehr als sechzig Milliarden Euro umweltschädliche Subventionen im Jahr fließen. Und mein Kollege Fred Grimm zeichnet in einem Report nach, wie die Regierungen der Merkel-Ära die Energiewende ausgebremst haben. Für die Recherche hat er unter anderem Peter Altmaier (CDU) getroffen, der im fraglichen Jahrzehnt mehrere relevante Ministerämter innehatte. Es waren interessante Gespräche.

Aber kommen wir zur Machbarkeit des Wandels und glücklich machenden Pionierprojekten! Thomas Merten ist für das neue Heft nach Wunsiedel gefahren und berichtet aus einer Kommune im Fränkischen, die weder reich noch schön ist, aber mit klugen Konzepten, Mut und Zusammenhalt in Richtung Energieautarkie strebt. Meine Kollegin Frauke Ladleif und ich haben mit der Zweiten Vorsitzenden der IG-Metall Christiane Benner und Wuppertals grünem Oberbürgermeister Uwe Schneidewind darüber gesprochen, was gegen die Angst vor Veränderung hilft – Schilderungen aus dem Maschinenraum der Transformation. Außerdem retten wir im neuen Greenpeace Magazin die Ehre eines utopischen Ortes, der oft als Schimpfwort herhalten muss: Bullerbü. Und wir zeigen, was Deutschland von anderen Ländern lernen kann.

Was Sie sonst noch wissen müssen

Neben dem Schwerpunkt haben wir für dieses Heft einen konventionellen Bauern besucht, der seinen Schweinen ihren Ringelschwanz lässt. Wir waren in Würgassen an der Weser, wo ein umstrittenes Zwischenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle entstehen soll, um Deutschlands Atommüllchaos zu bändigen. So viel sei verraten: Es ist erstaunlich, was alles so übrigbleiben wird, wenn das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht. Und wir kümmern uns um tierfreie Weihnachtsbraten sowie die Frage: Wie gesund ist vegetarischer und veganer Fleischersatz – und warum ist der oft noch teurer als Fleisch?

Es erscheint mir übrigens verrückt, wie normal sich dieser Advent für uns im reichen Westen trotz Energiekrise bisher anfühlt. Inklusive Festbeleuchtung. Wie alle Jahre wieder beschäftigen uns Glühweinpreise, Wunschzettel und Menüplanung. In Kiew funkeln indessen nicht einmal sparsame LED-Sterne in den Straßen. Denn in der Ukraine lässt Putin gezielt lebenswichtige Infrastruktur bombardieren. Er benutzt, wie Nato-Generalsekretär Stoltenberg diese Woche sagte, den Winter als Waffe. Das ist – in den Worten des Gouverneurs der Oblast Kiew – „Energieterror“. In den nächsten Wochen werden deshalb wieder viele Menschen fliehen, auch nach Deutschland. Sie werden unsere Hilfe brauchen. Vielleicht haben Sie ja ein Zimmer frei?

Der Leser aus Finnland, der uns schrieb, wohnt in einer Jurte. Er betreibt eine Solaranlage, sein Wasser schöpft er aus einem Brunnen. Auch sonst lebt er auf kleinem Fuß. Schon klar: Das können wir jetzt nicht alle so machen. Umso wichtiger wäre eine Gesellschaft, aus der man nicht aussteigen muss, um das Richtige zu tun.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit dem neuen Greenpeace Magazin und ein schönes Wochenende!

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Unterschrift

Katja Morgenthaler
Redakteurin