Liebe Leserinnen und Leser,

Vielleicht kam das ja nur mir so vor, aber zwischenzeitlich war zu befürchten, dass die Berichterstattung über die Trauerfeierlichkeiten für „Queen“ Elizabeth mindestens so lange dauern würden wie ihre Regentschaft. Bereits im Morgengrauen begegneten einem die ersten Royalistinnen und Royalisten, die im deutschen Frühstücksfernsehen mit leicht devoter Stimmfärbung das höfische Protokoll herunterbeteten. Dieser faszinierte Blick auf die erstarrten Rituale einer für überzeugte Demokraten und Demokratinnen mehr als fragwürdigen Institution blieb einem bis in die späten Abendstunden erhalten. Bei allem Respekt für die viel bewunderte und fleißige Mittneunzigerin, irgendwann wollte ich dann doch nicht mehr wissen, ob ihre treue Gefolgschaft vor der Westminster Hall nun fünf, vierzehn oder gar dreißig Stunden anstehen musste, um einen Blick auf den Sarg der Majestät zu werfen, ob man sich „ein Leben ohne die Queen“ nun vorstellen kann oder nicht und ob Charles „ein guter König“ wird. Vor allem nicht auf allen Kanälen.

Immerhin hatte die Berichterstattung rund um die Einladungen zum großen Staatsbegräbnis am Montag einen gewissen Unterhaltungswert. Weil sich die Königshäuser der Welt von gleich zu gleich nun mal grundsätzlich schätzen, stand anfangs sogar der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman („MBS“) auf der Liste, der sich bei dieser Gelegenheit gewiss gewundert hätte, dass man Menschen auch in einem Stück bestatten kann. MBS war auch vorfreudig nach London geflogen, statt seiner vertrat jedoch der etwas unverfänglichere Prinz Turki al-Faisal das saudische Herrschaftshaus bei der Trauerfeier. Weniger zurückhaltend gab sich der im eigenen Land als Wirtschaftskrimineller geächtete Ex-König Juan Carlos, der gegen den ausdrücklichen Wunsch der spanischen Regierung auflief. Auch der rechtsextreme Amazonas-Vernichter, Präsident Jair Bolsonaro aus Brasilien, war anwesend. Ein schönes Fest.

Es ist mit Blick auf die sonstige Nachrichtenlage durchaus nachvollziehbar, sich mal ein paar Tage lang so einem aufwendig inszenierten, sieben Milliarden Euro teuren royalen Spektakel hinzugeben: Kostüme! Klatsch! Kronjuwelen! Aber irgendwie auch kein gutes Zeichen für unsere Zeit, wenn mittlerweile schon Beerdigungen als eskapistisches Abenteuer herhalten müssen. Bezeichnend auch, mit welcher Ergebenheit die sich als „gottgegeben“ verstehende britische Monarchie als ebensolche in der Berichterstattung hingenommen wurde. Als wäre es eine unhinterfragbare Selbstverständlichkeit, dass einigen wenigen Menschen allein Kraft ihrer Geburt besondere Rechte und Machtfülle zustehen sollten. Ein Mensch sei „nur König, weil sich andere Menschen als Untertanen zu ihm verhalten“, beschrieb Karl Marx einmal das monarchische Paradox. „Sie glauben umgekehrt Untertanen zu sein, weil er König ist.“ Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan hatte einst, ähnlich unbeeindruckt, analysiert: „Wenn ein Mensch, der sich für einen König hält, verrückt ist, so ist es ein König, der sich für einen König hält, nicht minder.“ Für solche Sätze würde man heute wahrscheinlich wieder auf der Stelle verhaftet.

Wurde man übrigens auch. Den wenigen Anti-Monarchisten, die sich am Rande des Trauerzugs in Großbritannien demonstrierend auf die Straße trauten („Fuck imperialism, abolish monarchy“, „Scheiß auf den Imperialismus, schafft die Monarchie ab“), erging es da – wenn auch deutlich abgemildert – wie den mutigen Antikriegsdemonstranten in vielen russischen Städten oder wie den mindestens ebenso tapferen Menschen im Iran, die es nicht mehr hinnehmen wollen, dass eine „Sittenpolizei“ Frauen verhaftet und foltert, nur weil mal eine Locke unter dem Zwangsschleier hervorlugt. 

Ganz so viel Mut gehörte heute, am Freitag, nicht dazu, sich dem Klimastreik in Deutschland anzuschließen, auch um noch mal daran zu erinnern, dass unser Wirtschaftssystem, unser Konsum und unser Miteinander einen radikalen Wandel brauchen, um die Erderhitzung zu stoppen. Vor lauter Queen und Gasumlage und Kältewinter konnte man ja schon beinahe vergessen, dass es die noch gibt. Dass dieser Wandel keine Utopie bleiben muss, glaube ich unbedingt. Denn letztlich wirken die Kräfte des Beharrens auch nicht überzeugender als die Anhänger der Monarchie. Ihre Glaubenssätze etwa zur Privatisierung der Energieversorgung als Allheilmittel der Wirtschaft oder zur Sicherheit deutscher Atomkraftwerke werden gerade von der Wirklichkeit brutal überholt. Der deutsche Staat, der ja laut neoliberaler Propaganda, ein „lausiger Unternehmer“ ist, muss jetzt erst mal dreißig Milliarden Euro in die Rettung und Übernahme des Gaslieferanten Uniper stecken, weil deren Vorstände offenbar jahrelang nicht gewusst haben, dass man Gas auch aus anderen Ländern als Russland beziehen kann. Oder was Risikomanagement eigentlich ist. Stichwort Risiko: Wie erst diese Woche herauskam, leckt im Atomkraftwerk Isar 2 ein Ventil, was einen längeren Weiterbetrieb vorerst unmöglich macht. Dabei hatten es die Nun-doch-wieder-Atomfans Markus Söder und Friedrich Merz gerade erst mit einem Besuch geadelt und der TÜV-Süd ein ebenso wohlwollendes wie zweifelhaftes Sicherheitsgutachten verfasst. Upps.

Atomkraft ist sicher. Privatisierung löst alle Probleme. God Save the Queen. 

Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende!

 

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Unterschrift

Fred Grimm
Redakteur