Liebe Leserinnen und Leser,

Während gerade das nächste, alle übrigen Nachrichten überstrahlende Großbegräbnis ansteht, denke ich an eine andere unvergessliche Beerdigung, die schon eine Zeit lang zurückliegt. Nun sind Beerdigungen ohnehin eher singuläre Ereignisse, die sich ins Gedächtnis einbrennen, aber die Trauerfeier, zu der ich eingeladen war, werde ich wirklich nicht vergessen. Mittendrin musste eine junge Frau mit hochrotem Kopf die Kirche verlassen, weil sie einfach nicht mehr aufhören konnte zu lachen. Sie prustete und giggelte und es war ihr selbst furchtbar peinlich, aber die Gewalt, mit der das Lachen die Herrschaft über ihren Körper gewonnen hatte, war einfach unbezwingbar. Hinterher entschuldigte sich die Frau, eine Nachbarin der beigesetzten älteren Dame, bei den Hinterbliebenen.

Befragt, was sie denn eigentlich so aus der Fassung gebracht hatte, erzählte sie von dem Mann in der Reihe vor ihr. Während die Orgel gerade traurige Tonwolken durchs Kirchenschiff schickte, hatte dessen Handy geklingelt, kaum hörbar, er habe sich geduckt, hineingelauscht und dann seine Begleiterin flüsternd gefragt: „Sag’ mal, was glaubst du, wie lange das hier noch dauert?“ „Bestimmt noch ewig.“ 

Da sei es einfach aus ihr herausgebrochen. 

Wollen und Wirklichkeit

Ich fürchte, mir wäre es genauso ergangen. Gerade dann, wenn die Lage es eigentlich nicht zulässt, wenn es wirklich so gar nicht passt, erwacht in mir – wie in vielen anderen Menschen – die Freude am Komischen und Absurden. Und schreit unsere Zeit, diese menschengemachte Apokalypse in Zeitlupe, bei der die Herrschenden wie Cartoon-Figuren in der Luft noch weiterrennen, nicht geradezu nach einer Haltung, die sie ertragen lässt? Humor wird gern als Kontrast zwischen Wollen und Wirklichkeit definiert, als Einbruch des Zufalls in die mühsam geordnete Welt, als Wiederholung des Immergleichen, die zehn Mal öde wirkt und ab dem elften Mal als „Running Gag“ durchgeht. 

Denkt man sich also die vergangenen Nachrichtentage als Tragikömodie und die Welt als Bühne, ist eigentlich alles da, was man braucht. Am Personal mit Talent für unfreiwillige Komik mangelt es jedenfalls nicht. Auch wenn man die Darbietungen am besten – wie beim Stummfilm – ohne Ton genießt. Der sonnenüberversorgte Oppositionsführer Friedrich Merz zum Beispiel, der mittlerweile aussieht, als würde er eine Zukunft als Ein-Mann-Solarspeicher anstreben, obwohl er Klimaschutzmaßnahme vor noch gar nicht langer Zeit als „Zerstörung der marktwirtschaftlichen Ordnung“ ablehnte, müsste sich für die jahrzehntelange Energiewendeblockade seiner Partei eigentlich eher in Demut üben. Stattdessen sucht er bei jeder Gelegenheit den großen Auftritt und so geriet auch seine jüngste Rede vor dem Bundestag zum Genuss für alle Freundinnen und Freunde der leeren Geste. Seine latent beleidigte Rhetorik – Alle doof. Nur ich nicht – mag inhaltlich wenig Humorpotenzial bieten, aber wenn man den Ton abdreht, gerät seine Rede zum Leer-, Verzeihung, Lehrstück für die Kunst, das ganz große Ego mit übertriebener Gestik als ganz kleines Karo zu zelebrieren. Der Kontrast zwischen Wollen und Wirklichkeit eben.

Am besten ohne Ton

Womit wir beim zweiten Politprominenten wären, der seinen Zauber ebenfalls ohne Ton am besten entfaltet. Beim durchaus bedauernswerten Robert Habeck, der gerade als Wirtschaftsminister den Versäumnissen von 16 Jahren Energiewendeblockade hinterherräumen muss, lege ich manchmal, wenn er in Talkshows spricht, in Gedanken eine imaginäre Tonspur drunter, in der er als Stationsarzt Dr. Habeck seine Patienten auf eine Armamputation (oder eine komplizierte Herz-OP) vorbereitet. Sein Blick passt eigentlich immer dazu und erst recht das betretene, aber irgendwie auch dankbare Nicken der Zuhörenden. Ein bisschen platt vielleicht, der Gedanke, eher so eine Art Gag „in Bereitschaft“, der besser nicht weiter eingesetzt werden sollte, so wie demnächst die beiden AKWs Neckarwestheim und Isar 2. Aber ich konnte zum ersten Mal seit Wochen wieder über den grünen Wirtschaftsminister lächeln.

Manche komischen Momente funktionieren direkter: Etwa wenn der neue Volkswagen-Chef Oliver Blume ankündigt, ein menschlicheres Miteinander in die Konzernführung zu pflanzen und am Starttag erst mal zwei Menschen aus dem Vorstand wirft. Ihre Vornamen: Hildegard und Murat. Vielleicht war es Blume in der Führungsetage einfach zu bunt geworden. Wollen und Wirklichkeit eben.

Und eigentlich sind auch die aktuellen Enthüllungen zur Entstehung der Gasumlage eine Steilvorlage für das Lachen in trauriger Zeit. Dass die Gasindustrie im Verbund mit Fossil-Investoren dem Wirtschaftsministerium die Verordnungen zur Sicherung ihrer Gewinne lieber gleich selbst schreibt, wird vor allem dann komisch, wenn man sich das Prinzip als eine Art Running Gag vorstellt. Demnächst erarbeiten dann womöglich die Zahnärztinnen und Zahnärzte eine Zahnpraxisgewinnerhaltungsverordnung, die Grundschulen verpflichtet, den Kindern kostenlos Cola und Süßigkeiten zu verabreichen. Oder, noch absurder, bitte nicht vom Stuhl fallen vor Lachen: Bankenvertreter entwerfen ein Gesetz, einen „steuerrechtlichen Formulierungsvorschlag“, mit dessen Hilfe sich Finanzjongleuren einfach Milliarden aus der Staatskasse überweisen lassen können – als Rückerstattung einer nie gezahlten Kapitalertragssteuer. 

Wie bitte? So ein Gesetz gibt es tatsächlich? Bitte entschuldigen Sie, ganz schlechter Witz.

Das Humorpotenzial unserer verwirrenden Zeit ist auch den professionellen Kräften nicht entgangen. Vor ein paar Wochen fand in Berlin das erste „Comedy for Future“-Festival statt, bei dem Komik-Koryphäen wie Olaf Schubert, Helene Bockhorst oder Johann König der klimakrisenhaften Realität einige Lacher abtrotzten. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit versprachen die Comedians ausschließlich „recycelte Gags“ zu verwenden, was vorzüglich gelang. Dass nun auch in diesem Umfeld eine „for Future“-Initiative entstanden ist, erfüllte mich erst mit Freude über das weitere Anwachsen der Klimaschutzbewegung, bis mich ein zweiter, finsterer Gedanke ereilte: Wenn jetzt sogar schon die Berufskomischen mitmachen, dann muss die Lage wirklich ernst sein.

Ich wünsche Ihnen trotz allem ein fröhliches Wochenende,

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Unterschrift

Fred Grimm
Redakteur