Politiker sollten öfter in den Wald gehen und sich etwas von der Natur abschauen, findet Wolfgang Hassenstein. Zum Beispiel, wie man flexibel auf Stürme reagiert – und auf gesellschaftliche Veränderungen

Neulich war ich in einem wunderschönen Wald spazieren, im Hohen Fläming in Brandenburg. Als ich an einer urwüchsigen Buche vorbeikam, lehnte ich mich aus einem Impuls heraus mit den Händen an ihren imposanten Stamm und mir entfuhr der Stoßseufzer: „Ich wünsche dir Standhaftigkeit!“ In der Baumkrone raschelten leise die Blätter.

Ich stutzte. Wie war mir dieses seltsame Wort in den Sinn gekommen? Dann fiel es mir ein: In einem der sogenannten TV-Trielle vor der Bundestagswahl hatte sich einer der Kandidaten mit seiner „Standhaftigkeit“ gebrüstet. Mit ihrer Hilfe, hatte er erklärt, werde er sich dem „Wind der Veränderung“ entgegenstellen, „der uns allen ins Gesicht bläst“. Es war ein skurriler Moment, fürs Amt des Kanzlers hatte er sich damit wohl endgültig disqualifiziert. Gerade in Deutschland ist ja die Wendung vom „Wind of Change“ positiv besetzt und eng mit dem Fall der Mauer verbunden.

Aber es stimmt schon: Vieles verändert sich dieser Tage beängstigend schnell. Immer häufiger, so scheint es, wachsen sich Winde zu Stürmen aus, in Zeiten der Erderhitzung auch im wörtlichen Sinn. Die denkbar schlechteste Antwort ist es da, dem Wandel unbewegt zu trotzen. Ein chinesisches Sprichwort lautet: „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen.“

Da passt es und ist ermutigend, dass in den Koalitionsverhandlungen, die nun ohne besagten Kandidaten stattfanden, der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien einer der Punkte war, auf die man sich schnell einigen konnte. Zwei Prozent der Landfläche sollen künftig für Windräder ausgewiesen und „jede geeignete Dachfläche“ mit Solaranlagen bestückt werden, so stand es schon im Sondierungspapier der Ampelparteien. „Wir sehen es als unsere zentrale gemein same Aufgabe, Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen“, hieß es dort. Klingt doch gut.

Dasselbe Papier zeugte aber auch von viel Beharrungsvermögen, weshalb Klimaschützer und -forscherinnen den deutschen Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel weiter gefährdet sehen. So hieß es darin nur schwam mig, der Kohleausstieg solle „idealerweise“ auf 2030 vor gezogen werden. Ein sozial gerechter CO2-Preis, den Fachleute für unabdingbar halten, kam ebenso wenig vor wie ein Datum für das Ende des Verbrennungsmotors. Und auch das generelle Tempolimit ist erst mal wieder vom Tisch, weil eine Partei darauf pocht, dass man das Gaspedal in Ausübung der Freiheit selbst dann mannhaft durchdrücken darf, wenn drum herum die Wälder sterben. Dabei dreht sich der Wind: Sechzig Prozent der Deutschen sind nun laut Umfragen für eine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen.

Als Kind war ich fest davon überzeugt, dass es die Bäume sind, die den Wind machen, indem sie sich so schön bewegen. Inzwischen weiß ich es besser – und habe gelernt, dass Äste im Wind nicht brechen, weil Holz ein so außergewöhnlicher Werkstoff ist, durch zugfeste Zellulose und druckfestes Lignin flexibel und stabil zugleich. Allerdings: Wenn Stürme zu heftig werden und Dürren hinzukommen, fällt selbst der stärkste Stamm.

Verschwindet der Wald, wie wir ihn kennen, wird die Natur flexibel reagieren und womöglich eine weniger üppige, mediterran anmutende Vegetation folgen, haben Forstexperten mir erklärt. Bevor es so weit kommt, sollten die Koalitionäre sich flexibel zeigen, finde ich – und beim Klimaschutz kräftig nachlegen.