À la Saison

Grandiose Gurke

Popikone, Superheldin, Kunstwerk – Cucumis sativus besteht zwar zu 97 Prozent aus Wasser, hat aber durchaus Geschmack, macht stets eine gute Figur und ist unser Gemüse der Saison im Porträt

Grandiose Gurke

Im November 1989 – die Mauer stand noch – rammte das westdeutsche Satiremagazin Titanic den Eisberg des guten Geschmacks: Vom Titel lächelte eine Frau mit Pudelfrisur, stonewashed Jeansjacke und gepellter Salatgurke: „Zonen-Gaby (17) im Glück (BRD): Meine erste Banane“, stand da.

Ein völlig vergurkter Gag auf Kosten von Menschen, die gerade unter Einsatz ihrer Existenz in die Freiheit flohen – könnte man meinen. Aber Moment! So billig und banane der frische Witz war, so satirisch-subversiv wurde er, als er reifte. Denn nicht nur war das Ding in Gabys geballter Faust erkennbar keine Südfrucht, Jahrzehnte später kam auch heraus: Zonen-Gaby war gar kein Zoni! Die Dame hieß Dagmar und kam aus Worms. Der Westen lachte über sich selbst.

Merke: Mit Gurken ist nicht gut Bananen essen! Es stimmt: Cucumis sativus steht im Ruf, ein ödes Allerweltsgemüse zu sein. Sie ist Alibizutat jeder welken Salatgarnitur, kommt als Gesichtsmaske nicht aus dem Quark und dient als Sammelbeschimpfung für Versager vom Auto (Gurke) bis zur Nationalelf (Gurkentruppe).

Aber Vorsicht! In Frankreich weiß jedes Kind, dass Gurken geheime Superkräfte haben. Dort drehte der Comiczeichner Nikita Mandryka 1965 den Gemüsespieß um: Statt Gurkenmaske (masque au concombre) gab es bei ihm Maskierte Gurke (Concombre Masqué). Dieser vegane Zorro verteidigt die Welt an der Seite seines treu-dicken Freundes Chourave (Kohlrabi) gegen den Großen Kartoffelisierer (Grand Patatoseur), den Schurken des Gemüsegartens. Mandrykas Gurkenkosmos ist eine Parodie auf das „echte“ Superversum der nichtpflanzlichen Helden. Natürlich. Vielleicht aber sieht man Normalo-Gurken mit anderen Augen, wenn man diesem Gurken-Heroen in die Augen gesehen hat?

Zonen-Gaby lag übrigens botanisch nicht so falsch: Wie die Banane ist auch die Gurke eine Frucht, mehr noch – beide sind Beeren. Und beide sind weder Süd- noch Ostfrüchte, sondern Südostfrüchte. Die Banane stammt aus dem Malaiischen Archipel, die Gurke aus Indien, wo sie vor mehr als 3000 Jahren kultiviert wurde. Besonders eilig mit der Flucht in den Westen hatte sie es daraufhin nicht. Im siebten Jahrhundert tauchte sie in Krakau auf. Und erst im 16. Jahrhundert war die Gurke auch in Westeuropa allgemein bekannt. Ihr deutscher Name hat Wurzeln im altpolnischen ogurek, welches wiederum auf das mittelgriechische ágros zurückgeht: grün, unreif.

Grasig-grüne Aromen machen die Gurke zur sommerlichen Labsal. Säure betont ihre süße Frische, sei es im polnischen Gurkensalat mit Sauerrahm und Dill oder in der ostdeutschen Variante mit Essig, Öl und – nur zu! – einer Idee Zucker. Wer so was mag, wundert sich kein bisschen, dass Gurkenlimonade längst erfunden ist. In andalusischer Gazpacho ergänzt die dezente Gurke die kräftige Tomate aufs Trefflichste. Auch mit Wasser- und Honigmelonen harmoniert sie, sind sie doch allesamt Kürbisgewächse. Ein fester Wert ist das englische Gurkensandwich zum high tea – ein Hauch von fast nichts.

Im Jahr 2008, als die EU ein Ende der Gurkenkrümmungsverordnung diskutierte, schuf der österreichische Bildhauer Erwin Wurm ein „Selbstporträt als Essiggurkerl“: Auf 36 weißen Sockeln thronten 36 lebensechte Gurken aus Acryl – jede ein Unikat. „Es gibt Millionen verschiedener Gurken“, erklärte der Künstler. Keine sei wie die andere. „Ähnlich wie bei den Menschen.“ Ob Gurken mit Menschen verglichen werden wollen? Oder doch lieber mit Bananen verwechselt? Wir wissen es nicht. Seit 2009 dürfen sie in der EU jedenfalls wieder wachsen, wie sie wollen.

Feine Gurkensuppe mit Kokos

Ein Rezept von Karin Midwer

Für 4 Portionen:
1 große Salatgurke
2 EL Basmatireis
1 EL Olivenöl
2 kleine Zwiebeln
10g frische Ingwerwurzel
500ml Gemüsebrühe (am besten hausgemacht)
70ml Kokosmilch
Pfeffer, Salz Saft und Schalenabrieb von 1 Limette
Einige Stängel Minze

Zubereitung:

Drei Viertel der Salatgurke (mit Schale und Kernen) zerkleinern und zusammen mit dem gewaschenen Reis in einem Topf mit erhitztem Öl andünsten. Kleingeschnittene Zwiebeln und Ingwerwurzel dazugeben und kurz mitdünsten. Mit heißer Gemüsebrühe auffüllen und etwa 20 Minuten gar köcheln lassen. Kokosmilch hinzugeben und aufkochen. Suppe pürieren. Mit Pfeffer, Salz, Limettensaft und -abrieb abschmecken. Das letzte Viertel der Salatgurke entkernen und in dünne Rechtecke schneiden. Minze in schmale Streifen schneiden und hacken. Heiße Suppe in vier Schalen füllen, mit Gurkenecken und Minze servieren.

Und sonst so?

Frisch vom Feld im Mai:

Erdbeere, Blumenkohl, Mairübe, Mangold, Radieschen, Zucchini und einiges mehr

Neu im Juni – unter anderem:

Erbse, Heidelbeere, Himbeere, Johannisbeere, Kartoffel, Möhre, Rauke, Stachelbeere, Süßkirsche

Grandiose Gurke

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