Anhand von Fotos ihrer Schwanzfluke lassen sich Buckelwale wie per Fingerabdruck wiedererkennen. So konnten Forschende nun eine pazifikumspannende Liebesgeschichte nachweisen.

Nicola Ransome ist eine Weltbürgerin, so wie die von ihr erforschten Tiere. Geboren in England, promoviert in Australien, lebt die Meeresbiologin seit 18 Jahren in Mexiko ihren Traum. Derzeit fährt sie täglich im Boot aufs Meer, um nach Buckelwalen Ausschau zu halten, die entlang der Küste von Nord- nach Zentralamerika schwimmen. Sie will wissen, ob die wandernden Tiere bereits das gefährliche Gebiet vor Kalifornien verlassen haben, wo sie sich oft in den Leinen von Krebsfallen verheddern, denn für die Fischer gilt bis zu ihrer Abreise ein Fangstopp. „Heute haben wir einen Wal namens Michelangelo gesehen“, sagt Ransome und lacht. „Die ersten tauchen jetzt bei uns auf.“

Über einen anderen Buckelwal hat sie kürzlich mit einem internationalen Team einen Artikel im Journal „Endangered Species Research“ veröffentlicht. In der Geschichte von MIMn030, genannt „Frodo“, geht es um Liebe, KI und Völkerverständigung. Denn Frodo hat etwas nie zuvor Dokumentiertes getan: In weniger als einem Jahr tauchte er an beiden Seiten des Pazifiks auf – am 17. Februar 2017 bei den Marianen, einer Inselgruppe im Westen des weltgrößten Ozeans, 357 Tage später vor Mexiko. Dazwischen hat er sich wahrscheinlich in den Weidegründen vor den russischen Kommandeurinseln in der Beringsee Fett angefressen, wo er schon 2010 und 2013 gesichtet wurde.

All das weiß Ransome, ohne dass Frodo einen GPS-Sender trägt. Buckelwale, bekannt für ihre schönen Gesänge, eignen sich besser als jede andere Walart zur „Fotoidentifikation“. Wissenschaftlerinnen und Whale watcher fotografieren dafür die Schwanzfluke, welche die Tiere beim Abtauchen oft aus dem Wasser strecken. „Form, Pigmentierung und Sägung des Hinterrandes verändern sich im Leben eines Wals kaum“, erklärt Ransome. Die Merkmale in unserer Illustration (links) entsprechen originalgetreu jenen von Frodo.

Die Möglichkeiten der Fotoidentifikation, so die Forscherin, hätten sich enorm verbessert, seit 2015 happywhale.com an den Start ging. Früher habe sie mit Kollegen mühselig Fotos in dicken Ordnern gewälzt, nun gleiche eine künstliche Intelligenz die Fluke ab. „Menschen in Russland, Japan, auf den Philippinen und Marianen laden ihre Fotos hoch“, freut sich Ransome. „Allein im Nordpazifik sind 27.000 Buckelwale auf Happy Whale verzeichnet.“ Fast jedes erwachsene Tier, das sie fotografiere, sei schon in der Datenbank.

Und so zeigte sich, dass es im Nordpazifik vier Populationen gibt, die zwischen den äquatornahen Gebieten, wo die Wale zur Welt kamen und sich fortpflanzen, und den nördlichen Nahrungsgebieten pendeln. Rund 200 Tiere, fanden die Forschenden heraus, wandern „quer“ zwischen Mexiko und Russland hin und her. Fast alle bleiben lebenslang ihren Geburtsregionen treu – im Osten, im Westen oder bei Hawaii.

Umso größer die Überraschung, als nun Frodos Fernreise ans Licht kam – HappyWhale-Gründer Ted Cheeseman persönlich teilte Nicola Ransome mit, dass einer „ihrer“ Wale vor den Marianen aufgetaucht war, 11.262 Kilometer von Mexiko entfernt. Was ihn dazu bewegt haben könnte? „In der Wissenschaft ist Spekulieren eigentlich nicht erlaubt“, sagt Ransome. „Aber ich bin mir sicher, dass Frodo in Russland ein Weibchen kennengelernt hat.“

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 2.24 "Böden". Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!