Wegweiser

Constanze Klotz & Charlotte Erhorn

„Wir helfen Nähtalenten, denen sonst niemand eine Chance gibt.“
© Melina MörsdorfConstanze Klotz & Charlotte Erhorn © Melina Mörsdorf

Neuanfang für Mensch und Kleidung

Fast wöchentlich locken Modefirmen mit neuen Kollektionen. Vieles wird nur kurz oder nie getragen: Fünf Kilo Textilien entsorgen Deutsche im Schnitt pro Jahr. In der Pandemie droht zusätzlich eine halbe Milliarde unverkaufter Kleidungsstücke vernichtet zu werden.

Constanze Klotz sieht darin einen wertvollen Rohstoff und die Chance für ein soziales Projekt. Die Kulturwissenschaftlerin gründete mit der Textildesigne rin Hanna Charlotte Erhorn das Modelabel „Bridge & Tunnel“, das aus ausrangierten Jeans etwas Neues macht. Die Firma sitzt im multiethnischen Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, der nur über Brücken und Tunnel erreichbar ist – so kam das Label zu seinem Namen. „Und weil wir Brücken bauen wollen, für Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance haben“, sagt Klotz, sei es aufgrund fehlender Zeugnisse, Alter, Religion oder Fluchthintergrund.

Eine gut ausgestattete Nähwerkstatt hatten die beiden schon. Eines Tages luden sie den deutschtürkischen Nähclub ein, der sich sonst in der Moschee traf, und die Idee entstand. „Fast alle arbeiten sehr pro fes sionell, haben aber weder Ausbildung noch Abschluss“, sagt Klotz. Mittlerweile beschäftigen die Frauen sechs Näherinnen und einen Näher – aus Indien, dem Irak, Nigeria, Ghana, Russland und der Türkei. Mit dabei sind zum Beispiel die gehörlose Russin Svetlana, die erst lernen musste, auf Deutsch zu gebärden, Sayed, der 2013 mit seiner Familie aus dem Irak geflohen war, und die deutschtürkische Bekleidungstechnikerin Asiye, die ihre erste Nähmaschine mit 14 geschenkt bekam und die alte Singer bis heute besitzt.

Aus den gespendeten Hosen schneidern sie Taschen, Kissen, Tagesdecken, Teppiche und Jacken. Alle sind fest angestellt und bekommen 15 Euro pro Stunde. Jedes fertige Teil signieren sie auf dem Etikett. „Einmal kam eine Kundin vorbei, um sich zu bedanken“, sagt Klotz. Der Aufwand hat seinen Preis, ein Kissen kostet sechzig Euro. „Manche finden, das sei zu viel“, sagt sie. „Ich finde, wir haben verlernt, was Textilien wert sein sollten.“

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