Sie erreichen riesige Ausmaße und lassen nur kahle Regionen zurück: Heuschreckenschwärme ziehen durch Ostafrika und fressen Bäume, Felder und Wiesen leer. Die Schwärme sind mittlerweile so groß, dass es fast unmöglich ist, sie unter Kontrolle zu bekommen. Oft können die Menschen nur dabei zusehen, wie die Insekten ihre Nahrungsgrundlage vernichten.

Besonders alarmierend ist die Situation in Äthiopien, Kenia und Somalia. Dort ziehen die Heuschrecken in Massen über das Land. Haben sie eine Gegend leergefressen, ziehen sie zur nächsten weiter. Die Schwärme sind mitunter riesig: Ein Schwarm, der in Kenia gesichtet wurde, bedeckte eine Fläche von rund 60 mal 40 Kilometern, so groß wie das Saarland. Jedes einzelne Tier frisst am Tag so viel, wie es wiegt, rund zwanzig Gramm. Die Schwärme bestehen durchschnittlich aus 30 bis 40 Millionen Tieren. Das heißt: Ein Schwarm dieser Größenordnung vernichtet jeden Tag 600 bis 800 Tonnen an Getreide, Gemüse und Weideland.

Die Vereinten Nationen bewerten diese Plage am Horn von Afrika als die schlimmste seit 25 Jahren, für Kenia ist es die schlimmste seit 70 Jahren. Und sie wird immer größer. Seit Ende letzten Jahres wüten die Heuschrecken, ein Ende zeichnet sich nicht ab. Denn die Heuschrecken pflanzen sich fort. Ein Weibchen kann bis zu 100 Eier legen, und das mehrfach wenn es ausgewachsen ist. In Kenia und seinen Nachbarländern hat es außergewöhnlich lange und viel geregnet – eine Folge der ungewöhnlich warmen Wassertemperaturen des Indischen Ozeans. Für die Heuschrecken ist der feuchte Boden perfekt. Unter diesen Bedingungen schlüpfen, anders als bei Trockenheit, aus rund 90 Prozent ihrer Eier auch tatsächlich Larven. „So kann eine Heuschreckenpopulation alle drei Monate um das 20-fache zunehmen“, teilt die Welternährungsorganisation (FAO) dem Greenpeace Magazin auf Anfrage mit. Die Plage wird also explosionsartig immer größer: Die Vereinten Nationen warnen, dass sich die Zahl der Heuschrecken bis Mitte des Jahres um das 500-fache steigern könnte. 

Ursprünglich kommen die Heuschrecken von der arabischen Halbinsel, genauer gesagt handelt es sich bei ihnen um Wüstenheuschrecken. Sie gehören zu den Wanderheuschrecken, wenn es in ihren Brutgebieten besonders feucht wird, können sie zur Plage werden. Erkennt man das früh genug, lässt sich eine Plage verhindern. „Das war allerdings jetzt nicht möglich“, erklärte Axel Hochkirch, Professor für Naturschutzbiologie in Trier, im Deutschlandfunk. „Das ging schon 2018 im Jemen los. Weil dort Krieg herrscht, war die Bekämpfung nicht möglich – die ganze Ausrüstung vom Jemen ist zerstört worden, um Heuschrecken zu bekämpfen.“ 

Laut der FAO hatten zwei Zyklone für heftige Regenfälle auf dem unbewohnten Teil der Arabischen Halbinsel, der auch „das leere Viertel“ genannt wird, gesorgt. Innerhalb von neun Monaten erhöhte sich die Heuschreckenzahl um das 8.000-Fache. Sie überwanden das Rote Meer und den Golf von Aden bis zum Horn von Afrika. Dort löste ein weiterer Zyklon im Dezember letzten Jahres einen neuen Reproduktionsschub aus. Die einzige Lösung für Ostafrika ist nun: Gift.

In Kenia etwa unterstützen die Vereinten Nationen mit der FAO die Ausbildung von Freiwilligen, die großflächig Pestizide versprühen sollen. Bodenteams und Kleinflugzeuge richten ihre Sprühköpfe vor allem gegen die frisch geschlüpften Larven, sogenannte Hopper. Sie können noch nicht fliegen und sind deswegen ein leicht anzugreifendes Ziel. Allerdings sind die Pestizide auch für die Bevölkerung nicht ungefährlich. Menschen aus besprühten Gebieten klagten über Kopfschmerzen. In Dörfern, die versehentlich von Flugzeugen besprüht wurden, übergaben sich mehrere Kinder. „Chemische Pestizide, die zur Heuschreckenbekämpfung eingesetzt werden, können Risiken für die Gesundheit von Mensch und Tier bergen“, bestätigt die FAO auf Nachfrage des Greenpeace Magazins, beteuert aber auch: „Keines der Pestizide stellt ein größeres oder langanhaltendes Gesundheitsrisiko für den Menschen dar, es sei denn, die Exposition ist schwerwiegend.“ Mit Aufklärungsprogrammen wolle man sicherstellen ,dass die Menschen sich von besprühten Feldern und Tieren fernhalten.

Axel Hochkirch aber gibt zu bedenken, dass Heuschrecken in vielen afrikanischen Völkern als Nahrungsmittel gelten. Das Gift mache den Verzehr nun gefährlich – eine Information, die in vielen entlegenen Regionen nicht ankomme. Und laut FAO seien die Gifte zwar harmlos für Nutzpflanzen, einige davon bergen aber Risiken für Säugetiere und Fische. Die meisten Pestizide gefährden Honigbienen und andere Nutztierarten sogar akut.

Eine Alternative könnte ein Pilz sein: Versprüht man seine Sporen, infizieren sich nur die Heuschrecken damit. Allerdings dauert es dann noch zwei bis drei Wochen, bis die Heuschrecken daran sterben – zu lange in der aktuellen Notlage.

Am 11. Mai verkündete die FAO erste Erfolge des Pestizideinsatzes: Ersten Schätzungen zufolge konnten 720.000 Tonnen Getreide in zehn Ländern vor den Heuschrecken geschützt werden. Außerdem seien rund 350.000 Hirten von der Plage verschont worden. „Der Kampf ist aber noch lange nicht zu Ende“, sagte Qu Dongyu, Generaldirektor der FAO. „In den kommenden Monaten droht noch mehr Menschen der Verlust ihrer Lebensgrundlage und eine verschlechterte Ernährungssicherheit.“ 

Schon jetzt beziffert die FAO die Kosten der Bekämpfung der Plage auf umgerechnet rund 127 Millionen Euro. Durch die Corona-Pandemie komme nun oft nicht genug Pestizidnachschub, wodurch die Bekämpfung der Hopper gefährlich nachlässt. „Die internationale Gemeinschaft muss begreifen, dass jetzt etwas getan werden muss“, sagt Dominique Burgeon, Direktor der Abteilung für Notfälle und Rehabilitation und strategischer Programmleiter Resilienz der FAO. „Ansonsten werden Millionen von Menschen Lebensmittelhilfe benötigen. Dann werden wir Jahre brauchen, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen.“

Die noch schlechtere Nachricht: Selbst wenn diese Plage irgendwann besiegt werden sollte, werden weitere folgen. Laut den Prognosen des Weltklimarats IPCC wird es in den Brutgebieten der Wüstenheuschrecke in Ostafrika immer feuchter – eine Folge des Klimawandels. Und: „Wenn sich der gegenwärtige Trend zu vermehrten Zyklonen fortsetzt, wird es am Horn von Afrika in Zukunft wahrscheinlich zu weiteren Heuschreckenausbrüchen kommen“, teilt die FAO mit. Mit einem guten Monitoring lassen sich Plagen zwar frühzeitig erkennen. Bekämpfen lassen sie sich aber nur, wenn die Länder die Kapazitäten dafür haben. Und wer denkt während eines Krieges oder einer Pandemie schon an Heuschrecken?