Jeder Mensch in Deutschland verursacht im Schnitt 10,4 Tonnen Treibhausgase pro Jahr. Damit liegt das Land im europäischen Vergleich im oberen Drittel. Um die Pariser Klimaziele einzuhalten, müssen die Emissionen pro Kopf bis 2050 aber unter eine Tonne sinken. Diesen Wert erreicht bislang nicht einmal Malta, dessen Bewohnerinnen und Bewohner mit je 4,5 Tonnen Treibhausgasen pro Jahr den besten ökologischen Fußabdruck Europas haben.
Allein mit der Änderung des persönlichen Verhaltens ist es aber nur schwer möglich, den Prop-Kopf-Ausstoß hinreichend zu senken. Denn ein großer Teil der Emissionen bestimmt sich durch das Land, in dem man wohnt, dessen Industrie und Infrastruktur, die auf die Bevölkerung umgelegt werden. Deswegen ermöglicht es Compensators, die Emissionen auszugleichen. Mit diesem Angebot ist der Verein natürlich nicht allein, seine Methode unterscheidet sich aber grundlegend von der der meisten Kompensationsanbieter. Diese finanzieren mit den Spenden ihrer Kundinnen und Kunden Klimaschutzprojekte im globalen Süden, so auch der Größte unter ihnen: Atmosfair. Das Unternehmen listet etwa Projekte wie energieeffiziente Öfen in Nigeria, Solaranlagen in Senegal oder ein Kleinwasserkraftwerk in Honduras auf. Möchte also jemand hierzulande eine Tonne CO2 ausgleichen, sorgt Atmosfair dafür, dass diese in Senegal, Nigeria oder Honduras gar nicht erst ausgestoßen wird – Offsetting nennt sich das.
„Von solchen Methoden möchten wir uns abgrenzen“, sagt Hendrik Schuldt, Vorstand bei Compensators. „Wir kehren mit unserem Angebot vor der eigenen Haustür, weil wir Emissionen in Europa vermeiden.“ Dafür kauft der Verein Verschmutzungszertifikate im europäischen Emissionshandel. Und zwar eigentlich schon seit seiner Gründung durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung 2006 – ein Jahr nach Start des Europäischen Emissionshandelssystems. Als die EU 2017 über eine Reform des Emissionshandels beriet, sahen sich die Compensators aber zu einem Spendenstop gezwungen.
Denn das System funktionierte nicht so, wie es sollte: Nach der Finanzkrise von 2007 etwa brach die Wirtschaft ein und benötigte viel weniger Zertifikate, als gedacht. Die Folge war ein enormer Überschuss an Verschmutzungsrechten – 2018 summierten sie sich auf 1,5 Milliarden Stück. Dem versucht die EU seit Anfang letzten Jahres mit der Marktstabilitätsreserve entgegenzuwirken, die überschüssige Zertifikate aus dem Umlauf nimmt. Und das wurde zum Problem für die Compensators: Die hatten ihre Zertifikate bis dahin nämlich gelöscht. Hätten sie das nach der Reform weiterhin getan, hätten sie lediglich den Überschuss verringert, der durch die Marktstabilitätsreserve vom Markt genommen wird. Nun melden sie sich nach drei Jahren Pause mit neuem Konzept zurück: Sie legen die Zertifikate still, ohne sie zu löschen. So werden sie bei der Berechnung des Überschusses mitgezählt.
Das Prinzip funktioniert wie folgt: Gegen eine Spende von aktuell 35 Euro kaufen die Compensators ein Verschmutzungszertifikat im Europäischen Emissionshandel, das den Käufer zum Ausstoß einer Tonne CO2 berechtigen würde. Sie aber legen dieses Zertifikat still, sodass es der Industrie nicht mehr zur Verfügung steht. „Zum einen wird so eine Tonne CO2 vermieden“, erklärt Hendrik Schuldt. „Außerdem treiben wir den Preis der übrigen Zertifikate in die Höhe.“ Dem Klima ist also zweifach geholfen – direkt, dank der verringerten Emissionen, aber auch indirekt, denn die Einnahmen des Zertifikathandels fließen in den Energie- und Klimafonds, der Energiewende und Klimaschutz voranbringen soll. Rund 2000 Zertifikate haben die Compensators auf diese Weise 2020 stillgelegt.
Der Emissionshandel, auf den sie damit einwirken, ist komplex und nicht ganz einfach zu verstehen: In den EU-Ländern sowie Island, Liechtenstein und Norwegen müssen seit 2005 alle großen Anlagen, die Strom und Wärme erzeugen, sowie große Industriebetriebe wie Raffinerien, Stahl- und Zementwerke Berechtigungen erwerben, um CO2 auszustoßen. Seit 2012 ist dazu auch der innereuropäische Luftverkehr verpflichtet. Jährlich stehen rund zwei Milliarden Zertifikate zur Verfügung, die diese Emittenten ersteigern können. Ihre Zahl wird schrittweise reduziert, um Investitionen in klimafreundliche Technologien anzuregen. Nachdem zu Beginn ein großer Anteil der Zertifikate kostenlos ausgegeben wurde, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, sinkt dieser Anteil nun stetig; Kraftwerksbetreiber sind von diesen Gratis-Emissionen ganz ausgenommen. Wer ohne Zertifikate CO2 ausstößt, muss Strafen zahlen.
„Wer wenig CO2 emittiert, muss entsprechend wenig für Berechtigungen ausgeben. Klimaschutz lohnt sich damit auch finanziell“, meint das Bundesumweltministerium. Die Rechnung geht aber nur auf, wenn die Zertifikate teuer genug sind. Der Emissionshandel steht allerdings notorisch genau dafür in der Kritik, dass dies nicht der Fall ist. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes etwa verursacht eine Tonne CO2 Schäden in Höhe von rund 180 Euro, ein Verschmutzungsrecht kostet dagegen gerade einmal rund 30 Euro. „Aber auch schon die aktuellen Preise haben eine große Auswirkung, zum Beispiel, indem sie die Kohleverstromung unrentabel machen“, sagt Compensators-Vorstand Hendrik Schuldt.
Das Ziel des Vereins ist es dennoch, den Preis signifikant in die Höhe zu treiben. Dafür fehle ihm aber noch die Größe, räumt Schuldt ein. Bislang konnten die Compensators gerade einmal 40.000 Zertifikate kaufen. „Es gibt auf dem Emissionsmarkt insgesamt eine jährliche Obergrenze von 1,8 Milliarden Tonnen – da ist das natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Entsprechend hart fällt auch das Urteil von Karsten Smid aus, Klimaexperte bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace: „Das angestrebte Vereinsziel, den Konzernen die CO2-Zertifikate vor der Nase wegzuschnappen, ist nicht zu erreichen.“ Zwischen der Zahl der von Compensators aufgekauften Zertifikate und den benötigten Emissionsrechten eines einzelnen Kohlekraftwerks lägen mehrere Zehnerpotenzen. „Der Emissionshandel lässt sich so nicht beeinflussen. Notwendig ist eine Verschärfung der europäischen Klimaziele durch die Politik“, sagt Smid.
Darauf möchten die Compensators mit ihrer Arbeit auch hinwirken, erklärt Hendrik Schuldt: „Jede stillgelegte Tonne über uns ist auch gleichzeitig ein politisches Signal. Wir wollen politische Impulse produzieren, um die Transformation zu einer CO2-neutralen Gesellschaft zu beschleunigen.“ So tritt der Verein etwa dafür ein, dass der Emissionshandel auf andere Wirtschaftszweige wie Landwirtschaft und Verkehr ausgeweitet wird. In seiner jetzigen Form deckt er nämlich nur knapp die Hälfte aller europäischen Emissionen ab.
Deutschland will für die andere Hälfte ab nächstem Jahr ein nationales Emissionshandelssystem einführen. Damit gibt es dann auch etwa im Straßenverkehr und beim Heizen einen CO2-Preis. Das betreffe allerdings nicht etwa Autofahrer und Wohnungseigentümer, erklärt das Bundesumweltministerium: „Die Pflicht liegt grundsätzlich bei den sogenannten ,Inverkehrbringern‘, also bei den Unternehmen, die Diesel, Benzin und Co. erstmals in Deutschland verkaufen.“ In den ersten fünf Jahren sollen die nationalen Zertifikate zum Festpreis verkauft werden, der bis 2025 schrittweise von 25 auf 55 Euro steigen soll. Danach sollen sie wie auf dem europäischen Markt versteigert werden. „Allein der lächerlich geringe Einstiegspreis wird die Lenkungswirkung im Bereich Verkehr und Wärme verfehlen“, urteilt Greenpeace-Experte Karsten Smid.
Die Compensators wollen auch auf dem nationalen Markt aktiv werden. „Dann können wir gezielte Kompensationen anbieten: Wenn man etwa die Emissionen seines Autos ausgleichen möchte, dann kaufen wir auf dem nationalen Markt. Wenn es um Strom geht, dann kaufen wir auf dem europäischen Markt“, sagt Hendrik Schuldt. Wie effektiv das sein wird, hängt davon ab, wie viele Menschen sich dafür entscheiden, ihre Emissionen auszugleichen. 2019 wurden laut der Initiative Ecosystem Marketplace gerade einmal 70 Millionen Tonnen CO2 weltweit ausgeglichen – da ist noch Luft nach oben.