Liebe Leserinnen und Leser,

ich weiß natürlich nicht, ob sie zu den vielen Fans des RTL-Dschungelcamps gehören, aber die Wahrscheinlichkeit, dass Sie von diesem seltsamen TV-Format schon mal gehört oder sogar reingeschaut haben, dürfte angesichts der Einschaltquoten relativ hoch sein. Auch wenn es viele Gründe gibt, sich diese Sendung nicht regelmäßig anzutun. Denn es schmerzt durchaus, den zwölf Dschungelcamperinnen und -campern dabei zuzusehen, wie sie beim Verschlingen von Känguruhoden oder Sternesuchen in Exkrementen um ihre Restwürde kämpfen. Mir jedenfalls reicht das, was die großartige Anja Rützel als kundigste Interpretin des deutschen Trash-Fernsehens dazu schreibt, vollkommen aus. Denn auch wenn sich in „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ immer wieder unerwartete Momente der Authentizität und Menschlichkeit hineinschleichen, bleibt das Konzept im Kern eine perfekt produzierte Umsetzung der sadistischen und voyeuristischen Prinzipien, nach denen dieser Teil unserer Unterhaltungsindustrie funktioniert.

Der Amazonas schlägt zurück

Wenn also heute Abend um 21:30 Uhr die 15. Staffel beginnt, werde ich eher nicht einschalten, sondern stattdessen lieber überlegen, was man aus dieser Fernsehidee noch alles machen könnte. Ich habe auch schon einen Vorschlag: In meinem Dschungelcamp würden sich keine „Teppichluder“, „Bachelor-Kandidatinnen“ oder „Promi-Personenschützer“ versammeln, sondern ausgesuchte Top-Manager eben jener Unternehmen, die mit ihren Geschäften am stärksten dazu beitragen, die Dschungel dieser Welt zu ruinieren.

Zwölf Männer – es sind tatsächlich beinahe ausschließlich Männer, die solche Klimakiller-Konzerne führen –, die bis zu vierzehn sehr, sehr lange Tage auf unbequemen Schlafpritschen oder am schwach glühenden Lagerfeuer verbringen, abgeschnitten von Statussymbolen wie Learjets oder Leibköchen: eine inspirierende Vorstellung. Vor meinem geistigen Auge erscheinen Vorstandsvorsitzende von Öl- und Kohlekonzernen, anfangs noch perfekt frisiert und solargebräunt, dazu Abgesandte aus der Fleisch- und Chemiebranche. Die Zementindustrie wäre ebenso vertreten wie der subventionsgemästete Automanager, der sein Geld noch immer mit Verbrennermotoren verdient. Auf jeden Fall dürfte auch jemand aus der Finanzbranche nicht fehlen, die fossile Energieunternehmen unverdrossen weiter mit Krediten verwöhnt. Dass sämtliche Kandidaten dem großen Fernsehpublikum eher unbekannt sein dürften, sollte dabei kein Hindernis sein – das ist beim Original auf RTL schließlich genauso. Allerdings läge mein Dschungelcamp nicht in einer solchen Pseudo-Wildnis – eher Fernsehstudio als echte Natur –, sondern mitten im Amazonas, dem größten zusammenhängenden Regenwaldgebiet der Erde. Eben genau dort, wo sich die Klimazukunft der Welt in den kommenden Jahren mit entscheidet.

Greta bittet zur Dschungelprüfung

Besonders freue ich mich auf die täglichen Dschungelprüfungen, bei denen sich die Herren ihre Mahlzeiten erkämpfen müssen. Nicht so demütigend wie beim Original, schließlich geht es hier nicht ums Quälen, sondern um Lektionen fürs Leben. Wenn mein gestrenger Gaststar Greta Thunberg den Boss von Exxon Mobile mit einem Quiz zu den Ursachen der Klimakrise ins Schwitzen bringt – und er ohne Sterne ins Camp zurückkehren muss, würde ich mir das ebenso gern ansehen wie den Versuch des Massentierhaltungs-Profiteurs einen brennenden Kapokbaum mit güllegefüllten Champagnergläsern zu löschen – zum Gedenken an all die Brandrodungen, die wir dem Flächenhunger der Fleischindustrie verdanken. 

Viele Sterne, ergo Essensrationen, kämen wahrscheinlich nicht zusammen, und leider, leider wurde auch der Acker auf der frisch weggebaggerten Dschungelfläche in der direkten Nachbarschaft nicht für die Ernährung der Region, sondern für den Export von Tierfutter angelegt. Und ob die händische Ernte von pestizidverseuchten Früchten wie Mangos, Limetten oder Melonen auf Dauer wirklich so unbedenklich für die Gesundheit ist, könnte der Manager aus dem Chemiekonzern nach der Rückkehr ja nochmal mit seiner eigenen Forschungsabteilung abklären. 

Tag für Tag würden – so sind die Zeiten gerade, nicht zuletzt dank der zwölf Kandidaten und ihrer Unternehmen – rund ums Camp mehr und mehr Bäume fallen, mehr und mehr Tiere vertrieben werden, bis nach zwei Wochen der letzte übrig gebliebene Top-Manager in der gerodeten Ödnis seine ölgetränkte Dschungelkrone aufs Haupt gesetzt bekommt – freundlich überreicht von einer Indigenen, die früher mal hier gelebt hat. Hallo? RTL? Wie wäre es?

Wilder werden!

Mag sein, dass mich die aktuelle Heftarbeit auf derlei wilde Ideen bringt. Wir sind gerade intensiv dabei, Ihnen ein wirklich schönes Heft zur Wildnis in Deutschland zusammenzustellen, verbunden mit der Forderung, dass wenigstens die neue Bundesregierung die längst bestehende Verpflichtung erfüllt, mehr Flächen an die Natur zurückzugeben. Denn dort, wo sie sich selbst überlassen ist, kann wieder jene ungeplante, atemberaubende Schönheit regieren, von der unser Land nicht genug haben kann. Findet jedenfalls Ihre Redaktion des Greenpeace Magazins. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein wunderbares, wildes Wochenende!

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Unterschrift

Fred Grimm
Redakteur