Liebe Leserinnen und Leser,

wer schreibt, der bleibt, mag sich Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz gedacht haben, als er am 7. August 2020 einen Brief an seinen damaligen US-Amtskollegen Steven Mnuchin schickte. Darin schlug Scholz den USA einen Deal vor: Wir investieren eine Milliarde Euro aus Steuermitteln in den weiteren Ausbau von Infrastruktur für den Import von Eurem Flüssiggas (LNG), und im Gegenzug seht Ihr bitte von Sanktionen wegen der Fertigstellung der Nord Stream 2-Pipeline ab.

Dem Brief ist ein sogenanntes Non-Paper beigefügt, in dem Kompensationsmaßnahmen für die Gastransitländer Ukraine und Polen vorgeschlagen werden, um wirtschaftliche Nachteile durch den Bau von Nord Stream 2 abzufedern, die russisches Erdgas nach Deutschland leiten soll. Unangenehm für Scholz, dass die Deutsche Umwelthilfe (DUH) das Schreiben diese Woche publik gemacht hat. Die DUH wehrt sich juristisch gegen Nord Stream 2 sowie gegen den Bau einiger LNG-Terminals.

Die ganze Sache ist schon für sich genommen dubios, aber richtig irre wird sie, wenn man bedenkt, dass der Absender des Briefes auch Kanzlerkandidat der SPD ist und gerade erst den Bundestagswahlkampf mit dem Versprechen eines ökologischen Umbaus eröffnete. Wie das, wenn man zugleich verspricht, für fossile Infrastruktur derart tief in die Tasche zu greifen? Für den Import von Flüssiggas, das mittels der in den USA sehr verbreiteten und in Deutschland sehr unpopulären Fracking-Technologie gewonnen wird?

Uns bietet Scholz einen Deal der anderen Art an: Für ein Kreuzchen bei der SPD gibt’s, so die Wahlkampflyrik, „Zukunft für Dich. Sozial. Digital. Klimaneutral.“ Die „Zukunftsmissionen für unser Land“ handeln unter dem Stichwort Klimaschutz von Sonne, Wind und Wasserstoff, von Ladesäulen und Stromnetzen. Von russischem Erd- oder amerikanischem Fracking-Gas ist da nirgends die Rede. Zukunftsemissionen würden sich ja auch nicht so gut machen wie Zukunftsmissionen.

Ungeachtet der Tatsache, dass die EU bis 2050 klimaneutral werden will und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht müde wird, ihren European Green Deal zu preisen, wird überall in Europa fleißig weiter an Gasinfrastruktur gewerkelt, sei es die bereits in Betrieb genommene transadriatische Pipeline von Aserbaidschan über Griechenland bis nach Italien oder all die anderen schönen Projekte, die noch im Bau oder in Planung sind. Dazu zählen auch Flüssiggasterminals und unterirdische Speicheranlagen. 65 Milliarden Euro haben die europäischen Übertragungsnetzbetreiber dafür eingeplant.

Einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge ist das, salopp gesagt, rausgeschmissenes Geld. Denn, so die Autorinnen und Autoren, wenn es die EU mit ihren Klimazielen ernst meint, müsste sich in den nächsten zehn Jahren der Erdgasverbrauch halbieren und ab 2040 müsste ganz und gar Schluss sein mit der Nutzung dieser Energiequelle. Warum also der emsige Ausbau überflüssiger Gasnetze? Nun, die Planungen beruhen auf Prognosen des zukünftigen Bedarfs an Erdgas, und diese liefert, wie praktisch, der Dachverband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber.

Klimaschutz hier, fossile Projekte da, sowohl Olaf Scholz als auch große Teile der Europäischen Union kriegen solche einander zuwiderlaufenden Ziele offenbar mühelos unter einen Hut. Wird man zur Rede gestellt wie Scholz, der am Mittwoch von der Opposition vors Parlament zitiert wurde, dann bleibt man am besten wortkarg bis schweigsam und ist sich keiner Schuld bewusst. Scholz beherrscht das meisterhaft. Das hat er mehrmals bewiesen: bei der Aufarbeitung des missglückten G20-Gipfels in Hamburg 2017; als es darum ging, warum die Stadt Hamburg Steuernachforderungen an eine in den Cum-Ex-Skandal verstrickte Bank hatte verjähren lassen und welche Rolle der damalige Erste Bürgermeister dabei gespielt hatte; und schließlich beim Wirecard-Debakel.

Ob diese Art der Verschwiegenheit für einen Bundeskanzler auf Zukunftsmission erstrebenswert ist, lasse ich mal dahingestellt.

Unterschrift

Kerstin Eitner
Redakteurin