Liebe Leserinnen und Leser,

wenn die Nachrichten voller Schrecken sind (teils menschengemachter Art wie in der Ukraine, teils aufgrund unvorstellbarer Naturgewalten wie in der Türkei und in Syrien, teils auch aufgrund von beidem wie gerade in Neuseeland), und wenn die Woche auch sonst mal wieder eine Herausforderung war, dann ist es absolut legitim, sich auf deren zweitägiges Ende zu freuen. Ist dann auch noch schlechtes Wetter angesagt, empfiehlt es sich umso mehr, erstmal die eigene Versorgungslage zu checken und gutes Essen einzukaufen.

Tröstlich sind dabei nicht nur die Kalorien, man kann mit der richtigen Wahl auch den Lauf der Dinge positiv beeinflussen – zum Beispiel indem man weniger Fleisch isst. Das hilft zwar nicht gegen Erdbeben und Angriffskriege, ist aber nachweislich gut für fast alles andere: Klima, Böden, Urwälder, Grundwasser, Meere, die eigene Gesundheit, die globale Lebensmittelversorgung, und für die Tiere sowieso.

Es ist eine Tatsache, die immer mehr Menschen beherzigen. Bereits seit 2016 sinkt die Zahl der hierzulande gehaltenen und geschlachteten Tiere, doch noch nie war der Rückgang so stark wie 2022. Deutsche Schlachtunternehmen „produzierten“ laut Statistischem Bundesamt zuletzt rund 600.000 Tonnen weniger Fleisch als im Vorjahr, ein Rückgang um 8,9 Prozent. In Tieren ausgedrückt: viereinhalb Millionen weniger Schweine wurden im Vergleich zu 2021 getötet, gut 200.000 weniger Rinder und rund 20 Millionen weniger Hühner, Puten und Enten. Ich versuche gerade, sie mir als Herde und als flatternden Schwarm vorzustellen.

Für den erstaunlich deutlichen Trend gibt es mehrere Gründe. Zuletzt machten die gestiegenen Kosten für Energie, Düngemittel und Futter infolge des Ukrainekrieges vielen Agrarbetrieben zu schaffen, und Verbraucherinnen und Verbraucher mussten aufgrund der Inflation kräftig sparen. Tatsächlich sinkt der Fleischkonsum aber unabhängig von den aktuellen Entwicklungen seit Jahren, weil sich Konsumgewohnheiten, Überzeugungen und Angebote verändern. Beinahe acht Millionen Menschen und damit ein Zehntel der Bevölkerung gibt mittlerweile an, sich vegetarisch zu ernähren, unter den 18- bis 34-Jährigen sind es sogar 17 Prozent. Mit knapp 1,6 Millionen Menschen leben überdies doppelt so viele wie vor sechs Jahren vegan. Insgesamt erklärt jeder und jede Zweite, den Fleischkonsum in den vergangenen Jahren reduziert zu haben.

Die meisten haben auch nichts dagegen, wenn die Politik bei der Ernährungsumstellung nachhilft. Laut einer Umfragestudie von Forschenden der Uni Hamburg, die gerade im Fachjournal „Nature Food“ erschienen ist, würde eine Mehrheit der Deutschen eine „Fleischsteuer“ von bis zu 40 Cent pro Kilogramm befürworten, jedenfalls, wenn die daraus gewonnenen Einnahmen dem Tierwohl zugute kämen – das zieht als Argument deutlich stärker als der Klimaschutz. Viel Zustimmung gibt es auch für eine verpflichtende Kennzeichnung der Haltungsbedingungen, wie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sie plant. Zwar warnt Bauernpräsident Joachim Rukwied, es „brodele“ in der Schweinebranche, Özdemirs Vorhaben sei ein Programm, „das auf einen Abbau hinausläuft“. Aber ist nicht in vielen Ställen jetzt sowieso mehr Platz für eine bessere Haltung, also die erste Voraussetzung für den Umbau bereits geschaffen? Entscheidend ist doch, dass die Halterinnen und Halter mehr Geld pro Schwein bekommen! Und das gesunde Lebensmittel günstiger werden – zum Beispiel durch eine Mehrwertsteuerbefreiung für Obst und Gemüse.

In Nürnberg ist heute die „Biofach“ zu Ende gegangen, die weltgrößte Messe der ebenfalls krisengeschüttelten Biobranche. Dort seien vegane „Ersatzprodukte“ der Renner gewesen, heißt es. Deren Angebot steigt ständig, und allein aus Neugierde probiere ich ab und zu gern neue Produkte aus. Einige Fleisch-, Fisch- oder Milchprodukt-„Alternativen“ erweisen sich mittlerweile als erstaunliche Illusion, andere als verblüffend geschmacksfrei.

Es ist aber meiner Ansicht nach gar nicht immer nötig, Fleisch zu kopieren. Sehr lecker sind auch viele original fleischfreie Gerichte, zum Beispiel aus Indien, dem Mutterland der veganen Küche. Falls irgendwer noch keine Pläne fürs Wochenende hat, kann ich die Zubereitung eines Dhals (Linseneintopf) wärmstens empfehlen – man kann dabei fast nichts falsch machen und beliebig variieren. Etwa so: Öl in einen Topf, eine kleingeschnittene Zwiebel darin anbraten, nach zwei Minuten ein daumengroßes Stück Ingwer und ein paar Knoblauchzehen dazu (beides ebenfalls fein gehackt) sowie je einen Teelöffel zerstoßenen oder gemahlenen Kreuzkümmel und Koriander. (Als Variante irgendwelches übriggebliebene Gemüse schnippeln und mit anbraten.) Dann nach Belieben rote Linsen dazu, mit Wasser aufgießen. Kochen, bis die Linsen zerfallen und der gewünschte (dickflüssige) Aggregatzustand erreicht ist, eventuell noch Wasser dazu, mit Pfeffer, Salz und etwas Gemüsebrühe abschmecken und mit frischem Koriander und einem Schlag Joghurt (oder auch nicht) servieren. Tut der Seele und dem Planeten gut!

Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit und ein schönes Wochenende!

 

Unterschrift

Wolfgang Hassenstein
Redakteur