Liebe Leserinnen und Leser,

manchmal ist es kein Anlass zum Auftrumpfen, wenn man recht hat. Keine Bange, es geht heute nicht um Virologinnen, Intensivmediziner sowie Karl Lauterbach, die schon immer gesagt haben, dass die dritte Welle kommt, die Intensivstationen sich wieder füllen oder für Lockdown statt Lockerungen plädieren. Motto: Mist, ich wünschte, ich hätte mich geirrt.

Wenn Sie mir bitte kurz in den Südpazifik folgen wollen: Die Vermutung von Umweltorganisationen, Forschungsinstituten und Leuten wie dem Nobelpreisträger Albert Schweitzer, dass die Strahlenbelastung durch Frankreichs oberirdische Atomtests auf den Atollen Moruroa und Fangataufa zwischen 1966 und 1974 wesentlich gravierender und weitreichender war als Regierungsstellen zugeben wollten, ist zutreffend. Sie hatten recht. Leider.

Das belegt eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung der regierungsunabhängigen Recherchekollektive INTERPRT und Disclose in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Universität Princeton. Sie haben Dokumente gesichtet, die Frankreich nach langem juristischem Tauziehen 2013 freigeben musste, Interviews mit Betroffenen, Militär- und Verwaltungspersonal, Experten und NGOs geführt sowie Daten mittels Computermodellen visualisiert.

Die Moruroa Files bringen ans Licht, was Frankreich vermutlich auch 47 Jahre nach Beendigung der atmosphärischen und 25 Jahre nach dem Aus für die unterirdischen Atomtests nicht gern hören wird: Es waren wesentlich mehr Menschen radioaktivem Fallout ausgesetzt als bislang eingeräumt. Viele von ihnen sind an Krebs erkrankt und könnten nun Schadensersatz einklagen.

Aber gibt es denn dort überhaupt etwas anderes als Wasser und ein paar unbewohnte Korallenriffe? Nun, Französisch-Polynesien ist gewiss kein Ballungsgebiet, aber auf seine vielen Inseln verteilen sich immerhin knapp 300.000 Menschen. Von „unbewohnt“ kann also keine Rede sein. Frankreich war das egal, als es Mitte der Sechzigerjahre sein Atomtestgebiet kurzerhand in den Südpazifik verlegte, weil ihm der Boden in Algeriens Wüste zu heiß wurde – politisch gesehen. Fortan durchlöcherte das Militär im Dienste seiner geliebten Atomstreitmacht, der Force de Frappe, die beiden Atolle so gründlich, dass sie häufig mit einem „Schweizer Käse“ verglichen wurden.

Bei Protesten dagegen verstand der französische Staat keinen Spaß. Der kanadische Unternehmer, Abenteurer, passionierte Segler und spätere Chef von Greenpeace International, David McTaggart, segelte 1972 erstmals nach Moruroa. Bei seiner Rückkehr im Jahr darauf wurden er und Crewmitglied Nigel Ingram von französischen Soldaten so brutal zusammengeschlagen, dass McTaggart fast ein Auge verloren hätte. 1985, als die Tests bereits unterirdisch gezündet wurden, versenkten französische Geheimagenten das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior, das zu einer Protestfahrt nach Moruroa hatte auslaufen sollen, im Hafen von Auckland auf der neuseeländischen Nordinsel.

Wie schön, dass das Atomzeitalter bald vorbei ist. Bald? Nun ja. Zwar wird Ende 2022 das letzte deutsche AKW abgeschaltet, aber es bleiben Fragen. Wohin mit dem Atommüll? Warum wollen manche Länder ausgerechnet mit Atomkraft das Klima retten? Wie sieht es mit der atomaren Abrüstung aus? Hat der britische Premier Boris Johnson nicht gerade angekündigt, den Vorrat an Trident-Atomsprengköpfen um 40 Prozent, von 180 auf 260, zu erhöhen? Und hält er es für eine gute Idee, angesichts einbrechender Exporte infolge des Brexits und anderer Probleme der britischen Wirtschaft, viele Milliarden in Rüstungsprojekte zu stecken?

Ziemlich kompliziert alles. Dabei ist oft schon der Alltag voller Rätsel. Was soll die Pappschachtel der Tiefkühlerbsen in der gelben Tonne? Wie weist man nach, dass eine Tierart ausgestorben ist? Und wie wird sichergestellt, dass unser Trinkwasser sauber ist? Das Greenpeace Magazin hat sich vorgenommen, ab jetzt in jedem Heft eine Frage zu beantworten, die Sie uns stellen, und zwar an auskunft@greenpeace-magazin.de.

Noch ein Hinweis in eigener Sache: Nächste Woche gibt es ein kleines Päuschen wegen Osterruhe, sprich: Karfreitag. Danach wird hoffentlich alles wie gewohnt laufen, obwohl das Greenpeace Magazin nach Ostern umzieht. Auf jeden Fall wünsche ich Ihnen schöne Feiertage, auch wenn Sie nicht nach Malle oder wohin auch immer reisen.

Unterschrift

Kerstin Eitner
Redakteurin