Liebe Leserinnen und Leser,

an den letzten Hitzesommer können Sie sich sicher erinnern, aber an eine Winterdürre? Schon das Wort klingt ja so paradox wie, sagen wir, klimaneutraler Verbrennungsmotor. Während wir in diesen Tagen in der Redaktion an unserer nächsten Ausgabe zum Thema Wasser arbeiten, breitet sich in Europa eine unheimliche Trockenheit aus – es hat einfach zu wenig geregnet und geschneit. In Italien ist der Po an manchen Stellen zu einem Rinnsal geronnen, und nach San Biagio, einer kleinen Insel auf dem Gardasee, kommt man nun trockenen Fußes auch ohne Boot. In Frankreich müssen manche Gemeinden mit Wasser vom Tankwagen versorgt werden, und wer es wagt, sein Auto zu waschen oder Blumen zu gießen, muss mit Strafen rechnen – immerhin klingt der Wüstenwinter auf Französisch etwas schöner: Sécheresse hivernale.

Der Hotspot aber ist Barcelona: Dort herrschen gerade Temperaturen über dreißig Grad, Stauseen verdunsten zu Ödland, sodass die Fundamente und der Kirchturm einer überfluteten Ortschaft geisterhaft wieder auftauchen wie eine antike, versunkene Stadt. Die nach der letzten Dürre vor 15 Jahren errichteten Meerwasserentsalzungsanlagen laufen auf Volllast – trotzdem werden sie einen fortbestehenden Mangel nicht ausgleichen können. Und der heiße Mittelmeersommer steht erst noch bevor.

Das Trinkwasserschloss bröckelt

In der Wissenschaft spricht man schon vom peak water – demnach steuert der Kontinent auf einen Kipppunkt zu, nach dem die Süßwasserreserven nur noch abnehmen. Schuld ist das Abschmelzen der Alpengletscher, das „Trinkwasserschloss Europas“, das große europäische Ströme wie Donau und Rhone speist. Bis 2100 könnten zwei Drittel dieser Gletscher im Gebirge verschwunden sein, selbst wenn wir die Klimaziele einhalten.

In Deutschland wird es zwar zu dramatischen Szenarien wie in Südeuropa wohl erstmal nicht kommen. Trotzdem spricht Andreas Marx, der im Helmholtzzentrum für Umweltforschung die Daten des Dürremonitors koordiniert, von einem „totalen Wahnsinn“. Denn der Rheinpegel sank Anfang des Monats wieder seinem gruseligen August-Niveau entgegen, genau wie die Grundwasserspiegel an vielen Orten im Osten. Pünktlich dazu hat die Bundesregierung am Mittwoch ihre Nationale Wasserstrategie verabschiedet – 78 Maßnahmen, „um Mangellagen vorzubeugen“, sagte die grüne Umweltministerin Steffi Lemke bei der Vorstellung des Papiers. Die sehen vor allem einen strengeren Gewässerschutz vor, wassersensible Stadtentwicklung – Stichwort Schwammstadt – und Landwirtschaft, außerdem sollen bei Knappheit Prioritäten der Wasserverteilung gesetzt werden.

Wasser für Coca-Cola und Aldi

Hehre Ziele, nur bleibt einiges unkonkret: So stand im Ursprungsentwurf des Konzepts noch der Passus, dass nur so viel Grundwasser entnommen werden soll, wie sich neu bilden kann. Und bei einem Wassernotstand stünde nicht nur die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger ganz vorne, sondern womöglich gleichrangig die der Lebensmittelwirtschaft – und damit theoretisch auch der Bedarf von Coca-Cola oder der Fleischindustrie. Lemke selbst räumt „potenzielle Nutzungskonflikte“ ein, die ihre Strategie doch eigentlich verhindern sollte. Die Konflikte müssen die Menschen vor Ort wohl künftig selbst mit den Konzernen austragen, wenn es um das kostbare Nass geht – eindeutige Versorgungssicherheit, wie sie der Städte- und Gemeindebund fordert, ergibt sich aus der Nationalen Wasserstrategie nicht. Dazu passt dann auch, dass sich Aldi Nord, das inzwischen in Bayern selbst Grundwasser anzapft und in Plastikflaschen verkauft, kürzlich als „Grundversorger“ bezeichnete. Vielleicht müssen die Leute also bald zum Discounter, wenn aus dem Hahn nichts Trinkbares mehr kommt.

Viel wäre wohl schon getan, wenn man bei den größten Wassernutzern ansetzen würde: Denn das sind nicht die Privathaushalte, sondern Energiekonzerne. Für die Kühlung der Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke beanspruchen sie die Hälfte des deutschen Wasserverbrauchs. Und auch die Landwirtschaft könnte mit gezielter Bewässerung, etwa durch das Tröpfchenverfahren, große Mengen einsparen. Und dann haben wir noch gar nicht über die globalen Auswirkungen unseres Wasserkonsums gesprochen: Direkt mag eine Person in Deutschland um die 120 Liter Wasser am Tag verbrauchen. Doch in die Herstellung unserer Alltagsprodukte vom Kaffee bis zum Smartphone fließen anderswo auf der Welt zum Teil tausende Liter mehr – unser Wasserfussabdruck.

Klimaschutz ist Wasserschutz

Pläne wie die Nationale Wasserstrategie sollen das Land darauf vorbereiten, sich an die Folgen der Klimakrise anzupassen. Wie gut das gelingt, hängt vor allem vom weiteren Ausmaß der Erderhitzung ab – und das können wir jetzt noch aktiv begrenzen. Wer sich also noch immer gegen ein Tempolimit, gegen das Ende des Verbrennungsmotors (immerhin erst ab 2035!) und gegen den Einbau klimafreundlicher Wärmepumpen statt fossiler Gasheizungen stemmt, nimmt heute schon existenzielle Verteilungskämpfe in der Zukunft in Kauf. Klimaschutz ist also auch Wasserschutz, beides braucht rasches Handeln und einen Plan – darauf ein stilles Sebstgezapftes aus dem Hahn!

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

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Unterschrift

Thomas Merten
Redakteur