Nicole Edens Tag teilt sich nicht nach Uhrzeiten auf, sondern nach Tierarten. Zuerst bekommen frühmorgens die Katzen und der Hund ihr Futter. Eden muss sich beeilen, denn schon lärmen die hungrigen Schweine unruhig an ihrem Zaun. Jeden Tag aufs Neue bahnt sie sich ihren Weg vorbei an dem einen aggressiven Eber zu jenen zahmen Schweinen, die die Britin per Hand aufgezogen hat. Ist das geschafft, gibt sie den kranken Tieren ihre Medikamente und versorgt die verletzten, kümmert sich etwa um die OP-Wunde am Unterkiefer von Widderkaninchen Tambor. Anschließend eilt sie zu den Eseln und Schafen, um ihnen Heu und frisches Wasser zu geben. Und dann sind da die unvorhergesehenen Aufgaben: Hühner und Enten einfangen etwa, weil ein Schaf das Gatter des Geheges niedergerannt hat. Die Nächte schließlich gehören den mutterlosen Lämmern und Zicklein, die sie per Hand aufzieht und bei sich im Bett schlafen lässt. Am darauffolgenden Morgen geht Nicole Edens Dasein für die Tiere ihres Gnadenhofs in die nächste Runde.

Warum lieben Menschen Tiere? Weil sie uns ein Miteinander bieten, das anders ist als jede zwischenmenschliche Beziehung, schreibt der Schriftsteller John Berger: „Anders, weil es sich um eine Kameradschaft handelt, die der Einsamkeit des Menschen als Spezies entgegenwirkt.“ Doch einige Tiere fallen durch das Raster unserer Liebe. Es sind die kranken und kaputten, die aussortiert werden, weil sie nicht der Norm entsprechen, weil sie uns nicht mehr dienlich sind, weil ihre Pflege zu teuer wird oder weil sie keinen wirtschaftlichen Nutzen haben. Um solche Tiere kümmert sich Nicole Eden.

„Viele von ihnen leiden an chronischen Krankheiten wie Asthma, ihnen fehlen Gliedmaßen, sie haben Nierenerkrankungen, Hufrehe oder Krebs“, erzählt Eden. Für die 43-Jährige ist das kein Grund, sie weniger zu lieben, sondern eher mehr.

Eden hat einen für Tiere paradiesischen Ort geschaffen, an dem jedes Leben gleich viel wert ist – so wie ihr Nachname es nahelegt. Sie habe immer gewusst, dass sie das eines Tages machen würde, sagt sie. „Eden Sanctuary“ nannte die gebürtige Britin den Gnadenhof, den sie vor vier Jahren in ihrer Wahlheimat auf Mallorca gründete.

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Ein Leben für die Tiere

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„Alles begann mit Karma“, erzählt sie, „einem Ferkel, das von einem Lastwagen gefallen war, die Nabelschnur war noch dran.“ Kurz darauf folgten drei Lämmer: Shanti, verwaist, Solly, von Fliegenmaden befallen, und Star, vom Bauern dem Sterben überlassen. Mittlerweile kümmert Eden sich um mehr als fünfzig Katzen, Schweine, Esel, Schafe, Kaninchen, Meerschweinchen, Enten, Hühner, Tauben und einen Hund. Oft allein. Sie hat viel dafür aufgegeben: Sie reduzierte ihre Stunden als Englischlehrerin und damit auch ihr Einkommen. Als die Tierpflege immer mehr Zeit verschlang, verließ ihr Partner sie, der sie anfangs noch bestärkt hatte, den Gnadenhof zu gründen. Ein Sozialleben jenseits des Hofes hat sie kaum noch. Anfangs schlug ihr zudem die Skepsis der lokalen Tierrechtsszene entgegen, die anzweifelte, dass die Britin es mit ihrer Hilfe für die Tiere aufrichtig meine. „Das hat mich wirklich deprimiert“, sagt Eden. Inzwischen unterstützen sie an drei Tagen in der Woche zwei ehrenamtliche Helferinnen, doch das reicht noch immer nicht, um all die anfallende Arbeit zu bewältigen.

Berührendes Mitgefühl

Das „Eden Sanctuary“ ist einer von vielen Höfen, die die spanische Fotografin Ana Palacios für ihre Serie „Wild Love“ besuchte. Normalerweise konzentriert sie sich auf Themen rund um Menschenrechte, auf „vergessene Geschichten“, wie sie sie nennt: Sie dokumentiert Albino-Gemeinschaften in Tansania, benachteiligte Kinder in Indien, ehemalige Kindersklaven in Benin und Togo. Doch in der Pandemie war es plötzlich fast unmöglich, zu reisen. Also richtete sie ihren Blick auf die nähere Umgebung – und auf die „vergessenen Tiere“.

Das Mitgefühl, mit dem sich die Menschen auf den Gnadenhöfen um die Tiere kümmern, berührte sie so tief, wie es die Spanierin nicht für möglich gehalten hatte. „Es hat total verändert, wie ich im Bezug auf Tiere fühle“, sagt sie. „Für mich kam es vollkommen unerwartet, mich plötzlich im Alter von 48 Jahren um Tierrechte zu sorgen – mittlerweile ernähre ich mich vegetarisch.“

Aufopfern für die Tiere

Menschen wie Nicole Eden opfern sich für Tiere auf. Sie sind abhängig von Spendengeldern und freiwilliger Hilfe, müssen hohe Tierarztrechnungen bezahlen und die gleichen Richtlinien zur Tierhaltung befolgen wie Mastbetriebe, etwa teure Impfungen. In ganz Spanien gibt es rund 65 solcher Einrichtungen, schätzt Elena Tova, Gründerin der „Fundación El Hogar“, dem ersten Gnadenhof des Landes. Die meisten kämpfen für sich allein, der frisch gegründete Verband „Federación de Santuarios de Animales“ will die Kräfte nun bündeln und sich für eigene Richtlinien speziell für Gnadenhöfe einsetzen.

Viele Betreiberinnen und Betreiber von Lebenshöfen gehen für die Tiere bis an ihre Grenzen – oder darüber hinaus. Zweimal musste Nicole Eden schon mit ihrem Hof umziehen, weil ihr Mietvertrag vorzeitig gekündigt wurde. Das Grundstück im Zentrum der Insel, auf dem die Tiere jetzt leben, hat sie mithilfe von Spenden und einem Darlehen gekauft. Sie selbst darf dort nicht wohnen, weil das Land nur für landwirtschaftliche Nutzung ausgewiesen ist. „Seitdem lebe ich aus meinem Koffer und schlafe mal hier, mal da“, erzählt sie. Mal bei ihrem Vater, mal im Hostel. Sie ist verschuldet, eine zusätzliche Miete kann sie sich nicht leisten, dafür reicht ihr Verdienst als Lehrerin nicht. „Ich weiß gerade nicht mehr weiter“, sagt sie, „aber ich kann auch nicht aufgeben.“

Diese Fotoreportage erschien in der aktuellen Ausgabe 4.22 „Hunger und Flucht“. Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel. Alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!

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