Es gibt Tierarten, die die menschliche Zivilisation scheuen, andere suchen ihre Nähe. Der Große Abendsegler ist hin- und hergerissen. Nyctalus noctula, mit bis zu vierzig Gramm Gewicht und vierzig Zentimetern Spannweite eine der größten Fledermäuse Deutschlands, ist ein Waldbewohner, den es zunehmend in die Städte zieht. „Vor zwanzig Jahren hat in Berlin noch kaum ein Abendsegler überwintert“, sagt Christian Voigt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. „Nun sind es Tausende.“

Dabei zeigen die Hauptstadtfledermäuse verblüffende Anpassungen. Als winterliche Schlafplätze etwa sind bei ihnen Dachböden beliebt – von Plattenbauten. Leicht amüsiert zeigt Voigt Fotos von niedrigen Räumen, in denen zahllose schwarze Tiere nicht etwa hängen, sondern im Isoliermaterial auf dem Boden gemütlich in ihrer Winterstarre liegen.

Auch tagsüber verfallen Abendsegler in eine Lethargie – was sich Voigt und seine Mitarbeiter für ihr aktuelles Forschungsprojekt zunutze gemacht haben. Sie nahmen zwanzig der Fledermäuse vorsichtig aus ihren Quartieren und klebten ihnen Mini-GPS-Sender ins Rückenfell, die sich bald wieder lösen sollten. Die so gewonnenen Daten enthielten weitere Überraschungen. Das Exemplar etwa, dessen Wege in der Nacht vom 27. auf den 28. August 2017 unsere Karte zeigt, flog ausgiebig auf dem Gelände eines hell erleuchteten Güterbahnhofs umher. „Offenbar waren die vom Flutlicht angezogenen Insektenmassen zu verlockend“, sagt Voigt. Das Verhalten sei aber eine Ausnahme, die die Regel bestätigt. 

„Meist bevorzugen Fledermäuse Dunkelheit“, erklärt Voigt – für ihn ist es das wichtigste Ergebnis der Analyse. Abendsegler schlafen im Frühling und Sommer in Bäumen oder Fledermauskästen auf Friedhöfen und in Parks und unternehmen von dort aus Jagdausflüge, teils sogar aus der Stadt hinaus. Dabei nutzen sie „Dunkelkorridore“ entlang von Grünstreifen und Bachläufen.

© Carsten Raffel© Carsten Raffel

Aus Sicht des Artenschutzes sei es deshalb fatal, wenn immer mehr Grün- in Siedlungsflächen umgewandelt würden. Und es sei falsch, jeden Winkel der Stadt nachts zu erhellen. „Uns erscheint Beleuchtung als Wohlstandsziel. Für die Biodiversität ist Lichtverschmutzung dagegen eine unterschätzte Gefahr.“

Dass es sich lohnt, Städte als Lebensraum zu fördern, zeigt ein Blick aufs Land: Dort schrumpft die Zahl der Abendsegler. Pestizide dezimieren ihre Futterinsekten, manch Windrad wird zur tödlichen Falle. In Berlin aber, der „Hauptstadt der Fledermäuse“, wurden schon 18 der 25 in Deutschland vorkommenden Arten nachgewiesen.