Stockenten sind so allgegenwärtig, dass wir ihre Anwesenheit oft gar nicht gebührend würdigen. Es ist, als würde man Bayern München nur wegen des ständigen Erfolges ignorieren: Man verpasst etwas. Ist es nicht gerade bewundernswert, dass Anas platyrhynchos mit geschätzten 19 Millionen Exemplaren beinahe die komplette Nordhalbkugel bewohnt – und dabei auch noch gut aussieht? Die Männchen betören mit grün schillerndem Kopf und Erpellocke am Bürzel, bei den unauffälligeren Weibchen kommt dafür der blaue „Flügelspiegel“ besser zur Geltung.

„Es stimmt, die Stockente ist die häufigste Schwimmente der Welt“, sagt Johannes Lang von der Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische der Uni Gießen. „Aber in Europa, in Deutschland und auch in Hessen wird sie seltener, vor allem im Winter.“ Seit Jahrzehnten gehen die Zahlen beim Wasservogelmonitoring in der kalten Jahreszeit zurück, parallel übrigens zur Zahl der geschossenen Vögel. Lang will herausfinden, woran das liegt.

„Dazu muss man erst einmal wissen, dass Stockenten Zugvögel sind“, erklärt er. Im Winter gesellten sich Artgenossen aus Nordosteuropa zu den in Mitteleuropa brütenden Enten, die teils hierblieben, teils ihrerseits in den Süden zögen. „Wir möchten erfahren, wie groß der Anteil der Wintergäste bei uns ist“, erklärt der Biologe. Ist er hoch, dann wäre der Grund für die Abnahme in den Brutgebieten im Norden zu suchen. „Dann können wir uns hier mit Schutzbemühungen noch so abzappeln, es würde nichts bringen.“

Lang und sein Team haben deshalb in einem Feuchtgebiet bei Lich im November 2019 mithilfe von Reusen Enten gefangen und ihnen kleine Rucksäcke mit GPS-Sendern aufgesetzt. „Unsere Tierärzte haben sie dafür in eine kurze Inhalationsnarkose versetzt“, sagt er. Das Gerät speichert die Koordinaten und versendet ab und zu Datenpakete per SMS. Das Projekt läuft noch, aber die spannende Route einer Ente namens Dora veröffentlichte Lang vorab.

„Bis Anfang April hielt sie sich auf einer Fischzuchtanlage in der Nähe auf“, erzählt er. „Als die anderen schon auf ihren Eiern saßen, kamen von ihr plötzlich keine Daten mehr, wir dachten schon, sie sei tot.“ Dann sendete Dora wieder – aus Russland. Sie hatte den Harz und dann die Ostsee überflogen, mit bis zu 125 Stundenkilometern. „Das ist rekordverdächtig“, sagt Lang. „Halten Sie bei dem Tempo mal die Hand aus dem Auto!“ Nach einigen Pausen und 53,5 Stunden Gesamtreisezeit erreichte Dora den Rybinsker Stausee, rund 2250 Kilometer vom Startpunkt entfernt. Dort schien es ihr zu gefallen, ob sie brütete, ist aber unklar.

© Carsten Raffel© Carsten Raffel

Die ermittelte Flugroute ist nun ein Baustein in der Suche nach den Ursachen für den Rückgang. Das Zielgebiet liefert einen Hinweis: „In Nordrussland ist Umweltverschmutzung ein Riesenproblem“, sagt Lang, „es gibt dort zum Beispiel viele Ölunfälle.“ Selbst wenn wir Mitteleuropäer also den Entenschwund nicht direkt verschulden und die Jagd, wie Lang annimmt, nicht der Grund ist, haben wir womöglich doch unseren Anteil daran – indem wir russisches Öl verheizen.

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