Liebe Leserinnen und Leser,

falls Sie uns vergangenen Freitag vermisst haben – hinter uns liegt eine komplizierte Heftproduktion inklusive Umzug und Serverausfall, die das Team hinter dem Greenpeace Magazin schon mal auf eine Zukunft vorbereitet hat, in der Improvisationskünste besonders gefragt sein werden.

Durch die etwas längere Pause bedingt, wage ich heute einen kleinen Rückblick über die vergangene Woche hinaus. Aber keine Angst, jetzt kommt nichts über den Dauerstreit in der „Ampel“-Koalition, die noch immer so genannt wird, obwohl sie sich mittlerweile eher als von den Grünen erduldete SPD-FDP-Regierung herausstellt. Eine Regierung, die sich vom Klima- und Umweltschutz beinahe vollständig verabschiedet hat, und dafür am Donnerstag vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zum Nachbessern verurteilt wurde. Die derzeitige Politik reiche bei Weitem nicht aus, um die gesetzlich vorgeschriebenen Klimaziele zu erreichen, befanden die Richter. Die Bundesregierung dürfte gegen das Urteil Revision einlegen. Nebenher kürzt sie weitere Mittel in diesem Bereich. Auf Wiedersehen vor dem Bundesverfassungsgericht!

Aber zu einem ganz anderen Thema: Anfang der Woche tauchte ein anrührendes Video mit Eden Golan auf, der jungen Sängerin, die für Israel beim „European Song Contest“ (ESC) angetreten war. Es zeigt ihre Ankunft auf dem Flughafen von Tel Aviv. Als Eden Golan endlich in den Armen ihrer Liebsten gelandet war, konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. In diesem Moment schien alles von ihr abzufallen, die Angst und die Anspannung. Und ein bisschen wohl auch der Riesenerfolg, der ihr allen Buhrufen und antiisraelischen Boykottaufrufen zum Trotz gelungen war. Das europäische Publikum belohnte sie für ihren souveränen Auftritt mit dem zweiten Platz. Tagelang hatte zuvor ein antisemitischer Mob den Platz vor Edens Hotel und in der Malmö Arena belagert. Ihr Zimmer konnte sie nur zu den Proben verlassen, unter Lebensgefahr. Der geballte Hass auch vieler anderer ESC-Sängerinnen, -Sänger oder Identitätsvarianten wie dem Düsterwesen aus Irland wehte ihr entgegen, also einer gerade 20-Jährigen, die 2022 vor dem russischen Überfall aus der Ukraine nach Israel geflohen war. 

Mittendrin unter den Demonstrierenden, die ihren Empathiehaushalt offenbar so judenfrei halten wie früher die deutschen Seebäder ihre Strände, schimpfte auch Greta Thunberg auf den angeblichen „Genozid“ im Gaza-Streifen. Das Leid der Palästinenser in einem Krieg, den die Hamas mit ihrem barbarischen Überfall vom 7. Oktober angezettelt und mit der Entführung wehrloser Babys, junger Mädchen, Großmütter und -väter grausam verlängert hat, als „Völkermord“ zu bezeichnen, wie das derzeit beinahe widerspruchslos weltweit passiert, erscheint angesichts der militärischen Möglichkeiten der hoch gerüsteten israelischen Armee und der tatsächlichen palästinensischen Opferzahlen trotz der teils problematischen Kriegsführung ziemlich absurd. Sieben Monate Krieg und noch immer leben gut 99 Prozent der Bevölkerung, gegen die ein „Genozid“ toben soll? Das mag zynisch klingen, aber die bedenkenlose „Genozid“-Propaganda ausgerechnet gegen ein Volk, das einen wirklichen Völkermord erleben musste, ist es erst recht. Vor allem, wenn sie sich mit der Parole „From the River to the Sea“ paart, die nichts weniger ist, als der Aufruf zur Auslöschung Israels.

Ich stelle mir gerade die Machthaber in den arabischen Öl-Staaten vor oder auch die Manager in den fossilen Großkonzernen, die ihr Glück wahrscheinlich gar nicht fassen können. Über den Krieg um Israel und Gaza und die Zahl der Getöteten können die nur lachen. An den Folgen der hauptsächlich durch die Verbrennung von Gas, Kohle und Öl verursachten Luftverschmutzung sterben weltweit jährlich mindestens sieben Millionen Menschen. Wäre ich ein Anhänger von Verschwörungstheorien, ließe sich bestimmt ein Zusammenhang entwickeln zwischen den Interessen von Ölmächten wie dem Iran oder Katar, die Terrororganisationen wie die Hamas finanzieren und ganz sicher begrüßen, dass sich der geballte Zorn gerade auf Israel richtet statt gegen sie. Auch beim Öl- und Gas-Unternehmen Exxon dürfte man gar nicht viel dagegen haben, dass die vieltausendfache jugendliche Wut gerade lieber Palästinensertücher trägt als vor der Konzernzentrale gegen die ungebrochene fossile Ausbeutung zu demonstrieren.

Exxon verklagt übrigens gerade einige ihrer eigenen Aktionäre, weil die eine Abkehr von der immer aggressiveren klimafeindlichen Unternehmenspolitik eingefordert hatten. Eine Aktion, die zukünftige Investoren, welche Unternehmen zu mehr Klimaschutz drängen wollen, mundtot machen kann. Und natürlich war auch jemand von Exxon dabei, als Donald Trump kürzlich die amerikanische fossile Industrie zu sich nach Mar-a-Lago, Florida, lud, um ihr einen profitablen Deal vorzuschlagen: Eine Milliarde Dollar Spenden für seinen Wahlkampf und im Gegenzug die Rücknahme sämtlicher Klimaschutzgesetze, die Joe Biden erlassen hat. Wütende Protestler hat man dort nicht gesehen. Vielleicht hätte eine jüdische 20-jährige noch etwas singen sollen, dann wäre die Empörung sicher groß gewesen.

Ich wünsche Ihnen ein friedfertiges Wochenende

Unterschrift

Fred Grimm
Redakteur

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